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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Richtungen, welche neuere Dichter genommen haben, doch immer wieder eine Straße, wo sie auf die Gegenwart zurückkommen und namentlich durch die großen historischen Ereignisse verführt, die wir erlebt haben, suchen, gerade dem Augenblick Seiten abzugewinnen, die zwar immer poetisch seyn sollen, aber auch eine Antheilnahme an der sozialen Bewegung unsers Jahrhunderts in sich schließen. Dies gab der modernen Poesie einen doktrinären Charakter.

Von jeher bezeichnet die Poesie eines Volkes auch die Höhe der geistigen Kultur, auf der es sich befand. Sie schloß sich hurtig den Jnteressen des Publikums an und gab von jeher gern die Eindrücke der Oeffentlichkeit wieder. Die Poesie mußte diese Einwirkung noch um so mehr erfahren, als sie in neurer Zeit mit dem Aufschwung der Wissenschaften und der Bildung des Geschmacks, verwilderten Perioden gegenüber, eng verschwistert war. Die Poesie verwandelte sich aus einer Verherrlichung des Lebens, wie es die Menschen umgab, in eine Erzieherin desselben, und, da es widerstrebte, in eine Gegnerin. Der Jdealismus der Dichter wurde um so überschwenglicher, als es ihm wirklich gelang, manche Partien des Lebens und Charakters ihrer Zeitgenossen zu veredeln und zu verschönern. Dennoch gelang es der Poesie nicht, in ihrem Bereiche jene Harmonie herzustellen, welche in frühern Zeiten das politische Leben zusammenhielt. Da die Poesie, wie alle Kunst in neuerer Zeit eine

Richtungen, welche neuere Dichter genommen haben, doch immer wieder eine Straße, wo sie auf die Gegenwart zurückkommen und namentlich durch die großen historischen Ereignisse verführt, die wir erlebt haben, suchen, gerade dem Augenblick Seiten abzugewinnen, die zwar immer poetisch seyn sollen, aber auch eine Antheilnahme an der sozialen Bewegung unsers Jahrhunderts in sich schließen. Dies gab der modernen Poesie einen doktrinären Charakter.

Von jeher bezeichnet die Poesie eines Volkes auch die Höhe der geistigen Kultur, auf der es sich befand. Sie schloß sich hurtig den Jnteressen des Publikums an und gab von jeher gern die Eindrücke der Oeffentlichkeit wieder. Die Poesie mußte diese Einwirkung noch um so mehr erfahren, als sie in neurer Zeit mit dem Aufschwung der Wissenschaften und der Bildung des Geschmacks, verwilderten Perioden gegenüber, eng verschwistert war. Die Poesie verwandelte sich aus einer Verherrlichung des Lebens, wie es die Menschen umgab, in eine Erzieherin desselben, und, da es widerstrebte, in eine Gegnerin. Der Jdealismus der Dichter wurde um so überschwenglicher, als es ihm wirklich gelang, manche Partien des Lebens und Charakters ihrer Zeitgenossen zu veredeln und zu verschönern. Dennoch gelang es der Poesie nicht, in ihrem Bereiche jene Harmonie herzustellen, welche in frühern Zeiten das politische Leben zusammenhielt. Da die Poesie, wie alle Kunst in neuerer Zeit eine

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[282/0284] Richtungen, welche neuere Dichter genommen haben, doch immer wieder eine Straße, wo sie auf die Gegenwart zurückkommen und namentlich durch die großen historischen Ereignisse verführt, die wir erlebt haben, suchen, gerade dem Augenblick Seiten abzugewinnen, die zwar immer poetisch seyn sollen, aber auch eine Antheilnahme an der sozialen Bewegung unsers Jahrhunderts in sich schließen. Dies gab der modernen Poesie einen doktrinären Charakter. Von jeher bezeichnet die Poesie eines Volkes auch die Höhe der geistigen Kultur, auf der es sich befand. Sie schloß sich hurtig den Jnteressen des Publikums an und gab von jeher gern die Eindrücke der Oeffentlichkeit wieder. Die Poesie mußte diese Einwirkung noch um so mehr erfahren, als sie in neurer Zeit mit dem Aufschwung der Wissenschaften und der Bildung des Geschmacks, verwilderten Perioden gegenüber, eng verschwistert war. Die Poesie verwandelte sich aus einer Verherrlichung des Lebens, wie es die Menschen umgab, in eine Erzieherin desselben, und, da es widerstrebte, in eine Gegnerin. Der Jdealismus der Dichter wurde um so überschwenglicher, als es ihm wirklich gelang, manche Partien des Lebens und Charakters ihrer Zeitgenossen zu veredeln und zu verschönern. Dennoch gelang es der Poesie nicht, in ihrem Bereiche jene Harmonie herzustellen, welche in frühern Zeiten das politische Leben zusammenhielt. Da die Poesie, wie alle Kunst in neuerer Zeit eine

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/284>, abgerufen am 22.11.2024.