nicht nöthig, daß man zuerst Naturdichter sey, um später so zerrissen zu dichten, wie Byron; nur möcht ich, um in fünf verschiedenen Akten fünf verschiedene Stufen der neuern Poesie zu bezeichnen, mir allerdings den Widerspruch erlauben, als wenn ein Mann, der wie Byron endete, wie Hans Sachs hätte anfangen können. Genug, suchen wir den Helden dieses didaktischen Stücks zuerst auf dem Dreibein einer Schusterwerkstatt. Die großen, mit Wasser gefüllten Glaskugeln müssen von einem einzigen Lichte für den Meister, drei Gesellen und den Lehrburschen, den Schimmer auffangen; Martin, der Lehrbursche, sey unser junger grübelnder Held, dessen Verherrlichung ich im Kopf schon manchen Vers gewidmet. Der Meister aber, ein roher Gesell, beginnt das Stück mit folgender Strophe:
"Ein frommer Schuster nie begehrt, Daß in der Welt sich was verkehrt; Denn geht die Menschheit auf der Kapp, So reißt sie keine Stiefeln ab."
Martin jedoch muß theils ohne, theils mit Grund mißhandelt werden; denn wie sollt ich den Gegensatz seines poetischen Gemüths gegen die Prosa, die ihn noch umgibt, zu Worte kommen lassen? Mit dem Knieriem oder was sonst dem Meister nah liegt, und von den Gesellen mißhandelt, läuft er in seine Dachkammer hinauf und schüttet seinen Schmerz in
nicht nöthig, daß man zuerst Naturdichter sey, um später so zerrissen zu dichten, wie Byron; nur möcht ich, um in fünf verschiedenen Akten fünf verschiedene Stufen der neuern Poesie zu bezeichnen, mir allerdings den Widerspruch erlauben, als wenn ein Mann, der wie Byron endete, wie Hans Sachs hätte anfangen können. Genug, suchen wir den Helden dieses didaktischen Stücks zuerst auf dem Dreibein einer Schusterwerkstatt. Die großen, mit Wasser gefüllten Glaskugeln müssen von einem einzigen Lichte für den Meister, drei Gesellen und den Lehrburschen, den Schimmer auffangen; Martin, der Lehrbursche, sey unser junger grübelnder Held, dessen Verherrlichung ich im Kopf schon manchen Vers gewidmet. Der Meister aber, ein roher Gesell, beginnt das Stück mit folgender Strophe:
"Ein frommer Schuster nie begehrt, Daß in der Welt sich was verkehrt; Denn geht die Menschheit auf der Kapp, So reißt sie keine Stiefeln ab.“
Martin jedoch muß theils ohne, theils mit Grund mißhandelt werden; denn wie sollt ich den Gegensatz seines poetischen Gemüths gegen die Prosa, die ihn noch umgibt, zu Worte kommen lassen? Mit dem Knieriem oder was sonst dem Meister nah liegt, und von den Gesellen mißhandelt, läuft er in seine Dachkammer hinauf und schüttet seinen Schmerz in
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nicht nöthig, daß man zuerst Naturdichter sey, um später so zerrissen zu dichten, wie Byron; nur möcht ich, um in fünf verschiedenen Akten fünf verschiedene Stufen der neuern Poesie zu bezeichnen, mir allerdings den Widerspruch erlauben, als wenn ein Mann, der wie Byron endete, wie Hans Sachs hätte anfangen können. Genug, suchen wir den Helden dieses didaktischen Stücks zuerst auf dem Dreibein einer Schusterwerkstatt. Die großen, mit Wasser gefüllten Glaskugeln müssen von einem einzigen Lichte für den Meister, drei Gesellen und den Lehrburschen, den Schimmer auffangen; Martin, der Lehrbursche, sey unser junger grübelnder Held, dessen Verherrlichung ich im Kopf schon manchen Vers gewidmet. Der Meister aber, ein roher Gesell, beginnt das Stück mit folgender Strophe:
"Ein frommer Schuster nie begehrt,
Daß in der Welt sich was verkehrt;
Denn geht die Menschheit auf der Kapp,
So reißt sie keine Stiefeln ab.“
Martin jedoch muß theils ohne, theils mit Grund mißhandelt werden; denn wie sollt ich den Gegensatz seines poetischen Gemüths gegen die Prosa, die ihn noch umgibt, zu Worte kommen lassen? Mit dem Knieriem oder was sonst dem Meister nah liegt, und von den Gesellen mißhandelt, läuft er in seine Dachkammer hinauf und schüttet seinen Schmerz in
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Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition.
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Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/261>, abgerufen am 16.02.2025.
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