Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Cartesius, Spinoza, Leibnitz und das Christenthum wurden im Schooße dieser so organischen und methodischen Gährung neu geboren; es ist dies ein Punkt, von welchem wenigstens ideell alle Strahlenbrechungen der Zeit ausgegangen zu seyn scheinen, obgleich die Zeit nichts mit ihm unmittelbar gemein hatte, und sich hier das merkwürdige Schauspiel wiederholte, daß mitten im Gewühle des Krieges eine Reihe ernster und weiser Philosophen schweigsam ihre Zirkel zeichneten.

Es herrscht in der deutschen Philosophie ein überschwänglicher Jdealismus. Jn die subtilsten Nadellöcher wußte sie den, bis zur Unsichtbarkeit gespizten Faden ihrer Dialektik einzufädeln, in der Luft fand sie Bahnen, vom Unsichtbaren wußte sie die Schatten zu zeichnen. Diese Philosophie ist ein außerordentlicher Beleg für den Scharfsinn und die Einbildungskraft der deutschen Nation. Es wird eine Zeit kommen, wo man, wie zum Theil schon jezt, von dem philosophischen Werthe der meisten Leistungen des deutschen Jdealismus abstrahiren, aber in ihrer systematischen Abrundung, sie als die erhabensten Dichtungen bewundern wird, und wer vermag zu sagen, wo die Gränze liegt, welche in dieser Philosophie in der That das Mögliche vom Unwahrscheinlichen trennt. Wo ist noch Gewißheit und heller Sonnenschein, wo schießen schon die Nebel auf und tanzen wie Jrrlichter der Dämmerung? Die deutschen Philosophen gehen nicht von der unmittelbaren Erfahrung aus,

Cartesius, Spinoza, Leibnitz und das Christenthum wurden im Schooße dieser so organischen und methodischen Gährung neu geboren; es ist dies ein Punkt, von welchem wenigstens ideell alle Strahlenbrechungen der Zeit ausgegangen zu seyn scheinen, obgleich die Zeit nichts mit ihm unmittelbar gemein hatte, und sich hier das merkwürdige Schauspiel wiederholte, daß mitten im Gewühle des Krieges eine Reihe ernster und weiser Philosophen schweigsam ihre Zirkel zeichneten.

Es herrscht in der deutschen Philosophie ein überschwänglicher Jdealismus. Jn die subtilsten Nadellöcher wußte sie den, bis zur Unsichtbarkeit gespizten Faden ihrer Dialektik einzufädeln, in der Luft fand sie Bahnen, vom Unsichtbaren wußte sie die Schatten zu zeichnen. Diese Philosophie ist ein außerordentlicher Beleg für den Scharfsinn und die Einbildungskraft der deutschen Nation. Es wird eine Zeit kommen, wo man, wie zum Theil schon jezt, von dem philosophischen Werthe der meisten Leistungen des deutschen Jdealismus abstrahiren, aber in ihrer systematischen Abrundung, sie als die erhabensten Dichtungen bewundern wird, und wer vermag zu sagen, wo die Gränze liegt, welche in dieser Philosophie in der That das Mögliche vom Unwahrscheinlichen trennt. Wo ist noch Gewißheit und heller Sonnenschein, wo schießen schon die Nebel auf und tanzen wie Jrrlichter der Dämmerung? Die deutschen Philosophen gehen nicht von der unmittelbaren Erfahrung aus,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0353" n="351"/><hi rendition="#g">Cartesius</hi>, <hi rendition="#g">Spinoza</hi>, <hi rendition="#g">Leibnitz</hi> und das Christenthum wurden im Schooße dieser so organischen und methodischen Gährung neu geboren; es ist dies ein Punkt, von welchem wenigstens ideell alle Strahlenbrechungen der Zeit ausgegangen zu seyn scheinen, obgleich die Zeit nichts mit ihm unmittelbar gemein hatte, und sich hier das merkwürdige Schauspiel wiederholte, daß mitten im Gewühle des Krieges eine Reihe ernster und weiser Philosophen schweigsam ihre Zirkel zeichneten.</p>
        <p>Es herrscht in der deutschen Philosophie ein überschwänglicher Jdealismus. Jn die subtilsten Nadellöcher wußte sie den, bis zur Unsichtbarkeit gespizten Faden ihrer Dialektik einzufädeln, in der Luft fand sie Bahnen, vom Unsichtbaren wußte sie die Schatten zu zeichnen. Diese Philosophie ist ein außerordentlicher Beleg für den Scharfsinn und die Einbildungskraft der deutschen Nation. Es wird eine Zeit kommen, wo man, wie zum Theil schon jezt, von dem philosophischen Werthe der meisten Leistungen des deutschen Jdealismus abstrahiren, aber in ihrer systematischen Abrundung, sie als die erhabensten Dichtungen bewundern wird, und wer vermag zu sagen, wo die Gränze liegt, welche in dieser Philosophie in der That das Mögliche vom Unwahrscheinlichen trennt. Wo ist noch Gewißheit und heller Sonnenschein, wo schießen schon die Nebel auf und tanzen wie Jrrlichter der Dämmerung? Die deutschen Philosophen gehen nicht von der unmittelbaren Erfahrung aus,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[351/0353] Cartesius, Spinoza, Leibnitz und das Christenthum wurden im Schooße dieser so organischen und methodischen Gährung neu geboren; es ist dies ein Punkt, von welchem wenigstens ideell alle Strahlenbrechungen der Zeit ausgegangen zu seyn scheinen, obgleich die Zeit nichts mit ihm unmittelbar gemein hatte, und sich hier das merkwürdige Schauspiel wiederholte, daß mitten im Gewühle des Krieges eine Reihe ernster und weiser Philosophen schweigsam ihre Zirkel zeichneten. Es herrscht in der deutschen Philosophie ein überschwänglicher Jdealismus. Jn die subtilsten Nadellöcher wußte sie den, bis zur Unsichtbarkeit gespizten Faden ihrer Dialektik einzufädeln, in der Luft fand sie Bahnen, vom Unsichtbaren wußte sie die Schatten zu zeichnen. Diese Philosophie ist ein außerordentlicher Beleg für den Scharfsinn und die Einbildungskraft der deutschen Nation. Es wird eine Zeit kommen, wo man, wie zum Theil schon jezt, von dem philosophischen Werthe der meisten Leistungen des deutschen Jdealismus abstrahiren, aber in ihrer systematischen Abrundung, sie als die erhabensten Dichtungen bewundern wird, und wer vermag zu sagen, wo die Gränze liegt, welche in dieser Philosophie in der That das Mögliche vom Unwahrscheinlichen trennt. Wo ist noch Gewißheit und heller Sonnenschein, wo schießen schon die Nebel auf und tanzen wie Jrrlichter der Dämmerung? Die deutschen Philosophen gehen nicht von der unmittelbaren Erfahrung aus,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/353
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/353>, abgerufen am 22.11.2024.