Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.frühern Tradition oder kommen wohl gar aus der Garderobe des Theaters. Dieselbe Unbefangenheit, welche in unsrer Tracht herrscht, herrscht auch in unserm Benehmen. Das vorige Jahrhundert war darin weit bedächtiger und erfand, da die Sitten abgeschafft waren, einen Ersatz dafür im Ceremoniell und der Etikette. Was damals freie Bewegung hieß, feiner Ton und Unabhängigkeit von der Landessitte, das war in China gerade allgemeine Volkssitte. Jenes Ceremoniell konnte nur noch vor der Revolution gelten, als der dritte Stand noch nicht seine berühmte Nacht im Ballhause gefeiert hatte. Der Unterschied der Stände liegt größtentheils jener Etikette zum Grunde, die sich auf unsre Zeit noch unter dem Namen Höflichkeit und feines Benehmen vererbt hat. Gestürzt wurde dieser gesellschaftliche Pedantismus mit dem wiederbelebten Sinn für die Natur, die Einfachheit ihrer Gesetze und eine veredelte und geläuterte Kunsttheorie. Für unsre Zeit kann man überzeugt seyn, wenig beliebte Tanzmeister mehr zu finden, die nicht alle die Vorschriften, welche sie über Gehen und Stehen, über Rückgratsbiegungen und Schenkelerhebungen machen, noch von dem unterwürfigen Respekt gegen andere, sondern von der Grazie der freien Bewegung ausgehen ließen, von der Hogarthischen Wellenlinie, die um ihrer selbst willen da ist und sich nicht schlängelt aus Servilismus, sondern aus Aesthetik. Ob man den Hut von der rechten frühern Tradition oder kommen wohl gar aus der Garderobe des Theaters. Dieselbe Unbefangenheit, welche in unsrer Tracht herrscht, herrscht auch in unserm Benehmen. Das vorige Jahrhundert war darin weit bedächtiger und erfand, da die Sitten abgeschafft waren, einen Ersatz dafür im Ceremoniell und der Etikette. Was damals freie Bewegung hieß, feiner Ton und Unabhängigkeit von der Landessitte, das war in China gerade allgemeine Volkssitte. Jenes Ceremoniell konnte nur noch vor der Revolution gelten, als der dritte Stand noch nicht seine berühmte Nacht im Ballhause gefeiert hatte. Der Unterschied der Stände liegt größtentheils jener Etikette zum Grunde, die sich auf unsre Zeit noch unter dem Namen Höflichkeit und feines Benehmen vererbt hat. Gestürzt wurde dieser gesellschaftliche Pedantismus mit dem wiederbelebten Sinn für die Natur, die Einfachheit ihrer Gesetze und eine veredelte und geläuterte Kunsttheorie. Für unsre Zeit kann man überzeugt seyn, wenig beliebte Tanzmeister mehr zu finden, die nicht alle die Vorschriften, welche sie über Gehen und Stehen, über Rückgratsbiegungen und Schenkelerhebungen machen, noch von dem unterwürfigen Respekt gegen andere, sondern von der Grazie der freien Bewegung ausgehen ließen, von der Hogarthischen Wellenlinie, die um ihrer selbst willen da ist und sich nicht schlängelt aus Servilismus, sondern aus Aesthetik. Ob man den Hut von der rechten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0030" n="28"/> frühern Tradition oder kommen wohl gar aus der Garderobe des <hi rendition="#g">Theaters</hi>.</p> <p>Dieselbe Unbefangenheit, welche in unsrer Tracht herrscht, herrscht auch in unserm Benehmen. Das vorige Jahrhundert war darin weit bedächtiger und erfand, da die Sitten abgeschafft waren, einen Ersatz dafür im Ceremoniell und der Etikette. Was damals freie Bewegung hieß, feiner Ton und Unabhängigkeit von der Landessitte, das war in China gerade allgemeine <hi rendition="#g">Volkssitte</hi>. Jenes Ceremoniell konnte nur noch vor der Revolution gelten, als der dritte Stand noch nicht seine berühmte Nacht im Ballhause gefeiert hatte. Der Unterschied der Stände liegt größtentheils jener Etikette zum Grunde, die sich auf unsre Zeit noch unter dem Namen Höflichkeit und feines Benehmen vererbt hat. Gestürzt wurde dieser gesellschaftliche Pedantismus mit dem wiederbelebten Sinn für die Natur, die Einfachheit ihrer Gesetze und eine veredelte und geläuterte Kunsttheorie. Für unsre Zeit kann man überzeugt seyn, wenig beliebte Tanzmeister mehr zu finden, die nicht alle die Vorschriften, welche sie über Gehen und Stehen, über Rückgratsbiegungen und Schenkelerhebungen machen, noch von dem unterwürfigen Respekt gegen andere, sondern von der Grazie der freien Bewegung ausgehen ließen, von der Hogarthischen Wellenlinie, die um ihrer selbst willen da ist und sich nicht schlängelt aus Servilismus, sondern aus Aesthetik. Ob man den Hut von der rechten </p> </div> </body> </text> </TEI> [28/0030]
frühern Tradition oder kommen wohl gar aus der Garderobe des Theaters.
Dieselbe Unbefangenheit, welche in unsrer Tracht herrscht, herrscht auch in unserm Benehmen. Das vorige Jahrhundert war darin weit bedächtiger und erfand, da die Sitten abgeschafft waren, einen Ersatz dafür im Ceremoniell und der Etikette. Was damals freie Bewegung hieß, feiner Ton und Unabhängigkeit von der Landessitte, das war in China gerade allgemeine Volkssitte. Jenes Ceremoniell konnte nur noch vor der Revolution gelten, als der dritte Stand noch nicht seine berühmte Nacht im Ballhause gefeiert hatte. Der Unterschied der Stände liegt größtentheils jener Etikette zum Grunde, die sich auf unsre Zeit noch unter dem Namen Höflichkeit und feines Benehmen vererbt hat. Gestürzt wurde dieser gesellschaftliche Pedantismus mit dem wiederbelebten Sinn für die Natur, die Einfachheit ihrer Gesetze und eine veredelte und geläuterte Kunsttheorie. Für unsre Zeit kann man überzeugt seyn, wenig beliebte Tanzmeister mehr zu finden, die nicht alle die Vorschriften, welche sie über Gehen und Stehen, über Rückgratsbiegungen und Schenkelerhebungen machen, noch von dem unterwürfigen Respekt gegen andere, sondern von der Grazie der freien Bewegung ausgehen ließen, von der Hogarthischen Wellenlinie, die um ihrer selbst willen da ist und sich nicht schlängelt aus Servilismus, sondern aus Aesthetik. Ob man den Hut von der rechten
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/30>, abgerufen am 16.02.2025. |