Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Zeit auf halbem Wege entgegen. Die Geschichte der Erde wurde die Einleitung zur Geschichte des Menschen. Cuvier hat nicht nur den Wissenstrieb, sondern auch die Phantasie seiner Zeitgenossen zu beschäftigen gewußt. Er fügt ihnen die ungestalten Ueberreste einer vergangenen Thierwelt zu konsequenten Gebilden zusammen und schuf eine Welt, die, wenn sie auch fabelhaft ist, darum gerade unsrer Einbildungskraft so viele Nahrung gab. Wer bürgt uns, daß die Thiere, welche Cuvier zusammensezte, richtig sind, daß dieser Kopf auch wirklich dem Mastodon angehört, jene Rippe dem zwischen Fisch und Vierfuß die Mitte haltenden Urweltsamphibium! Aber wir haben diese problematische Mosaik gläubig hingenommen, weil sie so gräulich interessant ist. Jch sage hier nur, daß dieser Theil der Zoologie eine Modesache geworden ist, ohne die großen wissenschaftlichen Resultate in Zweifel zu ziehen, welche sich aus den Urweltsknochen für den Verlauf der zoologischen Naturbildung ergeben. Auch die Erdbildung beschäftigt viel die allgemeine Theilnahme; es wundert mich, daß noch kein Romantiker darauf gekommen ist, Ansichten der Urwelt zur Unterhaltung zu schreiben, etwa die Liebesgeschichte zweier Geister auf dem ersten Erdniederschlage oder philosophische Betrachtungen eines jener gewaltigen Quadrupeden, die sich durch die ungeheuern Schilfwälder der Urwelt schlichen und die, da die Menschen noch nicht lebten, nach Cuvier Zeit auf halbem Wege entgegen. Die Geschichte der Erde wurde die Einleitung zur Geschichte des Menschen. Cuvier hat nicht nur den Wissenstrieb, sondern auch die Phantasie seiner Zeitgenossen zu beschäftigen gewußt. Er fügt ihnen die ungestalten Ueberreste einer vergangenen Thierwelt zu konsequenten Gebilden zusammen und schuf eine Welt, die, wenn sie auch fabelhaft ist, darum gerade unsrer Einbildungskraft so viele Nahrung gab. Wer bürgt uns, daß die Thiere, welche Cuvier zusammensezte, richtig sind, daß dieser Kopf auch wirklich dem Mastodon angehört, jene Rippe dem zwischen Fisch und Vierfuß die Mitte haltenden Urweltsamphibium! Aber wir haben diese problematische Mosaik gläubig hingenommen, weil sie so gräulich interessant ist. Jch sage hier nur, daß dieser Theil der Zoologie eine Modesache geworden ist, ohne die großen wissenschaftlichen Resultate in Zweifel zu ziehen, welche sich aus den Urweltsknochen für den Verlauf der zoologischen Naturbildung ergeben. Auch die Erdbildung beschäftigt viel die allgemeine Theilnahme; es wundert mich, daß noch kein Romantiker darauf gekommen ist, Ansichten der Urwelt zur Unterhaltung zu schreiben, etwa die Liebesgeschichte zweier Geister auf dem ersten Erdniederschlage oder philosophische Betrachtungen eines jener gewaltigen Quadrupeden, die sich durch die ungeheuern Schilfwälder der Urwelt schlichen und die, da die Menschen noch nicht lebten, nach Cuvier <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0332" n="330"/> Zeit auf halbem Wege entgegen. Die Geschichte der Erde wurde die Einleitung zur Geschichte des Menschen. <hi rendition="#g">Cuvier</hi> hat nicht nur den Wissenstrieb, sondern auch die Phantasie seiner Zeitgenossen zu beschäftigen gewußt. Er fügt ihnen die ungestalten Ueberreste einer vergangenen Thierwelt zu konsequenten Gebilden zusammen und schuf eine Welt, die, wenn sie auch fabelhaft ist, darum gerade unsrer Einbildungskraft so viele Nahrung gab. Wer bürgt uns, daß die Thiere, welche <hi rendition="#g">Cuvier</hi> zusammensezte, richtig sind, daß dieser Kopf auch wirklich dem Mastodon angehört, jene Rippe dem zwischen Fisch und Vierfuß die Mitte haltenden Urweltsamphibium! Aber wir haben diese problematische Mosaik gläubig hingenommen, weil sie so gräulich interessant ist. Jch sage hier nur, daß dieser Theil der Zoologie eine Modesache geworden ist, ohne die großen wissenschaftlichen Resultate in Zweifel zu ziehen, welche sich aus den Urweltsknochen für den Verlauf der zoologischen Naturbildung ergeben. Auch die Erdbildung beschäftigt viel die allgemeine Theilnahme; es wundert mich, daß noch kein Romantiker darauf gekommen ist, <hi rendition="#g">Ansichten der Urwelt</hi> zur Unterhaltung zu schreiben, etwa die Liebesgeschichte zweier Geister auf dem ersten Erdniederschlage oder philosophische Betrachtungen eines jener gewaltigen Quadrupeden, die sich durch die ungeheuern Schilfwälder der Urwelt schlichen und die, da die Menschen noch nicht lebten, nach <hi rendition="#g">Cuvier</hi> </p> </div> </body> </text> </TEI> [330/0332]
Zeit auf halbem Wege entgegen. Die Geschichte der Erde wurde die Einleitung zur Geschichte des Menschen. Cuvier hat nicht nur den Wissenstrieb, sondern auch die Phantasie seiner Zeitgenossen zu beschäftigen gewußt. Er fügt ihnen die ungestalten Ueberreste einer vergangenen Thierwelt zu konsequenten Gebilden zusammen und schuf eine Welt, die, wenn sie auch fabelhaft ist, darum gerade unsrer Einbildungskraft so viele Nahrung gab. Wer bürgt uns, daß die Thiere, welche Cuvier zusammensezte, richtig sind, daß dieser Kopf auch wirklich dem Mastodon angehört, jene Rippe dem zwischen Fisch und Vierfuß die Mitte haltenden Urweltsamphibium! Aber wir haben diese problematische Mosaik gläubig hingenommen, weil sie so gräulich interessant ist. Jch sage hier nur, daß dieser Theil der Zoologie eine Modesache geworden ist, ohne die großen wissenschaftlichen Resultate in Zweifel zu ziehen, welche sich aus den Urweltsknochen für den Verlauf der zoologischen Naturbildung ergeben. Auch die Erdbildung beschäftigt viel die allgemeine Theilnahme; es wundert mich, daß noch kein Romantiker darauf gekommen ist, Ansichten der Urwelt zur Unterhaltung zu schreiben, etwa die Liebesgeschichte zweier Geister auf dem ersten Erdniederschlage oder philosophische Betrachtungen eines jener gewaltigen Quadrupeden, die sich durch die ungeheuern Schilfwälder der Urwelt schlichen und die, da die Menschen noch nicht lebten, nach Cuvier
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/332 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/332>, abgerufen am 16.07.2024. |