Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.gefrornen Traditionen der Gesetzgebungen scheinen, sie sicherten dem Jndividuum sein positives und sein menschliches Recht und selbst noch, wenn es verscherzt war, sicherte die Wissenschaft dem Verbrecher gerechtes Urtheil und die Möglichkeit einer reuigen Bekehrung. Auch den höchsten Wahrheiten entzog sich ihr redlicher Beistand nicht; die Wissenschaften schüzten uns, daß wir aus der Andacht keine todte Tugend machten, und wir, in dem Drange, an das Unvernünftige uns hinzugeben, etwa an das Gegenvernünftige uns überantworten würden. Die Wissenschaften haben in diesem Bereiche schönere Früchte gezeitigt, als die Künste, denen das Gebiet eigentlich gehören sollte. Ach, wir sahen, daß diese, statt zu veredeln, selten aus dem Dunkel der Verflachung zum Lichte der Schönheit rangen; wo sie hätten segnen sollen, fluchten sie, wo den Streit mildern, fachten sie ihn an. Da haben die Wissenschaften oft ihre Stelle vertreten; denn in manchen Richtungen der Naturwissenschaft lag mehr Poesie, als in der gleichzeitigen Kunst; die wunderbarsten Verknüpfungen zwischen den trockensten Spekulationen der Fachwissenschaften und dem höhern Daseyn der Menschheit haben Statt gefunden, wie auch dadurch die Dichtkunst eine so schwierige Stellung erhalten hat, daß es scheint, als müsse sie hinfort den ganzen Jdeenreichthum in sich aufnehmen, den die Wissenschaften nicht nur entwickelten, sondern auch poetisch auf die Gemüther manchmal konnten wirken gefrornen Traditionen der Gesetzgebungen scheinen, sie sicherten dem Jndividuum sein positives und sein menschliches Recht und selbst noch, wenn es verscherzt war, sicherte die Wissenschaft dem Verbrecher gerechtes Urtheil und die Möglichkeit einer reuigen Bekehrung. Auch den höchsten Wahrheiten entzog sich ihr redlicher Beistand nicht; die Wissenschaften schüzten uns, daß wir aus der Andacht keine todte Tugend machten, und wir, in dem Drange, an das Unvernünftige uns hinzugeben, etwa an das Gegenvernünftige uns überantworten würden. Die Wissenschaften haben in diesem Bereiche schönere Früchte gezeitigt, als die Künste, denen das Gebiet eigentlich gehören sollte. Ach, wir sahen, daß diese, statt zu veredeln, selten aus dem Dunkel der Verflachung zum Lichte der Schönheit rangen; wo sie hätten segnen sollen, fluchten sie, wo den Streit mildern, fachten sie ihn an. Da haben die Wissenschaften oft ihre Stelle vertreten; denn in manchen Richtungen der Naturwissenschaft lag mehr Poesie, als in der gleichzeitigen Kunst; die wunderbarsten Verknüpfungen zwischen den trockensten Spekulationen der Fachwissenschaften und dem höhern Daseyn der Menschheit haben Statt gefunden, wie auch dadurch die Dichtkunst eine so schwierige Stellung erhalten hat, daß es scheint, als müsse sie hinfort den ganzen Jdeenreichthum in sich aufnehmen, den die Wissenschaften nicht nur entwickelten, sondern auch poetisch auf die Gemüther manchmal konnten wirken <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0297" n="295"/> gefrornen Traditionen der Gesetzgebungen scheinen, sie sicherten dem Jndividuum sein positives und sein menschliches Recht und selbst noch, wenn es verscherzt war, sicherte die Wissenschaft dem Verbrecher gerechtes Urtheil und die Möglichkeit einer reuigen Bekehrung. Auch den höchsten Wahrheiten entzog sich ihr redlicher Beistand nicht; die Wissenschaften schüzten uns, daß wir aus der Andacht keine todte Tugend machten, und wir, in dem Drange, an das Unvernünftige uns hinzugeben, etwa an das Gegenvernünftige uns überantworten würden. Die Wissenschaften haben in diesem Bereiche schönere Früchte gezeitigt, als die Künste, denen das Gebiet eigentlich gehören sollte. Ach, wir sahen, daß <hi rendition="#g">diese</hi>, statt zu veredeln, selten aus dem Dunkel der Verflachung zum Lichte der Schönheit rangen; wo sie hätten segnen sollen, fluchten sie, wo den Streit mildern, fachten sie ihn an. Da haben die Wissenschaften oft ihre Stelle vertreten; denn in manchen Richtungen der Naturwissenschaft lag mehr Poesie, als in der gleichzeitigen Kunst; die wunderbarsten Verknüpfungen zwischen den trockensten Spekulationen der Fachwissenschaften und dem höhern Daseyn der Menschheit haben Statt gefunden, wie auch dadurch die Dichtkunst eine so schwierige Stellung erhalten hat, daß es scheint, als müsse <hi rendition="#g">sie</hi> hinfort den ganzen Jdeenreichthum in sich aufnehmen, den die Wissenschaften nicht nur entwickelten, sondern auch poetisch auf die Gemüther manchmal konnten wirken </p> </div> </body> </text> </TEI> [295/0297]
gefrornen Traditionen der Gesetzgebungen scheinen, sie sicherten dem Jndividuum sein positives und sein menschliches Recht und selbst noch, wenn es verscherzt war, sicherte die Wissenschaft dem Verbrecher gerechtes Urtheil und die Möglichkeit einer reuigen Bekehrung. Auch den höchsten Wahrheiten entzog sich ihr redlicher Beistand nicht; die Wissenschaften schüzten uns, daß wir aus der Andacht keine todte Tugend machten, und wir, in dem Drange, an das Unvernünftige uns hinzugeben, etwa an das Gegenvernünftige uns überantworten würden. Die Wissenschaften haben in diesem Bereiche schönere Früchte gezeitigt, als die Künste, denen das Gebiet eigentlich gehören sollte. Ach, wir sahen, daß diese, statt zu veredeln, selten aus dem Dunkel der Verflachung zum Lichte der Schönheit rangen; wo sie hätten segnen sollen, fluchten sie, wo den Streit mildern, fachten sie ihn an. Da haben die Wissenschaften oft ihre Stelle vertreten; denn in manchen Richtungen der Naturwissenschaft lag mehr Poesie, als in der gleichzeitigen Kunst; die wunderbarsten Verknüpfungen zwischen den trockensten Spekulationen der Fachwissenschaften und dem höhern Daseyn der Menschheit haben Statt gefunden, wie auch dadurch die Dichtkunst eine so schwierige Stellung erhalten hat, daß es scheint, als müsse sie hinfort den ganzen Jdeenreichthum in sich aufnehmen, den die Wissenschaften nicht nur entwickelten, sondern auch poetisch auf die Gemüther manchmal konnten wirken
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/297>, abgerufen am 16.02.2025. |