Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Es schwebt den Freunden eines christlich-religiösen Lebens als Schreckbild Nordamerika vor, wo die Religion eine Privatsache ist, wo die religiösen Gesellschaften wie Eisenbahnunternehmungen vom Staate concessionirt werden. Der Vergleichungspunkt im Bilde stört uns; sonst will das Prinzip doch nichts andres heißen, als daß jede religiöse Gesellschaft, die ihren Cultus üben will, sich der Theilnahme des Staates so zu erfreuen hat, daß er sie beschüzt. Daß z. B. in Europa ein Versuch, die Kirche als ein Ganzes aufzuheben und nur noch Religionsgesellschaften zu dulden, die sich selbst verwalten mit mehr oder weniger apostolischer Färbung, je nach dem Bedürfniß der Gemeinde; daß ein solcher Versuch nicht sogleich jene Willkür zur Folge haben werde, die uns an Nordamerika so widerstrebend ist, dafür bürgen die unauslöschlichen Voraussetzungen und Bedingungen unsres europäischen Lebens, die Sitten, die Meinungen und die Verhältnisse, welche Alles umfassen. Um aber beide so wünschenswerthe Resultate zu erreichen, sowohl die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, als die Unmöglichkeit, die Kirche mit einer gefährlichen Gewalt zu bekleiden, gibt es keinen andern Ausweg, als den, die religiöse Ueberzeugung frei zu geben und von jenen Gesellschaften, die sich bald als Gemeinden bilden würden, höchstens zu erlangen, daß ihre Geistlichen auf den Namen Christi taufen. Da werden vielleicht die meisten Gemeinden den Es schwebt den Freunden eines christlich-religiösen Lebens als Schreckbild Nordamerika vor, wo die Religion eine Privatsache ist, wo die religiösen Gesellschaften wie Eisenbahnunternehmungen vom Staate concessionirt werden. Der Vergleichungspunkt im Bilde stört uns; sonst will das Prinzip doch nichts andres heißen, als daß jede religiöse Gesellschaft, die ihren Cultus üben will, sich der Theilnahme des Staates so zu erfreuen hat, daß er sie beschüzt. Daß z. B. in Europa ein Versuch, die Kirche als ein Ganzes aufzuheben und nur noch Religionsgesellschaften zu dulden, die sich selbst verwalten mit mehr oder weniger apostolischer Färbung, je nach dem Bedürfniß der Gemeinde; daß ein solcher Versuch nicht sogleich jene Willkür zur Folge haben werde, die uns an Nordamerika so widerstrebend ist, dafür bürgen die unauslöschlichen Voraussetzungen und Bedingungen unsres europäischen Lebens, die Sitten, die Meinungen und die Verhältnisse, welche Alles umfassen. Um aber beide so wünschenswerthe Resultate zu erreichen, sowohl die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, als die Unmöglichkeit, die Kirche mit einer gefährlichen Gewalt zu bekleiden, gibt es keinen andern Ausweg, als den, die religiöse Ueberzeugung frei zu geben und von jenen Gesellschaften, die sich bald als Gemeinden bilden würden, höchstens zu erlangen, daß ihre Geistlichen auf den Namen Christi taufen. Da werden vielleicht die meisten Gemeinden den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0192" n="190"/> <p> Es schwebt den Freunden eines christlich-religiösen Lebens als Schreckbild Nordamerika vor, wo die Religion eine Privatsache ist, wo die religiösen Gesellschaften wie Eisenbahnunternehmungen vom Staate concessionirt werden. Der Vergleichungspunkt im Bilde stört uns; sonst will das Prinzip doch nichts andres heißen, als daß jede religiöse Gesellschaft, die ihren Cultus üben will, sich der Theilnahme des Staates so zu erfreuen hat, daß er sie beschüzt. Daß z. B. in Europa ein Versuch, die Kirche als ein Ganzes aufzuheben und nur noch Religionsgesellschaften zu dulden, die sich selbst verwalten mit mehr oder weniger apostolischer Färbung, je nach dem Bedürfniß der Gemeinde; daß ein solcher Versuch nicht sogleich jene Willkür zur Folge haben werde, die uns an Nordamerika so widerstrebend ist, dafür bürgen die unauslöschlichen Voraussetzungen und Bedingungen unsres europäischen Lebens, die Sitten, die Meinungen und die Verhältnisse, welche Alles umfassen. Um aber beide so wünschenswerthe Resultate zu erreichen, sowohl die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, als die Unmöglichkeit, die Kirche mit einer gefährlichen Gewalt zu bekleiden, gibt es keinen andern Ausweg, als den, die religiöse Ueberzeugung frei zu geben und von jenen Gesellschaften, die sich bald als Gemeinden bilden würden, höchstens zu erlangen, daß ihre Geistlichen auf den Namen Christi <hi rendition="#g">taufen</hi>. Da werden vielleicht die meisten Gemeinden den </p> </div> </body> </text> </TEI> [190/0192]
Es schwebt den Freunden eines christlich-religiösen Lebens als Schreckbild Nordamerika vor, wo die Religion eine Privatsache ist, wo die religiösen Gesellschaften wie Eisenbahnunternehmungen vom Staate concessionirt werden. Der Vergleichungspunkt im Bilde stört uns; sonst will das Prinzip doch nichts andres heißen, als daß jede religiöse Gesellschaft, die ihren Cultus üben will, sich der Theilnahme des Staates so zu erfreuen hat, daß er sie beschüzt. Daß z. B. in Europa ein Versuch, die Kirche als ein Ganzes aufzuheben und nur noch Religionsgesellschaften zu dulden, die sich selbst verwalten mit mehr oder weniger apostolischer Färbung, je nach dem Bedürfniß der Gemeinde; daß ein solcher Versuch nicht sogleich jene Willkür zur Folge haben werde, die uns an Nordamerika so widerstrebend ist, dafür bürgen die unauslöschlichen Voraussetzungen und Bedingungen unsres europäischen Lebens, die Sitten, die Meinungen und die Verhältnisse, welche Alles umfassen. Um aber beide so wünschenswerthe Resultate zu erreichen, sowohl die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, als die Unmöglichkeit, die Kirche mit einer gefährlichen Gewalt zu bekleiden, gibt es keinen andern Ausweg, als den, die religiöse Ueberzeugung frei zu geben und von jenen Gesellschaften, die sich bald als Gemeinden bilden würden, höchstens zu erlangen, daß ihre Geistlichen auf den Namen Christi taufen. Da werden vielleicht die meisten Gemeinden den
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/192>, abgerufen am 28.07.2024. |