Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Thränen aus. Er öffnet das Fenster. Es ist heller Mondschein. Er sieht nichts als Häuser, Dächer, Kirchthürme, Katzen und Marder, die auf ihnen spazieren gehen. Um es recht natürlich zu machen, muß auch ein großer Topf Hauslauf dicht an seinem Fenster wachsen. Jezt entdecken wir, daß Martin in einem Winkel eine Guitarre versteckt hat. Er muß uns einige seiner Lieder vortragen, in welchen Gottvertrauen, Hingebung und die großen Tugenden der Freundschaft und Liebe ganz mit jenen erhabenen Worten gefeiert werden, wie wir vom vorigen Jahrhundert die Dichtkunst überkommen haben. Der Schwung muß odenartig, die Begeisterung dithyrambisch seyn. Sanfter Friede liegt auf diesen Eingebungen, Gott und die Sterne bilden den Vor- und Hintergrund derselben. Da klopft es an seine Thür und Gretchen tritt herein, die Meisterstochter, Drohungen zwar vom Vater noch bringend, sie aber durch Trost und liebevollen Zuspruch mildernd. Martin, von Scham über seine Lage ergriffen, den Unterschied zwischen der Guitarre und ein Paar zugeschnittnen Stiefeln bedenkend, hingerissen von dem Gott, der in ihm wohnt, ruft aus: "Auch ich bin ein Maler," und rüstet sich zur heimlichen Flucht. Gretchen widerspricht ihm nicht, nimmt aber das Gelübde ewiger Liebe von ihm, hilft ihm weinend und verzweifelnd seine sieben Sachen packen, und zur Stunde, wo alles schläft, schleicht er mit einem Thränen aus. Er öffnet das Fenster. Es ist heller Mondschein. Er sieht nichts als Häuser, Dächer, Kirchthürme, Katzen und Marder, die auf ihnen spazieren gehen. Um es recht natürlich zu machen, muß auch ein großer Topf Hauslauf dicht an seinem Fenster wachsen. Jezt entdecken wir, daß Martin in einem Winkel eine Guitarre versteckt hat. Er muß uns einige seiner Lieder vortragen, in welchen Gottvertrauen, Hingebung und die großen Tugenden der Freundschaft und Liebe ganz mit jenen erhabenen Worten gefeiert werden, wie wir vom vorigen Jahrhundert die Dichtkunst überkommen haben. Der Schwung muß odenartig, die Begeisterung dithyrambisch seyn. Sanfter Friede liegt auf diesen Eingebungen, Gott und die Sterne bilden den Vor- und Hintergrund derselben. Da klopft es an seine Thür und Gretchen tritt herein, die Meisterstochter, Drohungen zwar vom Vater noch bringend, sie aber durch Trost und liebevollen Zuspruch mildernd. Martin, von Scham über seine Lage ergriffen, den Unterschied zwischen der Guitarre und ein Paar zugeschnittnen Stiefeln bedenkend, hingerissen von dem Gott, der in ihm wohnt, ruft aus: "Auch ich bin ein Maler," und rüstet sich zur heimlichen Flucht. Gretchen widerspricht ihm nicht, nimmt aber das Gelübde ewiger Liebe von ihm, hilft ihm weinend und verzweifelnd seine sieben Sachen packen, und zur Stunde, wo alles schläft, schleicht er mit einem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0262" n="260"/> Thränen aus. Er öffnet das Fenster. Es ist heller Mondschein. Er sieht nichts als Häuser, Dächer, Kirchthürme, Katzen und Marder, die auf ihnen spazieren gehen. Um es recht natürlich zu machen, muß auch ein großer Topf Hauslauf dicht an seinem Fenster wachsen. Jezt entdecken wir, daß <hi rendition="#g">Martin</hi> in einem Winkel eine Guitarre versteckt hat. Er muß uns einige seiner Lieder vortragen, in welchen Gottvertrauen, Hingebung und die großen Tugenden der Freundschaft und Liebe ganz mit jenen erhabenen Worten gefeiert werden, wie wir vom vorigen Jahrhundert die Dichtkunst überkommen haben. Der Schwung muß odenartig, die Begeisterung dithyrambisch seyn. Sanfter Friede liegt auf diesen Eingebungen, Gott und die Sterne bilden den Vor- und Hintergrund derselben. Da klopft es an seine Thür und <hi rendition="#g">Gretchen</hi> tritt herein, die Meisterstochter, Drohungen zwar vom Vater noch bringend, sie aber durch Trost und liebevollen Zuspruch mildernd. <hi rendition="#g">Martin</hi>, von Scham über seine Lage ergriffen, den Unterschied zwischen der Guitarre und ein Paar zugeschnittnen Stiefeln bedenkend, hingerissen von dem Gott, der in ihm wohnt, ruft aus: "Auch ich bin ein Maler," und rüstet sich zur heimlichen Flucht. <hi rendition="#g">Gretchen</hi> widerspricht ihm nicht, nimmt aber das Gelübde ewiger Liebe von ihm, hilft ihm weinend und verzweifelnd seine sieben Sachen packen, und zur Stunde, wo alles schläft, schleicht er mit einem </p> </div> </body> </text> </TEI> [260/0262]
Thränen aus. Er öffnet das Fenster. Es ist heller Mondschein. Er sieht nichts als Häuser, Dächer, Kirchthürme, Katzen und Marder, die auf ihnen spazieren gehen. Um es recht natürlich zu machen, muß auch ein großer Topf Hauslauf dicht an seinem Fenster wachsen. Jezt entdecken wir, daß Martin in einem Winkel eine Guitarre versteckt hat. Er muß uns einige seiner Lieder vortragen, in welchen Gottvertrauen, Hingebung und die großen Tugenden der Freundschaft und Liebe ganz mit jenen erhabenen Worten gefeiert werden, wie wir vom vorigen Jahrhundert die Dichtkunst überkommen haben. Der Schwung muß odenartig, die Begeisterung dithyrambisch seyn. Sanfter Friede liegt auf diesen Eingebungen, Gott und die Sterne bilden den Vor- und Hintergrund derselben. Da klopft es an seine Thür und Gretchen tritt herein, die Meisterstochter, Drohungen zwar vom Vater noch bringend, sie aber durch Trost und liebevollen Zuspruch mildernd. Martin, von Scham über seine Lage ergriffen, den Unterschied zwischen der Guitarre und ein Paar zugeschnittnen Stiefeln bedenkend, hingerissen von dem Gott, der in ihm wohnt, ruft aus: "Auch ich bin ein Maler," und rüstet sich zur heimlichen Flucht. Gretchen widerspricht ihm nicht, nimmt aber das Gelübde ewiger Liebe von ihm, hilft ihm weinend und verzweifelnd seine sieben Sachen packen, und zur Stunde, wo alles schläft, schleicht er mit einem
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/262>, abgerufen am 16.02.2025. |