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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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den markigen Tugenden, welche man gern durch didaktische Poesie den Namen wieder eingepflanzt hätte, allein diese Gesichtspunkte fehlen den neuern Dichtern, wenn sie sich in alten Zuständen bewegen, gänzlich. Sie streben ohne allen andern Zweck nur nach der Poesie. Sie vermissen bei uns jene Relationen, die nur im Alterthum in poetische Konflikte gerathen konnten und es findet sich nicht selten, daß Dichter, die mit Herz und Mund der neuesten Zeit angehören, für ihre Dichtungen sich nur an das Mittelalter lehnen können. Endlich beutet die dramatische Poesie (man denke nur an Victor Hugo) auch in ihrem Jnteresse die Vergangenheit aus, allein entweder will sie dann gerade der Gegenwart einen ironischen Spiegel vorhalten, oder die alte Geschichte ist nur ein Sattel, unter welchem sie das rohe Fleisch der Leidenschaften, die sie gern zu Hebeln eines Drama's gemacht hätte, mürbe reitet. Bei Viktor Hugo sind die Stoffe, die er wählt, ganz unwesentlich, und das Jnteresse und Zeichen der neuern Poesie liegt gerade in dem, was er aus den alten Stoffen ausbeutet oder in sie hineinträgt, in den gewaltigen Leidenschaften, in deren wechselseitiger Vernichtung er das Wesen der Tragödien sieht. So ist denn mit einem Worte die neuere Poesie trotz ihrer Anknüpfungen an frühere Zustände immer in unmittelbarer Nähe des Momentes; sie bekämpft ihn, sie unterwühlt ihn, sie verachtet ihn, indem sie ihn ignorirt. Es liegt in all den beliebigen

den markigen Tugenden, welche man gern durch didaktische Poesie den Namen wieder eingepflanzt hätte, allein diese Gesichtspunkte fehlen den neuern Dichtern, wenn sie sich in alten Zuständen bewegen, gänzlich. Sie streben ohne allen andern Zweck nur nach der Poesie. Sie vermissen bei uns jene Relationen, die nur im Alterthum in poetische Konflikte gerathen konnten und es findet sich nicht selten, daß Dichter, die mit Herz und Mund der neuesten Zeit angehören, für ihre Dichtungen sich nur an das Mittelalter lehnen können. Endlich beutet die dramatische Poesie (man denke nur an Victor Hugo) auch in ihrem Jnteresse die Vergangenheit aus, allein entweder will sie dann gerade der Gegenwart einen ironischen Spiegel vorhalten, oder die alte Geschichte ist nur ein Sattel, unter welchem sie das rohe Fleisch der Leidenschaften, die sie gern zu Hebeln eines Drama’s gemacht hätte, mürbe reitet. Bei Viktor Hugo sind die Stoffe, die er wählt, ganz unwesentlich, und das Jnteresse und Zeichen der neuern Poesie liegt gerade in dem, was er aus den alten Stoffen ausbeutet oder in sie hineinträgt, in den gewaltigen Leidenschaften, in deren wechselseitiger Vernichtung er das Wesen der Tragödien sieht. So ist denn mit einem Worte die neuere Poesie trotz ihrer Anknüpfungen an frühere Zustände immer in unmittelbarer Nähe des Momentes; sie bekämpft ihn, sie unterwühlt ihn, sie verachtet ihn, indem sie ihn ignorirt. Es liegt in all den beliebigen

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den markigen Tugenden, welche man gern durch didaktische Poesie den Namen wieder eingepflanzt hätte, allein diese Gesichtspunkte fehlen den neuern Dichtern, wenn sie sich in alten Zuständen bewegen, gänzlich. Sie streben ohne allen andern Zweck nur nach der Poesie. Sie vermissen bei uns jene Relationen, die nur im Alterthum in poetische Konflikte gerathen konnten und es findet sich nicht selten, daß Dichter, die mit Herz und Mund der neuesten Zeit angehören, für ihre Dichtungen sich nur an das Mittelalter lehnen können. Endlich beutet die dramatische Poesie (man denke nur an <hi rendition="#g">Victor Hugo</hi>) auch in ihrem Jnteresse die Vergangenheit aus, allein entweder will sie dann gerade der Gegenwart einen ironischen Spiegel vorhalten, oder die alte Geschichte ist nur ein Sattel, unter welchem sie das rohe Fleisch der Leidenschaften, die sie gern zu Hebeln eines Drama&#x2019;s gemacht hätte, mürbe reitet. Bei <hi rendition="#g">Viktor Hugo</hi> sind die Stoffe, die er wählt, ganz unwesentlich, und das Jnteresse und Zeichen der neuern Poesie liegt gerade in dem, was er aus den alten Stoffen ausbeutet oder in sie hineinträgt, in den gewaltigen Leidenschaften, in deren wechselseitiger Vernichtung er das Wesen der Tragödien sieht. So ist denn mit einem Worte die neuere Poesie trotz ihrer Anknüpfungen an frühere Zustände immer in unmittelbarer Nähe des Momentes; sie bekämpft ihn, sie unterwühlt ihn, sie verachtet ihn, indem sie ihn ignorirt. Es liegt in all den beliebigen
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[281/0283] den markigen Tugenden, welche man gern durch didaktische Poesie den Namen wieder eingepflanzt hätte, allein diese Gesichtspunkte fehlen den neuern Dichtern, wenn sie sich in alten Zuständen bewegen, gänzlich. Sie streben ohne allen andern Zweck nur nach der Poesie. Sie vermissen bei uns jene Relationen, die nur im Alterthum in poetische Konflikte gerathen konnten und es findet sich nicht selten, daß Dichter, die mit Herz und Mund der neuesten Zeit angehören, für ihre Dichtungen sich nur an das Mittelalter lehnen können. Endlich beutet die dramatische Poesie (man denke nur an Victor Hugo) auch in ihrem Jnteresse die Vergangenheit aus, allein entweder will sie dann gerade der Gegenwart einen ironischen Spiegel vorhalten, oder die alte Geschichte ist nur ein Sattel, unter welchem sie das rohe Fleisch der Leidenschaften, die sie gern zu Hebeln eines Drama’s gemacht hätte, mürbe reitet. Bei Viktor Hugo sind die Stoffe, die er wählt, ganz unwesentlich, und das Jnteresse und Zeichen der neuern Poesie liegt gerade in dem, was er aus den alten Stoffen ausbeutet oder in sie hineinträgt, in den gewaltigen Leidenschaften, in deren wechselseitiger Vernichtung er das Wesen der Tragödien sieht. So ist denn mit einem Worte die neuere Poesie trotz ihrer Anknüpfungen an frühere Zustände immer in unmittelbarer Nähe des Momentes; sie bekämpft ihn, sie unterwühlt ihn, sie verachtet ihn, indem sie ihn ignorirt. Es liegt in all den beliebigen

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Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/283>, abgerufen am 22.11.2024.