Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.übrigen noch weit wichtigern Verhältnisse und Bedürfnisse zu seyn scheinen, möchte man nicht glauben, daß wir dem Jdeale unsrer heutigen Weltbesserer entgegen gehen, einer öffentlichen Erziehung? Ein rechter Beweis, wie das Leben am eigenen Kamin und Heerde untergraben ist, liegt gerade in der Hartnäckigkeit, mit welcher dem Weltlaufe zum Trotz sich viele Naturen an den Heerd und Kamin anklammern und sich gerade aus dem Familienleben ein zufriedenstellendes und in sich gerundetes Lebensresultat schaffen wollen. Das Streben unsrer Zeit nach behaglicher Einrichtung, nach Komfort drückt diese Erscheinung vollkommen aus. Denn das Komfort soll gleichsam als ein Palliativ gegen die fortwährende Einwirkung des äußern Lebens, die mit ihren unbefriedigten Endzwecken fast unerträglich wird, dienen. Man scheint sagen zu wollen, daß man wenigstens diesen lezten Anker der Ruhe und eines einigermaßen genossenen Frohsinns am Leben sich von dem stürmischen Meere nicht wolle fortreißen lassen. Die Menschen kommen zusammen und erheitern sich; junge Leute lesen sich ein Schauspiel vor, wo jeder einzelne eine Rolle übernimmt und man Noth hat, alle die nöthigen Exemplare im Städtchen aufzutreiben. Frauen haben ihre eigenen Zusammenkünfte, Männer die ihrigen, zuweilen vermischen sie sich. Der Weltlauf begleitet sie in die Gesellschaft; wohl dem, der in heiterm Gespräch ihn vergessen übrigen noch weit wichtigern Verhältnisse und Bedürfnisse zu seyn scheinen, möchte man nicht glauben, daß wir dem Jdeale unsrer heutigen Weltbesserer entgegen gehen, einer öffentlichen Erziehung? Ein rechter Beweis, wie das Leben am eigenen Kamin und Heerde untergraben ist, liegt gerade in der Hartnäckigkeit, mit welcher dem Weltlaufe zum Trotz sich viele Naturen an den Heerd und Kamin anklammern und sich gerade aus dem Familienleben ein zufriedenstellendes und in sich gerundetes Lebensresultat schaffen wollen. Das Streben unsrer Zeit nach behaglicher Einrichtung, nach Komfort drückt diese Erscheinung vollkommen aus. Denn das Komfort soll gleichsam als ein Palliativ gegen die fortwährende Einwirkung des äußern Lebens, die mit ihren unbefriedigten Endzwecken fast unerträglich wird, dienen. Man scheint sagen zu wollen, daß man wenigstens diesen lezten Anker der Ruhe und eines einigermaßen genossenen Frohsinns am Leben sich von dem stürmischen Meere nicht wolle fortreißen lassen. Die Menschen kommen zusammen und erheitern sich; junge Leute lesen sich ein Schauspiel vor, wo jeder einzelne eine Rolle übernimmt und man Noth hat, alle die nöthigen Exemplare im Städtchen aufzutreiben. Frauen haben ihre eigenen Zusammenkünfte, Männer die ihrigen, zuweilen vermischen sie sich. Der Weltlauf begleitet sie in die Gesellschaft; wohl dem, der in heiterm Gespräch ihn vergessen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0035" n="33"/> übrigen noch weit wichtigern Verhältnisse und Bedürfnisse zu seyn scheinen, möchte man nicht glauben, daß wir dem Jdeale unsrer heutigen Weltbesserer entgegen gehen, einer <hi rendition="#g">öffentlichen Erziehung</hi>? Ein rechter Beweis, wie das Leben am eigenen Kamin und Heerde untergraben ist, liegt gerade in der Hartnäckigkeit, mit welcher dem Weltlaufe <hi rendition="#g">zum Trotz</hi> sich viele Naturen an den Heerd und Kamin anklammern und sich gerade aus dem Familienleben ein zufriedenstellendes und in sich gerundetes Lebensresultat schaffen wollen. Das Streben unsrer Zeit nach behaglicher Einrichtung, nach Komfort drückt diese Erscheinung vollkommen aus. Denn das Komfort soll gleichsam als ein Palliativ gegen die fortwährende Einwirkung des äußern Lebens, die mit ihren unbefriedigten Endzwecken fast unerträglich wird, dienen. Man scheint sagen zu wollen, daß man wenigstens diesen lezten Anker der Ruhe und eines einigermaßen genossenen Frohsinns am Leben sich von dem stürmischen Meere nicht wolle fortreißen lassen.</p> <p>Die Menschen kommen zusammen und erheitern sich; junge Leute lesen sich ein Schauspiel vor, wo jeder einzelne eine Rolle übernimmt und man Noth hat, alle die nöthigen Exemplare im Städtchen aufzutreiben. Frauen haben ihre eigenen Zusammenkünfte, Männer die ihrigen, zuweilen vermischen sie sich. Der Weltlauf begleitet sie in die Gesellschaft; wohl dem, der in heiterm Gespräch ihn vergessen </p> </div> </body> </text> </TEI> [33/0035]
übrigen noch weit wichtigern Verhältnisse und Bedürfnisse zu seyn scheinen, möchte man nicht glauben, daß wir dem Jdeale unsrer heutigen Weltbesserer entgegen gehen, einer öffentlichen Erziehung? Ein rechter Beweis, wie das Leben am eigenen Kamin und Heerde untergraben ist, liegt gerade in der Hartnäckigkeit, mit welcher dem Weltlaufe zum Trotz sich viele Naturen an den Heerd und Kamin anklammern und sich gerade aus dem Familienleben ein zufriedenstellendes und in sich gerundetes Lebensresultat schaffen wollen. Das Streben unsrer Zeit nach behaglicher Einrichtung, nach Komfort drückt diese Erscheinung vollkommen aus. Denn das Komfort soll gleichsam als ein Palliativ gegen die fortwährende Einwirkung des äußern Lebens, die mit ihren unbefriedigten Endzwecken fast unerträglich wird, dienen. Man scheint sagen zu wollen, daß man wenigstens diesen lezten Anker der Ruhe und eines einigermaßen genossenen Frohsinns am Leben sich von dem stürmischen Meere nicht wolle fortreißen lassen.
Die Menschen kommen zusammen und erheitern sich; junge Leute lesen sich ein Schauspiel vor, wo jeder einzelne eine Rolle übernimmt und man Noth hat, alle die nöthigen Exemplare im Städtchen aufzutreiben. Frauen haben ihre eigenen Zusammenkünfte, Männer die ihrigen, zuweilen vermischen sie sich. Der Weltlauf begleitet sie in die Gesellschaft; wohl dem, der in heiterm Gespräch ihn vergessen
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/35>, abgerufen am 28.07.2024. |