Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.vervielfältigen und wieder zu verkaufen; könnte man sie aber nicht füglich fragen, ob man mit einem gekauften Stocke thun könne, was man wolle und schlagen, wen man wolle? Sodann behaupten sie in der That, und wie mich anders gesinnte Kenner des römischen Rechts versichern mit allzugroßer und unbegründeter Keckheit, daß man jedes Gewerb treiben, jeden Gewinn machen könne, wenn man dadurch auch die Existenz des Andern untergräbt, daß man sich einen Brunnen in seinem Garten graben könne, wenn man dadurch auch dem Nachbar das Wasser abschneidet. Man muß nur ein wenig mit dem römischen Rechte vertraut seyn, um zu wissen, daß der Römer das Meiste, was zu den unmittelbaren Gaben der Natur gehört, wo möglich freigab, daß er das Graben eines Brunnens für ein natürliches, im Bedürfniß gegründetes Recht hält. Weit mehr scheint mir noch dies andere Beispiel von doppeltem Jnteresse, dessen sich die ersten Anfänger der Jnstitutionen noch erinnern werden, für einen selbst dem römischen Recht nicht fehlenden Grundsatz der Billigkeit, wie wir ihn für das römische Recht in Anspruch nehmen, zu streiten. Wenn nämlich aus des Nachbars Garten ein Baum mit seinen Zweigen herüberhängt, so kann ich diese zwar abschneiden, wenn sie mir die Aussicht versperren und meinem Eigenthum schädlich sind. Allein laß ich sie hängen, so gehört die Frucht davon nicht mir, sondern dem Nachbar, der das Recht hat, zu vervielfältigen und wieder zu verkaufen; könnte man sie aber nicht füglich fragen, ob man mit einem gekauften Stocke thun könne, was man wolle und schlagen, wen man wolle? Sodann behaupten sie in der That, und wie mich anders gesinnte Kenner des römischen Rechts versichern mit allzugroßer und unbegründeter Keckheit, daß man jedes Gewerb treiben, jeden Gewinn machen könne, wenn man dadurch auch die Existenz des Andern untergräbt, daß man sich einen Brunnen in seinem Garten graben könne, wenn man dadurch auch dem Nachbar das Wasser abschneidet. Man muß nur ein wenig mit dem römischen Rechte vertraut seyn, um zu wissen, daß der Römer das Meiste, was zu den unmittelbaren Gaben der Natur gehört, wo möglich freigab, daß er das Graben eines Brunnens für ein natürliches, im Bedürfniß gegründetes Recht hält. Weit mehr scheint mir noch dies andere Beispiel von doppeltem Jnteresse, dessen sich die ersten Anfänger der Jnstitutionen noch erinnern werden, für einen selbst dem römischen Recht nicht fehlenden Grundsatz der Billigkeit, wie wir ihn für das römische Recht in Anspruch nehmen, zu streiten. Wenn nämlich aus des Nachbars Garten ein Baum mit seinen Zweigen herüberhängt, so kann ich diese zwar abschneiden, wenn sie mir die Aussicht versperren und meinem Eigenthum schädlich sind. Allein laß ich sie hängen, so gehört die Frucht davon nicht mir, sondern dem Nachbar, der das Recht hat, zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0305" n="303"/> vervielfältigen und wieder zu verkaufen; könnte man sie aber nicht füglich fragen, ob man mit einem gekauften Stocke thun könne, was man wolle und schlagen, wen man wolle? Sodann behaupten sie in der That, und wie mich anders gesinnte Kenner des römischen Rechts versichern mit allzugroßer und unbegründeter Keckheit, daß man jedes Gewerb treiben, jeden Gewinn machen könne, wenn man dadurch auch die Existenz des Andern untergräbt, daß man sich einen Brunnen in seinem Garten graben könne, wenn man dadurch auch dem Nachbar das Wasser abschneidet. Man muß nur ein wenig mit dem römischen Rechte vertraut seyn, um zu wissen, daß der Römer das Meiste, was zu den unmittelbaren Gaben der Natur gehört, wo möglich freigab, daß er das Graben eines Brunnens für ein natürliches, im Bedürfniß gegründetes Recht hält. Weit mehr scheint mir noch dies andere Beispiel von doppeltem Jnteresse, dessen sich die ersten Anfänger der Jnstitutionen noch erinnern werden, für einen selbst dem römischen Recht nicht fehlenden Grundsatz der Billigkeit, wie wir ihn für das römische Recht in Anspruch nehmen, zu streiten. Wenn nämlich aus des Nachbars Garten ein Baum mit seinen Zweigen herüberhängt, so kann ich diese zwar abschneiden, wenn sie mir die Aussicht versperren und meinem Eigenthum schädlich sind. Allein laß ich sie hängen, so gehört die Frucht davon nicht mir, sondern dem Nachbar, der das Recht hat, zu </p> </div> </body> </text> </TEI> [303/0305]
vervielfältigen und wieder zu verkaufen; könnte man sie aber nicht füglich fragen, ob man mit einem gekauften Stocke thun könne, was man wolle und schlagen, wen man wolle? Sodann behaupten sie in der That, und wie mich anders gesinnte Kenner des römischen Rechts versichern mit allzugroßer und unbegründeter Keckheit, daß man jedes Gewerb treiben, jeden Gewinn machen könne, wenn man dadurch auch die Existenz des Andern untergräbt, daß man sich einen Brunnen in seinem Garten graben könne, wenn man dadurch auch dem Nachbar das Wasser abschneidet. Man muß nur ein wenig mit dem römischen Rechte vertraut seyn, um zu wissen, daß der Römer das Meiste, was zu den unmittelbaren Gaben der Natur gehört, wo möglich freigab, daß er das Graben eines Brunnens für ein natürliches, im Bedürfniß gegründetes Recht hält. Weit mehr scheint mir noch dies andere Beispiel von doppeltem Jnteresse, dessen sich die ersten Anfänger der Jnstitutionen noch erinnern werden, für einen selbst dem römischen Recht nicht fehlenden Grundsatz der Billigkeit, wie wir ihn für das römische Recht in Anspruch nehmen, zu streiten. Wenn nämlich aus des Nachbars Garten ein Baum mit seinen Zweigen herüberhängt, so kann ich diese zwar abschneiden, wenn sie mir die Aussicht versperren und meinem Eigenthum schädlich sind. Allein laß ich sie hängen, so gehört die Frucht davon nicht mir, sondern dem Nachbar, der das Recht hat, zu
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/305 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/305>, abgerufen am 16.02.2025. |