Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.faktische Schiboleth dem philosophischen vorgezogen. Jch sage nicht, daß die Spitzen, welche die Spekulation der Historie gegeben hat, die faktischen Zielpunkte verfehlt hätten, allein das Streben der Spekulation würde umfassender und wirksamer gewesen seyn, wenn sie sich von Formeln befreit und einzig und allein nur an die Sprache der Thatsachen gehalten hätte. Wenn in dem Material eine höhere Einheit liegt, so genügt es ja schon, daß sie sich aus ihm selbst herauswickelt. Die philosophische Begründung eines Gegenstandes muß durch und durch die ursprüngliche Farbe desselben tragen. Wenn der trockne Begriff der Blume, ihr Zweck und Ziel im Sinne der Philosophie auch nur das Samenkorn ist, so wird man doch die Menschen schwer überzeugen, daß nicht die eigentliche Bestimmung der Blume darin lag, dies Samenkorn gerade in der bunten Gestalt der Blätter und Blüthen und gerade in dem süßen Dufte der Pflanze zu offenbaren. Was hier gerügt wird, trifft nicht bloß die Philosophie der Geschichte, sondern eben so sehr auch die philosophischen Begründungen anderer der Geschichte zugetheilter positiver Fächer. Wenn sich in unserer Zeit Empirie und Spekulation zu versöhnen scheinen, so gilt dies von den historischen Wissenschaften bis jezt noch am wenigsten. Hier liegt die Kritik mit der Philosophie noch im Kampfe, hier gelangt bis jezt nur erst eine Versöhnung beider Methoden, entweder durch moralische faktische Schiboleth dem philosophischen vorgezogen. Jch sage nicht, daß die Spitzen, welche die Spekulation der Historie gegeben hat, die faktischen Zielpunkte verfehlt hätten, allein das Streben der Spekulation würde umfassender und wirksamer gewesen seyn, wenn sie sich von Formeln befreit und einzig und allein nur an die Sprache der Thatsachen gehalten hätte. Wenn in dem Material eine höhere Einheit liegt, so genügt es ja schon, daß sie sich aus ihm selbst herauswickelt. Die philosophische Begründung eines Gegenstandes muß durch und durch die ursprüngliche Farbe desselben tragen. Wenn der trockne Begriff der Blume, ihr Zweck und Ziel im Sinne der Philosophie auch nur das Samenkorn ist, so wird man doch die Menschen schwer überzeugen, daß nicht die eigentliche Bestimmung der Blume darin lag, dies Samenkorn gerade in der bunten Gestalt der Blätter und Blüthen und gerade in dem süßen Dufte der Pflanze zu offenbaren. Was hier gerügt wird, trifft nicht bloß die Philosophie der Geschichte, sondern eben so sehr auch die philosophischen Begründungen anderer der Geschichte zugetheilter positiver Fächer. Wenn sich in unserer Zeit Empirie und Spekulation zu versöhnen scheinen, so gilt dies von den historischen Wissenschaften bis jezt noch am wenigsten. Hier liegt die Kritik mit der Philosophie noch im Kampfe, hier gelangt bis jezt nur erst eine Versöhnung beider Methoden, entweder durch moralische <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0344" n="342"/> faktische Schiboleth dem philosophischen vorgezogen. Jch sage nicht, daß die Spitzen, welche die Spekulation der Historie gegeben hat, die faktischen Zielpunkte verfehlt hätten, allein das Streben der Spekulation würde umfassender und wirksamer gewesen seyn, wenn sie sich von Formeln befreit und einzig und allein nur an die Sprache der Thatsachen gehalten hätte. Wenn in dem Material eine höhere Einheit liegt, so genügt es ja schon, daß sie sich aus ihm selbst herauswickelt. Die philosophische Begründung eines Gegenstandes muß durch und durch die ursprüngliche Farbe desselben tragen. Wenn der trockne Begriff der Blume, ihr Zweck und Ziel im Sinne der Philosophie auch nur das Samenkorn ist, so wird man doch die Menschen schwer überzeugen, daß nicht die eigentliche Bestimmung der Blume darin lag, dies Samenkorn gerade in der bunten Gestalt der Blätter und Blüthen und gerade in dem süßen Dufte der Pflanze zu offenbaren. Was hier gerügt wird, trifft nicht bloß die Philosophie der Geschichte, sondern eben so sehr auch die philosophischen Begründungen anderer der Geschichte zugetheilter positiver Fächer.</p> <p>Wenn sich in unserer Zeit Empirie und Spekulation zu versöhnen scheinen, so gilt dies von den historischen Wissenschaften bis jezt noch am wenigsten. Hier liegt die Kritik mit der Philosophie noch im Kampfe, hier gelangt bis jezt nur erst eine Versöhnung beider Methoden, entweder durch moralische </p> </div> </body> </text> </TEI> [342/0344]
faktische Schiboleth dem philosophischen vorgezogen. Jch sage nicht, daß die Spitzen, welche die Spekulation der Historie gegeben hat, die faktischen Zielpunkte verfehlt hätten, allein das Streben der Spekulation würde umfassender und wirksamer gewesen seyn, wenn sie sich von Formeln befreit und einzig und allein nur an die Sprache der Thatsachen gehalten hätte. Wenn in dem Material eine höhere Einheit liegt, so genügt es ja schon, daß sie sich aus ihm selbst herauswickelt. Die philosophische Begründung eines Gegenstandes muß durch und durch die ursprüngliche Farbe desselben tragen. Wenn der trockne Begriff der Blume, ihr Zweck und Ziel im Sinne der Philosophie auch nur das Samenkorn ist, so wird man doch die Menschen schwer überzeugen, daß nicht die eigentliche Bestimmung der Blume darin lag, dies Samenkorn gerade in der bunten Gestalt der Blätter und Blüthen und gerade in dem süßen Dufte der Pflanze zu offenbaren. Was hier gerügt wird, trifft nicht bloß die Philosophie der Geschichte, sondern eben so sehr auch die philosophischen Begründungen anderer der Geschichte zugetheilter positiver Fächer.
Wenn sich in unserer Zeit Empirie und Spekulation zu versöhnen scheinen, so gilt dies von den historischen Wissenschaften bis jezt noch am wenigsten. Hier liegt die Kritik mit der Philosophie noch im Kampfe, hier gelangt bis jezt nur erst eine Versöhnung beider Methoden, entweder durch moralische
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/344>, abgerufen am 16.07.2024. |