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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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behauptet wird und vor Allem Niemanden verlezt! Die Natur hat immer eine hinreißende Kraft; diese feine geläuterte Natur des Benehmens, welche sich aber der Kunst als Unterlage bedient, ist dasjenige, was wir an den Matadoren der Gesellschaft gern als ihren modernen Anstrich bezeichnen. Es kann über diese Virtuosität natürlich keine Vorschrift gegeben werden, weil dabei das Handwerk in einigen angelernten Formalitäten besteht, die allerdings mechanischer Art sind und vom Tanzmeister, Schwimmlehrer und Stallmeister gelehrt werden. Das Uebrige aber, was diesem Mechanismus erst die schöne Seele gibt, das ist persönliches Talent. Für den schönsten Anstand hält man jezt vollkommene Verwischung alles Formellen und alleinige Beherrschung desselben durch eine aus dem innersten Born der Ueberzeugung und des Charakters quillende Natürlichkeit.

Freilich ist dies nur ein Jdeal. Allein es wird von Jedermann anerkannt, es wird gepriesen, wenn es bei einigen gebildeten jungen Leuten sich findet. Der eckigen, schlaffen, geckenhaften Ausnahmen gibt es genug. Der eine springt, der andere schlorrt. Das Temperament ist dadurch in seine Rechte gesezt, daß man gesagt hat, Natur und immer wieder Natur! Die Menge von Sorgen, welche auf der gegenwärtigen Generation lasten, hat gleichfalls die freie und harmlose Ausbildung des Benehmens verhindert; viele recht artige und gewandte Manieren wurden plötzlich in

behauptet wird und vor Allem Niemanden verlezt! Die Natur hat immer eine hinreißende Kraft; diese feine geläuterte Natur des Benehmens, welche sich aber der Kunst als Unterlage bedient, ist dasjenige, was wir an den Matadoren der Gesellschaft gern als ihren modernen Anstrich bezeichnen. Es kann über diese Virtuosität natürlich keine Vorschrift gegeben werden, weil dabei das Handwerk in einigen angelernten Formalitäten besteht, die allerdings mechanischer Art sind und vom Tanzmeister, Schwimmlehrer und Stallmeister gelehrt werden. Das Uebrige aber, was diesem Mechanismus erst die schöne Seele gibt, das ist persönliches Talent. Für den schönsten Anstand hält man jezt vollkommene Verwischung alles Formellen und alleinige Beherrschung desselben durch eine aus dem innersten Born der Ueberzeugung und des Charakters quillende Natürlichkeit.

Freilich ist dies nur ein Jdeal. Allein es wird von Jedermann anerkannt, es wird gepriesen, wenn es bei einigen gebildeten jungen Leuten sich findet. Der eckigen, schlaffen, geckenhaften Ausnahmen gibt es genug. Der eine springt, der andere schlorrt. Das Temperament ist dadurch in seine Rechte gesezt, daß man gesagt hat, Natur und immer wieder Natur! Die Menge von Sorgen, welche auf der gegenwärtigen Generation lasten, hat gleichfalls die freie und harmlose Ausbildung des Benehmens verhindert; viele recht artige und gewandte Manieren wurden plötzlich in

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[30/0032] behauptet wird und vor Allem Niemanden verlezt! Die Natur hat immer eine hinreißende Kraft; diese feine geläuterte Natur des Benehmens, welche sich aber der Kunst als Unterlage bedient, ist dasjenige, was wir an den Matadoren der Gesellschaft gern als ihren modernen Anstrich bezeichnen. Es kann über diese Virtuosität natürlich keine Vorschrift gegeben werden, weil dabei das Handwerk in einigen angelernten Formalitäten besteht, die allerdings mechanischer Art sind und vom Tanzmeister, Schwimmlehrer und Stallmeister gelehrt werden. Das Uebrige aber, was diesem Mechanismus erst die schöne Seele gibt, das ist persönliches Talent. Für den schönsten Anstand hält man jezt vollkommene Verwischung alles Formellen und alleinige Beherrschung desselben durch eine aus dem innersten Born der Ueberzeugung und des Charakters quillende Natürlichkeit. Freilich ist dies nur ein Jdeal. Allein es wird von Jedermann anerkannt, es wird gepriesen, wenn es bei einigen gebildeten jungen Leuten sich findet. Der eckigen, schlaffen, geckenhaften Ausnahmen gibt es genug. Der eine springt, der andere schlorrt. Das Temperament ist dadurch in seine Rechte gesezt, daß man gesagt hat, Natur und immer wieder Natur! Die Menge von Sorgen, welche auf der gegenwärtigen Generation lasten, hat gleichfalls die freie und harmlose Ausbildung des Benehmens verhindert; viele recht artige und gewandte Manieren wurden plötzlich in

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/32>, abgerufen am 21.11.2024.