Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrem Laufe gehemmt, so daß wir zwar alle Komplimente wissen, sie aber mit einem gewissen originellen Tik verbinden, daß man glauben möchte, wir wären manchmal wahnsinnig. Wo findet man dies mehr, als in England, und auf dem Kontinente wo mehr, als bei den Kaufleuten? Da hat Einer ein fortwährendes krampfhaftes Zucken mit dem Halse, er handelt in Staatspapieren. Einem Andern, ob er gleich noch jung und kräftig ist, zittern wie gelähmt die Hände: er hat einmal falliren müssen. Ein Dritter ist stumm und verschlossen, er hat fortwährend Schiffe auf der See, deren Assekuranzprämie weit geringer, als ihre Ladung ist. Auch die Politik treibt die Menschen aus einander; sie sind nur höflich gegen diejenigen, welche mit ihnen einerlei Meinung haben; gefühlvolle Herzen werden unempfindlich, wenn sie von nachtheiligen Zufällen derjenigen Partei hören, deren Ansichten sie nicht theilen; der sanftesten Gemüther bemächtigt sich ein unerbittlicher Rigorismus, ach und im Grunde des Herzens, unverdorbene Naturen scheuen sich nicht, ihre Finger zu einem Meineide und wohl gar ihre ganze Hand zu einem Meuchelmorde aufzuheben! Unser gesellschaftliches Benehmen kann sich schon deßhalb nicht konsequent entwickeln, weil wir gar nicht mehr die Behaglichkeit des Zusammenlebens haben, welche frühere Zeiten hatten. Durch alle unsere Verhältnisse zieht sich der gewaltige sociale Riß, diese klaffende Wunde des Jahrhunderts; wie kann sich da eine harmlose und

ihrem Laufe gehemmt, so daß wir zwar alle Komplimente wissen, sie aber mit einem gewissen originellen Tik verbinden, daß man glauben möchte, wir wären manchmal wahnsinnig. Wo findet man dies mehr, als in England, und auf dem Kontinente wo mehr, als bei den Kaufleuten? Da hat Einer ein fortwährendes krampfhaftes Zucken mit dem Halse, er handelt in Staatspapieren. Einem Andern, ob er gleich noch jung und kräftig ist, zittern wie gelähmt die Hände: er hat einmal falliren müssen. Ein Dritter ist stumm und verschlossen, er hat fortwährend Schiffe auf der See, deren Assekuranzprämie weit geringer, als ihre Ladung ist. Auch die Politik treibt die Menschen aus einander; sie sind nur höflich gegen diejenigen, welche mit ihnen einerlei Meinung haben; gefühlvolle Herzen werden unempfindlich, wenn sie von nachtheiligen Zufällen derjenigen Partei hören, deren Ansichten sie nicht theilen; der sanftesten Gemüther bemächtigt sich ein unerbittlicher Rigorismus, ach und im Grunde des Herzens, unverdorbene Naturen scheuen sich nicht, ihre Finger zu einem Meineide und wohl gar ihre ganze Hand zu einem Meuchelmorde aufzuheben! Unser gesellschaftliches Benehmen kann sich schon deßhalb nicht konsequent entwickeln, weil wir gar nicht mehr die Behaglichkeit des Zusammenlebens haben, welche frühere Zeiten hatten. Durch alle unsere Verhältnisse zieht sich der gewaltige sociale Riß, diese klaffende Wunde des Jahrhunderts; wie kann sich da eine harmlose und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0033" n="31"/>
ihrem Laufe gehemmt, so daß wir zwar alle Komplimente wissen, sie aber mit einem gewissen originellen Tik verbinden, daß man glauben möchte, wir wären manchmal wahnsinnig. Wo findet man dies mehr, als in England, und auf dem Kontinente wo mehr, als bei den Kaufleuten? Da hat Einer ein fortwährendes krampfhaftes Zucken mit dem Halse, er handelt in Staatspapieren. Einem Andern, ob er gleich noch jung und kräftig ist, zittern wie gelähmt die Hände: er hat einmal falliren müssen. Ein Dritter ist stumm und verschlossen, er hat fortwährend Schiffe auf der See, deren Assekuranzprämie weit geringer, als ihre Ladung ist. Auch die Politik treibt die Menschen aus einander; sie sind nur höflich gegen diejenigen, welche mit ihnen einerlei Meinung haben; gefühlvolle Herzen werden unempfindlich, wenn sie von nachtheiligen Zufällen derjenigen Partei hören, deren Ansichten sie nicht theilen; der sanftesten Gemüther bemächtigt sich ein unerbittlicher Rigorismus, ach und im Grunde des Herzens, unverdorbene Naturen scheuen sich nicht, ihre Finger zu einem Meineide und wohl gar ihre ganze Hand zu einem Meuchelmorde aufzuheben! Unser gesellschaftliches Benehmen kann sich schon deßhalb nicht konsequent entwickeln, weil wir gar nicht mehr die Behaglichkeit des Zusammenlebens haben, welche frühere Zeiten hatten. Durch alle unsere Verhältnisse zieht sich der gewaltige sociale Riß, diese klaffende Wunde des Jahrhunderts; wie kann sich da eine harmlose und
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0033] ihrem Laufe gehemmt, so daß wir zwar alle Komplimente wissen, sie aber mit einem gewissen originellen Tik verbinden, daß man glauben möchte, wir wären manchmal wahnsinnig. Wo findet man dies mehr, als in England, und auf dem Kontinente wo mehr, als bei den Kaufleuten? Da hat Einer ein fortwährendes krampfhaftes Zucken mit dem Halse, er handelt in Staatspapieren. Einem Andern, ob er gleich noch jung und kräftig ist, zittern wie gelähmt die Hände: er hat einmal falliren müssen. Ein Dritter ist stumm und verschlossen, er hat fortwährend Schiffe auf der See, deren Assekuranzprämie weit geringer, als ihre Ladung ist. Auch die Politik treibt die Menschen aus einander; sie sind nur höflich gegen diejenigen, welche mit ihnen einerlei Meinung haben; gefühlvolle Herzen werden unempfindlich, wenn sie von nachtheiligen Zufällen derjenigen Partei hören, deren Ansichten sie nicht theilen; der sanftesten Gemüther bemächtigt sich ein unerbittlicher Rigorismus, ach und im Grunde des Herzens, unverdorbene Naturen scheuen sich nicht, ihre Finger zu einem Meineide und wohl gar ihre ganze Hand zu einem Meuchelmorde aufzuheben! Unser gesellschaftliches Benehmen kann sich schon deßhalb nicht konsequent entwickeln, weil wir gar nicht mehr die Behaglichkeit des Zusammenlebens haben, welche frühere Zeiten hatten. Durch alle unsere Verhältnisse zieht sich der gewaltige sociale Riß, diese klaffende Wunde des Jahrhunderts; wie kann sich da eine harmlose und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/33
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/33>, abgerufen am 27.11.2024.