Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.gegenüber und bewirkte dadurch allerdings, daß zwischen beiden Lagern der Jndifferentismus sich hindurchdrängte, gab aber zugleich den Jnstitutionen der christlichen Kirche Zeit, sich von ihrem Falle zu erheben und sich mit neuer Würde zu bekleiden. Und wo die, die alte Dogmatik belebende Gefühlswärme nicht blinde und fanatische Jünger für den Streit erwecken konnte, da strömte sie doch allmälig in die allgemeinen Empfindungen über und machte, daß die Herzen der Menschen sich weicher und laulichter befühlen ließen; aus welcher Stimmung sich eigentlich die ganze Stellung unsrer Zeit gegen das Christenthum ergeben hat, nämlich diejenige, daß man zwar nicht mehr blind an seine Dogmen glaubt, sie aber als einen heiligen und ehrwürdigen Ueberrest des Alterthums geehrt und möglichst erhalten wissen will. Bei den politischen Stürmen, welche durch das Grenzgebirge der beiden Jahrhunderte sausten, hätte das Christenthum, wäre es noch ein hoher, die ganze Welt überragender Stamm gewesen, unfehlbar den aufgeregten Elementen nicht widerstanden. Napoleon schonte wohl auch deßhalb den Pabst, weil er ohnehin schwach genug und in der hartnäckigen Benutzung seiner kleinen Macht dem gewaltigen Andrange seines tyrannischen Willens nirgends zugänglich war. Die Blüthen des Christenthums wuchsen längst auf niedrigen Gesträuchen und konnten deßhalb leichter verschont werden, indem die Wetter der Geschichte über gegenüber und bewirkte dadurch allerdings, daß zwischen beiden Lagern der Jndifferentismus sich hindurchdrängte, gab aber zugleich den Jnstitutionen der christlichen Kirche Zeit, sich von ihrem Falle zu erheben und sich mit neuer Würde zu bekleiden. Und wo die, die alte Dogmatik belebende Gefühlswärme nicht blinde und fanatische Jünger für den Streit erwecken konnte, da strömte sie doch allmälig in die allgemeinen Empfindungen über und machte, daß die Herzen der Menschen sich weicher und laulichter befühlen ließen; aus welcher Stimmung sich eigentlich die ganze Stellung unsrer Zeit gegen das Christenthum ergeben hat, nämlich diejenige, daß man zwar nicht mehr blind an seine Dogmen glaubt, sie aber als einen heiligen und ehrwürdigen Ueberrest des Alterthums geehrt und möglichst erhalten wissen will. Bei den politischen Stürmen, welche durch das Grenzgebirge der beiden Jahrhunderte sausten, hätte das Christenthum, wäre es noch ein hoher, die ganze Welt überragender Stamm gewesen, unfehlbar den aufgeregten Elementen nicht widerstanden. Napoleon schonte wohl auch deßhalb den Pabst, weil er ohnehin schwach genug und in der hartnäckigen Benutzung seiner kleinen Macht dem gewaltigen Andrange seines tyrannischen Willens nirgends zugänglich war. Die Blüthen des Christenthums wuchsen längst auf niedrigen Gesträuchen und konnten deßhalb leichter verschont werden, indem die Wetter der Geschichte über <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0154" n="152"/> gegenüber und bewirkte dadurch allerdings, daß zwischen beiden Lagern der Jndifferentismus sich hindurchdrängte, gab aber zugleich den Jnstitutionen der christlichen Kirche Zeit, sich von ihrem Falle zu erheben und sich mit neuer Würde zu bekleiden. Und wo die, die alte Dogmatik belebende Gefühlswärme nicht blinde und fanatische Jünger für den Streit erwecken konnte, da strömte sie doch allmälig in die allgemeinen Empfindungen über und machte, daß die Herzen der Menschen sich weicher und laulichter befühlen ließen; aus welcher Stimmung sich eigentlich die ganze Stellung unsrer Zeit gegen das Christenthum ergeben hat, nämlich diejenige, daß man zwar nicht mehr blind an seine Dogmen glaubt, sie aber als einen heiligen und ehrwürdigen Ueberrest des Alterthums geehrt und <hi rendition="#g">möglichst</hi> erhalten wissen will.</p> <p>Bei den politischen Stürmen, welche durch das Grenzgebirge der beiden Jahrhunderte sausten, hätte das Christenthum, wäre es noch ein hoher, die ganze Welt überragender Stamm gewesen, unfehlbar den aufgeregten Elementen nicht widerstanden. <hi rendition="#g">Napoleon</hi> schonte wohl auch deßhalb den Pabst, weil er ohnehin schwach genug und in der hartnäckigen Benutzung seiner kleinen Macht dem gewaltigen Andrange seines tyrannischen Willens nirgends zugänglich war. Die Blüthen des Christenthums wuchsen längst auf niedrigen Gesträuchen und konnten deßhalb leichter verschont werden, indem die Wetter der Geschichte über </p> </div> </body> </text> </TEI> [152/0154]
gegenüber und bewirkte dadurch allerdings, daß zwischen beiden Lagern der Jndifferentismus sich hindurchdrängte, gab aber zugleich den Jnstitutionen der christlichen Kirche Zeit, sich von ihrem Falle zu erheben und sich mit neuer Würde zu bekleiden. Und wo die, die alte Dogmatik belebende Gefühlswärme nicht blinde und fanatische Jünger für den Streit erwecken konnte, da strömte sie doch allmälig in die allgemeinen Empfindungen über und machte, daß die Herzen der Menschen sich weicher und laulichter befühlen ließen; aus welcher Stimmung sich eigentlich die ganze Stellung unsrer Zeit gegen das Christenthum ergeben hat, nämlich diejenige, daß man zwar nicht mehr blind an seine Dogmen glaubt, sie aber als einen heiligen und ehrwürdigen Ueberrest des Alterthums geehrt und möglichst erhalten wissen will.
Bei den politischen Stürmen, welche durch das Grenzgebirge der beiden Jahrhunderte sausten, hätte das Christenthum, wäre es noch ein hoher, die ganze Welt überragender Stamm gewesen, unfehlbar den aufgeregten Elementen nicht widerstanden. Napoleon schonte wohl auch deßhalb den Pabst, weil er ohnehin schwach genug und in der hartnäckigen Benutzung seiner kleinen Macht dem gewaltigen Andrange seines tyrannischen Willens nirgends zugänglich war. Die Blüthen des Christenthums wuchsen längst auf niedrigen Gesträuchen und konnten deßhalb leichter verschont werden, indem die Wetter der Geschichte über
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/154>, abgerufen am 28.07.2024. |