Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.ist der Verstand. Der Verstand reißt aber nur nieder, prüft und sichtet. Wie er fortwährend die positiven Momente in dem schöpferischen Drange des Künstlers aufhebt, so würde er ja auch fortwährend die Religion beschränken. Wie oft ist Rührung, die doch eine Aeußerung der Religion ist, nicht in Gefahr, in uns selbst von unserm eigenen Verstande verlacht zu werden, so daß man nur weint mit dem Ausruf: Was bist du für ein Narr, daß du es thust! So liegen diese verschiedenen Gebiete der Unmittelbarkeit und der Reflexion wohl nahe an einander, sind aber nicht dasselbe; sie berühren sich, ohne jedoch einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt zu haben. Und auch dies, daß die Vernunft ein Prüfstein der Religion wäre, ist nur dahin zu verstehen, daß die Religion allerdings darnach strebt, ihre Momente zu fesseln und Worte für sie zu suchen, ebenso, wie die Kunst nach Fixirung ihrer Phantasie strebt und sich in fertigen und abgeschlossenen Werken erst vollkommen genügt. Laokoon, ein Gemälde Raphaels, ist in dem Sinne nichts Reelles, als der Verstand nach Realitäten strebt, es ist nichts, das aus sich selbst einen Werth ansprechen könnte, es läßt sich nicht zerlegen, umschmelzen und in eine andere Form gießen, sondern es ist das, was es ist, eine faktisch gewordene Grille, die ihre Wahrheit nur in der Wahrheit jenes Momentes hat, der sie schuf, und wenn ein solches Gemälde auch noch so viel Entzücken verbreitet, ist der Verstand. Der Verstand reißt aber nur nieder, prüft und sichtet. Wie er fortwährend die positiven Momente in dem schöpferischen Drange des Künstlers aufhebt, so würde er ja auch fortwährend die Religion beschränken. Wie oft ist Rührung, die doch eine Aeußerung der Religion ist, nicht in Gefahr, in uns selbst von unserm eigenen Verstande verlacht zu werden, so daß man nur weint mit dem Ausruf: Was bist du für ein Narr, daß du es thust! So liegen diese verschiedenen Gebiete der Unmittelbarkeit und der Reflexion wohl nahe an einander, sind aber nicht dasselbe; sie berühren sich, ohne jedoch einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt zu haben. Und auch dies, daß die Vernunft ein Prüfstein der Religion wäre, ist nur dahin zu verstehen, daß die Religion allerdings darnach strebt, ihre Momente zu fesseln und Worte für sie zu suchen, ebenso, wie die Kunst nach Fixirung ihrer Phantasie strebt und sich in fertigen und abgeschlossenen Werken erst vollkommen genügt. Laokoon, ein Gemälde Raphaels, ist in dem Sinne nichts Reelles, als der Verstand nach Realitäten strebt, es ist nichts, das aus sich selbst einen Werth ansprechen könnte, es läßt sich nicht zerlegen, umschmelzen und in eine andere Form gießen, sondern es ist das, was es ist, eine faktisch gewordene Grille, die ihre Wahrheit nur in der Wahrheit jenes Momentes hat, der sie schuf, und wenn ein solches Gemälde auch noch so viel Entzücken verbreitet, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0166" n="164"/> ist der Verstand. Der Verstand reißt aber nur nieder, prüft und sichtet. Wie er fortwährend die positiven Momente in dem schöpferischen Drange des Künstlers aufhebt, so würde er ja auch fortwährend die Religion beschränken. Wie oft ist Rührung, die doch eine Aeußerung der Religion ist, nicht in Gefahr, in uns selbst von unserm eigenen Verstande verlacht zu werden, so daß man nur weint mit dem Ausruf: Was bist du für ein Narr, daß du es thust! So liegen diese verschiedenen Gebiete der Unmittelbarkeit und der Reflexion wohl nahe an einander, sind aber nicht dasselbe; sie berühren sich, ohne jedoch einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt zu haben.</p> <p>Und auch dies, daß die Vernunft ein Prüfstein der Religion wäre, ist nur dahin zu verstehen, daß die Religion allerdings darnach strebt, ihre Momente zu fesseln und Worte für sie zu suchen, ebenso, wie die Kunst nach Fixirung ihrer Phantasie strebt und sich in fertigen und abgeschlossenen Werken erst vollkommen genügt. <hi rendition="#g">Laokoon</hi>, ein Gemälde <hi rendition="#g">Raphaels</hi>, ist in dem Sinne nichts Reelles, als der Verstand nach Realitäten strebt, es ist nichts, das aus sich selbst einen Werth ansprechen könnte, es läßt sich nicht zerlegen, umschmelzen und in eine andere Form gießen, sondern es ist das, was es ist, eine faktisch gewordene Grille, die ihre Wahrheit nur in der Wahrheit jenes Momentes hat, der sie schuf, und wenn ein solches Gemälde auch noch so viel Entzücken verbreitet, </p> </div> </body> </text> </TEI> [164/0166]
ist der Verstand. Der Verstand reißt aber nur nieder, prüft und sichtet. Wie er fortwährend die positiven Momente in dem schöpferischen Drange des Künstlers aufhebt, so würde er ja auch fortwährend die Religion beschränken. Wie oft ist Rührung, die doch eine Aeußerung der Religion ist, nicht in Gefahr, in uns selbst von unserm eigenen Verstande verlacht zu werden, so daß man nur weint mit dem Ausruf: Was bist du für ein Narr, daß du es thust! So liegen diese verschiedenen Gebiete der Unmittelbarkeit und der Reflexion wohl nahe an einander, sind aber nicht dasselbe; sie berühren sich, ohne jedoch einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt zu haben.
Und auch dies, daß die Vernunft ein Prüfstein der Religion wäre, ist nur dahin zu verstehen, daß die Religion allerdings darnach strebt, ihre Momente zu fesseln und Worte für sie zu suchen, ebenso, wie die Kunst nach Fixirung ihrer Phantasie strebt und sich in fertigen und abgeschlossenen Werken erst vollkommen genügt. Laokoon, ein Gemälde Raphaels, ist in dem Sinne nichts Reelles, als der Verstand nach Realitäten strebt, es ist nichts, das aus sich selbst einen Werth ansprechen könnte, es läßt sich nicht zerlegen, umschmelzen und in eine andere Form gießen, sondern es ist das, was es ist, eine faktisch gewordene Grille, die ihre Wahrheit nur in der Wahrheit jenes Momentes hat, der sie schuf, und wenn ein solches Gemälde auch noch so viel Entzücken verbreitet,
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/166>, abgerufen am 28.07.2024. |