Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.trennte, sie auf das würdigste überflügelt. Mögen wir das unmittelbare Gefühl des Dualismus haben und im nächsten Bewußtseyn Geist und Materie nicht verwechseln, so lebte in uns doch nicht weniger die thatsächliche Ueberzeugung, daß die Materie in den Fesseln des Geistes liegt, daß sie Staub ist und ihre Bestimmung darin finden wird, einst im leeren Nichts zu verwehen. Die deutsche Philosophie hat die Spekulation eben so sehr von der kindischen Furcht vor der Materie, wie vor der Geheimnißkrämerei dessen, was man das eigentliche Wesen der Dinge nennt, befreit. Kant, der eine aus Skeptizismus und Dogmatismus gemischte Philosophie aufstellte, hatte ein versiegeltes Vermächtniß hinterlassen, welches seine Erben öffneten, nämlich, daß wir die wahre, die eigentliche, die an sich seyende Natur der Dinge nicht erkennen könnten. Kant hatte gesagt, von einem Apfel weiß ich, daß er herbe schmeckt, hinlänglich rund ist, ein Herz mit Samenkörnern hat, ich kenne alle seine Eigenschaften, und dennoch nicht, was er eigentlich ist. Kant meinte, man wisse also nicht, was dieser Apfel im Bewußtseyn Gottes wäre, wie er sich in jener unbegreiflichen Macht, die die Welt geschaffen hat, manifestire, und gegen dieses Bedenken waren die Systeme seiner kühnen Nachfolger gerichtet. Ungleich der schottischen Philosophie und der Kant'schen, die bloß die Erkenntniß der Erscheinungen und Eigenschaften für möglich hielten, behaupteten sie, trennte, sie auf das würdigste überflügelt. Mögen wir das unmittelbare Gefühl des Dualismus haben und im nächsten Bewußtseyn Geist und Materie nicht verwechseln, so lebte in uns doch nicht weniger die thatsächliche Ueberzeugung, daß die Materie in den Fesseln des Geistes liegt, daß sie Staub ist und ihre Bestimmung darin finden wird, einst im leeren Nichts zu verwehen. Die deutsche Philosophie hat die Spekulation eben so sehr von der kindischen Furcht vor der Materie, wie vor der Geheimnißkrämerei dessen, was man das eigentliche Wesen der Dinge nennt, befreit. Kant, der eine aus Skeptizismus und Dogmatismus gemischte Philosophie aufstellte, hatte ein versiegeltes Vermächtniß hinterlassen, welches seine Erben öffneten, nämlich, daß wir die wahre, die eigentliche, die an sich seyende Natur der Dinge nicht erkennen könnten. Kant hatte gesagt, von einem Apfel weiß ich, daß er herbe schmeckt, hinlänglich rund ist, ein Herz mit Samenkörnern hat, ich kenne alle seine Eigenschaften, und dennoch nicht, was er eigentlich ist. Kant meinte, man wisse also nicht, was dieser Apfel im Bewußtseyn Gottes wäre, wie er sich in jener unbegreiflichen Macht, die die Welt geschaffen hat, manifestire, und gegen dieses Bedenken waren die Systeme seiner kühnen Nachfolger gerichtet. Ungleich der schottischen Philosophie und der Kant’schen, die bloß die Erkenntniß der Erscheinungen und Eigenschaften für möglich hielten, behaupteten sie, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0355" n="353"/> trennte, sie auf das würdigste überflügelt. Mögen wir das unmittelbare Gefühl des Dualismus haben und im nächsten Bewußtseyn Geist und Materie nicht verwechseln, so lebte in uns doch nicht weniger die thatsächliche Ueberzeugung, daß die Materie in den Fesseln des Geistes liegt, daß sie Staub ist und ihre Bestimmung darin finden wird, einst im leeren Nichts zu verwehen. Die deutsche Philosophie hat die Spekulation eben so sehr von der kindischen Furcht vor der Materie, wie vor der Geheimnißkrämerei dessen, was man das eigentliche Wesen der Dinge nennt, befreit. <hi rendition="#g">Kant</hi>, der eine aus Skeptizismus und Dogmatismus gemischte Philosophie aufstellte, hatte ein versiegeltes Vermächtniß hinterlassen, welches seine Erben öffneten, nämlich, daß wir die wahre, die eigentliche, die an sich seyende Natur der Dinge nicht erkennen könnten. <hi rendition="#g">Kant</hi> hatte gesagt, von einem Apfel weiß ich, daß er herbe schmeckt, hinlänglich rund ist, ein Herz mit Samenkörnern hat, ich kenne alle seine Eigenschaften, und dennoch nicht, was er eigentlich ist. <hi rendition="#g">Kant</hi> meinte, man wisse also nicht, was dieser Apfel im Bewußtseyn Gottes wäre, wie er sich in jener unbegreiflichen Macht, die die Welt geschaffen hat, manifestire, und gegen dieses Bedenken waren die Systeme seiner kühnen Nachfolger gerichtet. Ungleich der schottischen Philosophie und der <hi rendition="#g">Kant</hi>’schen, die bloß die Erkenntniß der Erscheinungen und Eigenschaften für möglich hielten, behaupteten sie, </p> </div> </body> </text> </TEI> [353/0355]
trennte, sie auf das würdigste überflügelt. Mögen wir das unmittelbare Gefühl des Dualismus haben und im nächsten Bewußtseyn Geist und Materie nicht verwechseln, so lebte in uns doch nicht weniger die thatsächliche Ueberzeugung, daß die Materie in den Fesseln des Geistes liegt, daß sie Staub ist und ihre Bestimmung darin finden wird, einst im leeren Nichts zu verwehen. Die deutsche Philosophie hat die Spekulation eben so sehr von der kindischen Furcht vor der Materie, wie vor der Geheimnißkrämerei dessen, was man das eigentliche Wesen der Dinge nennt, befreit. Kant, der eine aus Skeptizismus und Dogmatismus gemischte Philosophie aufstellte, hatte ein versiegeltes Vermächtniß hinterlassen, welches seine Erben öffneten, nämlich, daß wir die wahre, die eigentliche, die an sich seyende Natur der Dinge nicht erkennen könnten. Kant hatte gesagt, von einem Apfel weiß ich, daß er herbe schmeckt, hinlänglich rund ist, ein Herz mit Samenkörnern hat, ich kenne alle seine Eigenschaften, und dennoch nicht, was er eigentlich ist. Kant meinte, man wisse also nicht, was dieser Apfel im Bewußtseyn Gottes wäre, wie er sich in jener unbegreiflichen Macht, die die Welt geschaffen hat, manifestire, und gegen dieses Bedenken waren die Systeme seiner kühnen Nachfolger gerichtet. Ungleich der schottischen Philosophie und der Kant’schen, die bloß die Erkenntniß der Erscheinungen und Eigenschaften für möglich hielten, behaupteten sie,
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/355>, abgerufen am 28.07.2024. |