Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.ein Vagabunde auf dem Schub transportirt wird oder wenn an Markttagen die Bauern in die Stadt kommen und sich über ihre Verkaufsgegenstände nicht vertragen können. Ja, die Sitte, obschon so sehr abgeschwächt, ist noch jezt immer mächtiger, als das Gesetz. Ein Kardinal im römischen Konklave trug darauf an, daß entschiedene Maßregeln ergriffen werden sollten, um den gemeinen Römern die eingerissene Gewohnheit abzugewöhnen, falsch zu schwören. Ein Beisitzer des Staatsraths erwiederte ihm: "Was, Sie wollen dem Volke seine Sitten verbieten?" Wer weiß, ob ein Gesetz über den Meineid, und wenn es noch so streng gehandhabt worden wäre, die Lazzaronis Roms von ihrer schlechten Gewohnheit hätte abbringen können. Hier werden immer nur Bildung und Unterricht und die von der Geistlichkeit gedrohten Höllenstrafen wirken können. Wie wenig Gesetze gegen Sitten wirken können, sieht man an einem deutschen Staate, wo der noch nicht lange verstorbene Souverain desselben nach dem wiedererwachten Studium der Antike, nach den Werken eines Raphael, Mengs und Canova, nach dem großen Zeitalter der napoleonischen Revolution und der Völkerschlachten wieder die Sitte des Zopfes in seinem Lande einzuführen wagte. Das Militär mußte sich der aristokratischen Willkür fügen, auch diejenigen Krämer und Beamte in der Residenz, welche vom Hofe lebten. Allein bei seinem Ableben hatte das ein Vagabunde auf dem Schub transportirt wird oder wenn an Markttagen die Bauern in die Stadt kommen und sich über ihre Verkaufsgegenstände nicht vertragen können. Ja, die Sitte, obschon so sehr abgeschwächt, ist noch jezt immer mächtiger, als das Gesetz. Ein Kardinal im römischen Konklave trug darauf an, daß entschiedene Maßregeln ergriffen werden sollten, um den gemeinen Römern die eingerissene Gewohnheit abzugewöhnen, falsch zu schwören. Ein Beisitzer des Staatsraths erwiederte ihm: "Was, Sie wollen dem Volke seine Sitten verbieten?" Wer weiß, ob ein Gesetz über den Meineid, und wenn es noch so streng gehandhabt worden wäre, die Lazzaronis Roms von ihrer schlechten Gewohnheit hätte abbringen können. Hier werden immer nur Bildung und Unterricht und die von der Geistlichkeit gedrohten Höllenstrafen wirken können. Wie wenig Gesetze gegen Sitten wirken können, sieht man an einem deutschen Staate, wo der noch nicht lange verstorbene Souverain desselben nach dem wiedererwachten Studium der Antike, nach den Werken eines Raphael, Mengs und Canova, nach dem großen Zeitalter der napoleonischen Revolution und der Völkerschlachten wieder die Sitte des Zopfes in seinem Lande einzuführen wagte. Das Militär mußte sich der aristokratischen Willkür fügen, auch diejenigen Krämer und Beamte in der Residenz, welche vom Hofe lebten. Allein bei seinem Ableben hatte das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0023" n="21"/> ein Vagabunde auf dem Schub transportirt wird oder wenn an Markttagen die Bauern in die Stadt kommen und sich über ihre Verkaufsgegenstände nicht vertragen können.</p> <p>Ja, die Sitte, obschon so sehr abgeschwächt, ist noch jezt immer mächtiger, als das Gesetz. Ein Kardinal im römischen Konklave trug darauf an, daß entschiedene Maßregeln ergriffen werden sollten, um den gemeinen Römern die eingerissene Gewohnheit abzugewöhnen, falsch zu schwören. Ein Beisitzer des Staatsraths erwiederte ihm: "Was, Sie wollen dem Volke seine Sitten verbieten?" Wer weiß, ob ein Gesetz über den Meineid, und wenn es noch so streng gehandhabt worden wäre, die Lazzaronis Roms von ihrer schlechten Gewohnheit hätte abbringen können. Hier werden immer nur Bildung und Unterricht und die von der Geistlichkeit gedrohten Höllenstrafen wirken können. Wie wenig Gesetze gegen Sitten wirken können, sieht man an einem deutschen Staate, wo der noch nicht lange verstorbene Souverain desselben nach dem wiedererwachten Studium der Antike, nach den Werken eines <hi rendition="#g">Raphael</hi>, <hi rendition="#g">Mengs</hi> und <hi rendition="#g">Canova</hi>, nach dem großen Zeitalter der napoleonischen Revolution und der Völkerschlachten wieder die Sitte des Zopfes in seinem Lande einzuführen wagte. Das Militär mußte sich der aristokratischen Willkür fügen, auch diejenigen Krämer und Beamte in der Residenz, welche vom Hofe lebten. Allein bei seinem Ableben hatte das </p> </div> </body> </text> </TEI> [21/0023]
ein Vagabunde auf dem Schub transportirt wird oder wenn an Markttagen die Bauern in die Stadt kommen und sich über ihre Verkaufsgegenstände nicht vertragen können.
Ja, die Sitte, obschon so sehr abgeschwächt, ist noch jezt immer mächtiger, als das Gesetz. Ein Kardinal im römischen Konklave trug darauf an, daß entschiedene Maßregeln ergriffen werden sollten, um den gemeinen Römern die eingerissene Gewohnheit abzugewöhnen, falsch zu schwören. Ein Beisitzer des Staatsraths erwiederte ihm: "Was, Sie wollen dem Volke seine Sitten verbieten?" Wer weiß, ob ein Gesetz über den Meineid, und wenn es noch so streng gehandhabt worden wäre, die Lazzaronis Roms von ihrer schlechten Gewohnheit hätte abbringen können. Hier werden immer nur Bildung und Unterricht und die von der Geistlichkeit gedrohten Höllenstrafen wirken können. Wie wenig Gesetze gegen Sitten wirken können, sieht man an einem deutschen Staate, wo der noch nicht lange verstorbene Souverain desselben nach dem wiedererwachten Studium der Antike, nach den Werken eines Raphael, Mengs und Canova, nach dem großen Zeitalter der napoleonischen Revolution und der Völkerschlachten wieder die Sitte des Zopfes in seinem Lande einzuführen wagte. Das Militär mußte sich der aristokratischen Willkür fügen, auch diejenigen Krämer und Beamte in der Residenz, welche vom Hofe lebten. Allein bei seinem Ableben hatte das
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/23 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/23>, abgerufen am 16.02.2025. |