Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

historischen Dingen und an eine Religion, die sich 2000 Jahre erhalten hat, nicht mehr glauben würden, wenn sie sich nur einzig und allein auf die Bibel berufen würde. Wir werden uns immer mehr daran gewöhnen, das Christenthum als eine Blüthe der allgemeinen Religionsgeschichte zu betrachten und sein inneres Samenkorn zu schätzen, mögen auch die äußern Blätter, auf welchen die Märchen von Wundern, Auferstehung und Himmelfahrt geschrieben sind, längst verwelkt seyn, mag auch den Stamm der Kirche, der das Ganze zu tragen vorgibt, der Wurm der Zeit anfressen! So ist das natürliche Verhältniß meiner Ueberzeugung, daß ich meine Kritik und Vernunft mit der Bibel und Ueberlieferung längst abgefunden habe, daß ich der Kirche, wo mich nicht ein bedeutendes Talent in ihre Versammlungen ruft, aus dem Wege gehe, zugleich aber die innigste Theilnahme an all' den Lehren und Vorschriften fühle, an deren idealischen Werth man denkt bei dem Ausdruck: das Christenthum! Und so werden die Gefühlvollen und Aufgeklärten bald alle denken und eine neue Theologie wird ihnen zur Seite stehen, wie unter den Aposteln Christus erschien, trotz der verschlossenen Thüren, zu welchen in unserm Falle das alte morsche System der Orthodoxie die Schlüssel abgezogen hat.

Ein tiefer Denker hat gesagt, daß jeder sein eigener Messias und die Erlösung eine ewige, das heißt eine immer neue wäre; und wenn wir nun sehen,

historischen Dingen und an eine Religion, die sich 2000 Jahre erhalten hat, nicht mehr glauben würden, wenn sie sich nur einzig und allein auf die Bibel berufen würde. Wir werden uns immer mehr daran gewöhnen, das Christenthum als eine Blüthe der allgemeinen Religionsgeschichte zu betrachten und sein inneres Samenkorn zu schätzen, mögen auch die äußern Blätter, auf welchen die Märchen von Wundern, Auferstehung und Himmelfahrt geschrieben sind, längst verwelkt seyn, mag auch den Stamm der Kirche, der das Ganze zu tragen vorgibt, der Wurm der Zeit anfressen! So ist das natürliche Verhältniß meiner Ueberzeugung, daß ich meine Kritik und Vernunft mit der Bibel und Ueberlieferung längst abgefunden habe, daß ich der Kirche, wo mich nicht ein bedeutendes Talent in ihre Versammlungen ruft, aus dem Wege gehe, zugleich aber die innigste Theilnahme an all’ den Lehren und Vorschriften fühle, an deren idealischen Werth man denkt bei dem Ausdruck: das Christenthum! Und so werden die Gefühlvollen und Aufgeklärten bald alle denken und eine neue Theologie wird ihnen zur Seite stehen, wie unter den Aposteln Christus erschien, trotz der verschlossenen Thüren, zu welchen in unserm Falle das alte morsche System der Orthodoxie die Schlüssel abgezogen hat.

Ein tiefer Denker hat gesagt, daß jeder sein eigener Messias und die Erlösung eine ewige, das heißt eine immer neue wäre; und wenn wir nun sehen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0175" n="173"/>
historischen Dingen und an eine Religion, die sich 2000 Jahre erhalten hat, nicht mehr glauben würden, wenn sie sich nur einzig und allein auf die Bibel berufen würde. Wir werden uns immer mehr daran gewöhnen, das Christenthum als eine Blüthe der allgemeinen Religionsgeschichte zu betrachten und sein inneres Samenkorn zu schätzen, mögen auch die äußern Blätter, auf welchen die Märchen von Wundern, Auferstehung und Himmelfahrt geschrieben sind, längst verwelkt seyn, mag auch den Stamm der <hi rendition="#g">Kirche</hi>, der das Ganze zu tragen vorgibt, der Wurm der Zeit anfressen! So ist das natürliche Verhältniß meiner Ueberzeugung, daß ich meine Kritik und Vernunft mit der Bibel und Ueberlieferung längst abgefunden habe, daß ich der Kirche, wo mich nicht ein bedeutendes Talent in ihre Versammlungen ruft, aus dem Wege gehe, zugleich aber die innigste Theilnahme an all&#x2019; den Lehren und Vorschriften fühle, an deren idealischen Werth man denkt bei dem Ausdruck: das <hi rendition="#g">Christenthum</hi>! Und so werden die Gefühlvollen und Aufgeklärten bald alle denken und eine neue Theologie wird ihnen zur Seite stehen, wie unter den Aposteln Christus erschien, trotz der verschlossenen Thüren, zu welchen in unserm Falle das alte morsche System der Orthodoxie die Schlüssel abgezogen hat.</p>
        <p>Ein tiefer Denker hat gesagt, daß jeder sein eigener Messias und die Erlösung eine ewige, das heißt eine immer neue wäre; und wenn wir nun sehen,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0175] historischen Dingen und an eine Religion, die sich 2000 Jahre erhalten hat, nicht mehr glauben würden, wenn sie sich nur einzig und allein auf die Bibel berufen würde. Wir werden uns immer mehr daran gewöhnen, das Christenthum als eine Blüthe der allgemeinen Religionsgeschichte zu betrachten und sein inneres Samenkorn zu schätzen, mögen auch die äußern Blätter, auf welchen die Märchen von Wundern, Auferstehung und Himmelfahrt geschrieben sind, längst verwelkt seyn, mag auch den Stamm der Kirche, der das Ganze zu tragen vorgibt, der Wurm der Zeit anfressen! So ist das natürliche Verhältniß meiner Ueberzeugung, daß ich meine Kritik und Vernunft mit der Bibel und Ueberlieferung längst abgefunden habe, daß ich der Kirche, wo mich nicht ein bedeutendes Talent in ihre Versammlungen ruft, aus dem Wege gehe, zugleich aber die innigste Theilnahme an all’ den Lehren und Vorschriften fühle, an deren idealischen Werth man denkt bei dem Ausdruck: das Christenthum! Und so werden die Gefühlvollen und Aufgeklärten bald alle denken und eine neue Theologie wird ihnen zur Seite stehen, wie unter den Aposteln Christus erschien, trotz der verschlossenen Thüren, zu welchen in unserm Falle das alte morsche System der Orthodoxie die Schlüssel abgezogen hat. Ein tiefer Denker hat gesagt, daß jeder sein eigener Messias und die Erlösung eine ewige, das heißt eine immer neue wäre; und wenn wir nun sehen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/175
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/175>, abgerufen am 25.11.2024.