Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.England, gewohnt, in seinen Reformen einen mäßigen und sicheren Gang zu gehen, nicht links oder rechts zu weichen, wird dem Ziele mit der Zeit so nahe kommen, daß es sich vielleicht von selbst aufmacht und aus Furcht, die Religion selbst möchte kompromittirt werden, bereitwillig den Kirchenreformern entgegenkommt. Freilich tritt bei dem jetzigen Standpunkt der Frage das religiöse Bedürfniß noch nicht in den Vorgrund, da Niemand, der die Staatskirche als solche angreift oder vertheidigt, der Erfahrung widersprechen kann, daß so viel Frömmigkeit, wie bei den Dissenters und der schottischen Kirche herrscht, in unserem privilegirten Jsrael, der Hochkirche, nicht zu finden ist. Die Religion ist ein Zweck des Staates, der Staat kann auch ein Mittel der Religion seyn; darum sind aber Beide nicht Ein und Dasselbe. Wenn die Vertheidiger des Territorialsystems, nach welchem der Landesfürst, wie in England, der oberste Bischof ist und die Kirche ganz in den innern Mechanismus der Staatsverwaltung aufgenommen wird, den Staat für das Universellste in unserer Cultur und das einzige Band halten, das Alles umfaßt; so hat doch die christliche Kirche selbst von jeher das Prinzip des Staates darin nicht gefunden und nur des Schutzes und Schirmes wegen gewünscht, der römische Kaiser möchte sich taufen lassen. Die katholische Kirche erhielt sich ihre Freiheit. Sie bot den Fürsten Trotz, sie rang mit dem weltlichen Regimente um die Oberhand. England, gewohnt, in seinen Reformen einen mäßigen und sicheren Gang zu gehen, nicht links oder rechts zu weichen, wird dem Ziele mit der Zeit so nahe kommen, daß es sich vielleicht von selbst aufmacht und aus Furcht, die Religion selbst möchte kompromittirt werden, bereitwillig den Kirchenreformern entgegenkommt. Freilich tritt bei dem jetzigen Standpunkt der Frage das religiöse Bedürfniß noch nicht in den Vorgrund, da Niemand, der die Staatskirche als solche angreift oder vertheidigt, der Erfahrung widersprechen kann, daß so viel Frömmigkeit, wie bei den Dissenters und der schottischen Kirche herrscht, in unserem privilegirten Jsrael, der Hochkirche, nicht zu finden ist. Die Religion ist ein Zweck des Staates, der Staat kann auch ein Mittel der Religion seyn; darum sind aber Beide nicht Ein und Dasselbe. Wenn die Vertheidiger des Territorialsystems, nach welchem der Landesfürst, wie in England, der oberste Bischof ist und die Kirche ganz in den innern Mechanismus der Staatsverwaltung aufgenommen wird, den Staat für das Universellste in unserer Cultur und das einzige Band halten, das Alles umfaßt; so hat doch die christliche Kirche selbst von jeher das Prinzip des Staates darin nicht gefunden und nur des Schutzes und Schirmes wegen gewünscht, der römische Kaiser möchte sich taufen lassen. Die katholische Kirche erhielt sich ihre Freiheit. Sie bot den Fürsten Trotz, sie rang mit dem weltlichen Regimente um die Oberhand. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0186" n="184"/> England, gewohnt, in seinen Reformen einen mäßigen und sicheren Gang zu gehen, nicht links oder rechts zu weichen, wird dem Ziele mit der Zeit so nahe kommen, daß es sich vielleicht von selbst aufmacht und aus Furcht, die Religion selbst möchte kompromittirt werden, bereitwillig den Kirchenreformern entgegenkommt. Freilich tritt bei dem jetzigen Standpunkt der Frage das religiöse Bedürfniß noch nicht in den Vorgrund, da Niemand, der die Staatskirche als solche angreift oder vertheidigt, der Erfahrung widersprechen kann, daß so viel Frömmigkeit, wie bei den Dissenters und der schottischen Kirche herrscht, in unserem privilegirten Jsrael, der Hochkirche, nicht zu finden ist.</p> <p>Die Religion ist ein Zweck des Staates, der Staat kann auch ein Mittel der Religion seyn; darum sind aber Beide nicht Ein und Dasselbe. Wenn die Vertheidiger des Territorialsystems, nach welchem der Landesfürst, wie in England, der oberste Bischof ist und die Kirche ganz in den innern Mechanismus der Staatsverwaltung aufgenommen wird, den Staat für das Universellste in unserer Cultur und das einzige Band halten, das Alles umfaßt; so hat doch die christliche Kirche selbst von jeher das Prinzip des Staates darin <hi rendition="#g">nicht</hi> gefunden und <hi rendition="#g">nur</hi> des Schutzes und Schirmes wegen gewünscht, der römische Kaiser möchte sich taufen lassen. Die katholische Kirche erhielt sich ihre Freiheit. Sie bot den Fürsten Trotz, sie rang mit dem weltlichen Regimente um die Oberhand. </p> </div> </body> </text> </TEI> [184/0186]
England, gewohnt, in seinen Reformen einen mäßigen und sicheren Gang zu gehen, nicht links oder rechts zu weichen, wird dem Ziele mit der Zeit so nahe kommen, daß es sich vielleicht von selbst aufmacht und aus Furcht, die Religion selbst möchte kompromittirt werden, bereitwillig den Kirchenreformern entgegenkommt. Freilich tritt bei dem jetzigen Standpunkt der Frage das religiöse Bedürfniß noch nicht in den Vorgrund, da Niemand, der die Staatskirche als solche angreift oder vertheidigt, der Erfahrung widersprechen kann, daß so viel Frömmigkeit, wie bei den Dissenters und der schottischen Kirche herrscht, in unserem privilegirten Jsrael, der Hochkirche, nicht zu finden ist.
Die Religion ist ein Zweck des Staates, der Staat kann auch ein Mittel der Religion seyn; darum sind aber Beide nicht Ein und Dasselbe. Wenn die Vertheidiger des Territorialsystems, nach welchem der Landesfürst, wie in England, der oberste Bischof ist und die Kirche ganz in den innern Mechanismus der Staatsverwaltung aufgenommen wird, den Staat für das Universellste in unserer Cultur und das einzige Band halten, das Alles umfaßt; so hat doch die christliche Kirche selbst von jeher das Prinzip des Staates darin nicht gefunden und nur des Schutzes und Schirmes wegen gewünscht, der römische Kaiser möchte sich taufen lassen. Die katholische Kirche erhielt sich ihre Freiheit. Sie bot den Fürsten Trotz, sie rang mit dem weltlichen Regimente um die Oberhand.
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/186>, abgerufen am 16.02.2025. |