Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Nun ist aber unsre Zeit gegen das vorige Jahrhundert darin voraus, daß wir statt in dem Orientalismus eine Verkleinerung des Christenthums zu sehen, nur um so geneigter sind, das Christenthum nun von jenen philosophischen Gesichtspunkten aus zu erkennen, die wir noch immer eingenommen, wenn wir von der alten Religion der Jndier, Perser und Aegypter sprachen. So gewiß im Orientalismus tiefsinnige Resultate über das Leben der Menschheit in Gott enthalten sind, so gewiß soll die zugestandene orientalische Färbung des Christenthums dazu dienen, uns von einem blinden Fetischdienst gegen das Historische im neuen Testament zu befreien, keineswegs aber, um die Lehren desselben in die Trödelkammer der menschlichen Jrrthümer zu werfen. Es wird keine Verklärung und Wiedergeburt des Christenthums in unserm Jahrhundert möglich seyn, wenn wir uns nicht zur Ehre seines Jnhalts, ganz und gar von seiner Form, vom Buchstaben befreien. Wenn das Christenthum nur noch auf die Bibel begründet werden soll, wenn diese durchaus mangelhaften Urkunden zum größten Theil die Göttlichkeit beweisen sollen; dann freilich würde das Christenthum in eine bedrängte Lage kommen. Man würde es bald fragen, ob es denn kein anderes Recht auf die Geschichte und Jahrhunderte hätte, als jenes geschriebene! Darin sind wir fortgeschritten, daß wir an einen mechanischen Zusammenhang in Nun ist aber unsre Zeit gegen das vorige Jahrhundert darin voraus, daß wir statt in dem Orientalismus eine Verkleinerung des Christenthums zu sehen, nur um so geneigter sind, das Christenthum nun von jenen philosophischen Gesichtspunkten aus zu erkennen, die wir noch immer eingenommen, wenn wir von der alten Religion der Jndier, Perser und Aegypter sprachen. So gewiß im Orientalismus tiefsinnige Resultate über das Leben der Menschheit in Gott enthalten sind, so gewiß soll die zugestandene orientalische Färbung des Christenthums dazu dienen, uns von einem blinden Fetischdienst gegen das Historische im neuen Testament zu befreien, keineswegs aber, um die Lehren desselben in die Trödelkammer der menschlichen Jrrthümer zu werfen. Es wird keine Verklärung und Wiedergeburt des Christenthums in unserm Jahrhundert möglich seyn, wenn wir uns nicht zur Ehre seines Jnhalts, ganz und gar von seiner Form, vom Buchstaben befreien. Wenn das Christenthum nur noch auf die Bibel begründet werden soll, wenn diese durchaus mangelhaften Urkunden zum größten Theil die Göttlichkeit beweisen sollen; dann freilich würde das Christenthum in eine bedrängte Lage kommen. Man würde es bald fragen, ob es denn kein anderes Recht auf die Geschichte und Jahrhunderte hätte, als jenes geschriebene! Darin sind wir fortgeschritten, daß wir an einen mechanischen Zusammenhang in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0174" n="172"/> <p> Nun ist aber unsre Zeit gegen das vorige Jahrhundert darin voraus, daß wir statt in dem Orientalismus eine Verkleinerung des Christenthums zu sehen, nur um so geneigter sind, das Christenthum nun von jenen philosophischen Gesichtspunkten aus zu erkennen, die wir noch immer eingenommen, wenn wir von der alten Religion der Jndier, Perser und Aegypter sprachen. So gewiß im Orientalismus tiefsinnige Resultate über das Leben der Menschheit in Gott enthalten sind, so gewiß soll die zugestandene orientalische Färbung des Christenthums dazu dienen, uns von einem blinden Fetischdienst gegen das Historische im neuen Testament zu befreien, keineswegs aber, um die Lehren desselben in die Trödelkammer der menschlichen Jrrthümer zu werfen.</p> <p>Es wird keine Verklärung und Wiedergeburt des Christenthums in unserm Jahrhundert möglich seyn, wenn wir uns nicht zur Ehre seines Jnhalts, ganz und gar von seiner Form, vom Buchstaben befreien. Wenn das Christenthum nur noch auf die Bibel begründet werden soll, wenn diese durchaus mangelhaften Urkunden zum größten Theil die Göttlichkeit beweisen sollen; dann freilich würde das Christenthum in eine bedrängte Lage kommen. Man würde es bald fragen, ob es denn kein anderes Recht auf die Geschichte und Jahrhunderte hätte, als jenes geschriebene! Darin sind wir fortgeschritten, daß wir an einen mechanischen Zusammenhang in </p> </div> </body> </text> </TEI> [172/0174]
Nun ist aber unsre Zeit gegen das vorige Jahrhundert darin voraus, daß wir statt in dem Orientalismus eine Verkleinerung des Christenthums zu sehen, nur um so geneigter sind, das Christenthum nun von jenen philosophischen Gesichtspunkten aus zu erkennen, die wir noch immer eingenommen, wenn wir von der alten Religion der Jndier, Perser und Aegypter sprachen. So gewiß im Orientalismus tiefsinnige Resultate über das Leben der Menschheit in Gott enthalten sind, so gewiß soll die zugestandene orientalische Färbung des Christenthums dazu dienen, uns von einem blinden Fetischdienst gegen das Historische im neuen Testament zu befreien, keineswegs aber, um die Lehren desselben in die Trödelkammer der menschlichen Jrrthümer zu werfen.
Es wird keine Verklärung und Wiedergeburt des Christenthums in unserm Jahrhundert möglich seyn, wenn wir uns nicht zur Ehre seines Jnhalts, ganz und gar von seiner Form, vom Buchstaben befreien. Wenn das Christenthum nur noch auf die Bibel begründet werden soll, wenn diese durchaus mangelhaften Urkunden zum größten Theil die Göttlichkeit beweisen sollen; dann freilich würde das Christenthum in eine bedrängte Lage kommen. Man würde es bald fragen, ob es denn kein anderes Recht auf die Geschichte und Jahrhunderte hätte, als jenes geschriebene! Darin sind wir fortgeschritten, daß wir an einen mechanischen Zusammenhang in
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/174>, abgerufen am 16.02.2025. |