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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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ein Zeichen der Völlerei angesehen wurde, bei einer Mahlzeit reinen Tisch zu machen. Auch pflegten die Römer kein Licht auszulöschen, sondern es von selbst ausgehen zu lassen, und hatten für diesen Gebrauch viel sinnige und zarte Erklärungen. Entweder glaubten sie, daß man nichts Lebendes, wenn es nicht schädlich ist, vertilgen dürfe, oder sie dachten, man dürfe Dinge, wovon uns die Natur im Ueberflusse gegeben, gerade am allerwenigsten verderben. Auffallend ist es, daß die Römer bei barbarischen Völkern Menschenopfer verboten und sich doch selbst nicht selten erlaubten, Fremdlinge lebendig zu begraben. Es mußte also irgend eine traditionelle Vorschrift vorhanden seyn, die ihnen eine unbedingte Unterwerfung gegen die Götter zur Pflicht machte, selbst wenn sie mit schwerem Herzen etwas thun mußten, was sie für unrecht hielten. Der Raub der Sabinerinnen spricht sich noch in vielen Gewohnheiten der alten Römer aus. Die Frauen hatten in früheren Zeiten nicht nöthig, bei Küchenarbeiten selbst Hand anzulegen; es war dies ein Recht, welches ihnen ihre sabinischen Brüder und Väter erwirkt hatten. Auch wurde den Bräuten das Haar mit der Spitze eines Spießes auseinandergelegt. Wenn endlich Priester eines Verbrechens überführt waren, so konnten sie abgesezt werden; ein Augur hingegen, der den Flug der Vögel beobachtete, blieb in seinem Amte, selbst wenn er sich der ärgsten Verbrechen schuldig gemacht hatte. Die Römer litten

ein Zeichen der Völlerei angesehen wurde, bei einer Mahlzeit reinen Tisch zu machen. Auch pflegten die Römer kein Licht auszulöschen, sondern es von selbst ausgehen zu lassen, und hatten für diesen Gebrauch viel sinnige und zarte Erklärungen. Entweder glaubten sie, daß man nichts Lebendes, wenn es nicht schädlich ist, vertilgen dürfe, oder sie dachten, man dürfe Dinge, wovon uns die Natur im Ueberflusse gegeben, gerade am allerwenigsten verderben. Auffallend ist es, daß die Römer bei barbarischen Völkern Menschenopfer verboten und sich doch selbst nicht selten erlaubten, Fremdlinge lebendig zu begraben. Es mußte also irgend eine traditionelle Vorschrift vorhanden seyn, die ihnen eine unbedingte Unterwerfung gegen die Götter zur Pflicht machte, selbst wenn sie mit schwerem Herzen etwas thun mußten, was sie für unrecht hielten. Der Raub der Sabinerinnen spricht sich noch in vielen Gewohnheiten der alten Römer aus. Die Frauen hatten in früheren Zeiten nicht nöthig, bei Küchenarbeiten selbst Hand anzulegen; es war dies ein Recht, welches ihnen ihre sabinischen Brüder und Väter erwirkt hatten. Auch wurde den Bräuten das Haar mit der Spitze eines Spießes auseinandergelegt. Wenn endlich Priester eines Verbrechens überführt waren, so konnten sie abgesezt werden; ein Augur hingegen, der den Flug der Vögel beobachtete, blieb in seinem Amte, selbst wenn er sich der ärgsten Verbrechen schuldig gemacht hatte. Die Römer litten

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ein Zeichen der Völlerei angesehen wurde, bei einer Mahlzeit reinen Tisch zu machen. Auch pflegten die Römer kein Licht auszulöschen, sondern es von selbst ausgehen zu lassen, und hatten für diesen Gebrauch viel sinnige und zarte Erklärungen. Entweder glaubten sie, daß man nichts Lebendes, wenn es nicht schädlich ist, vertilgen dürfe, oder sie dachten, man dürfe Dinge, wovon uns die Natur im Ueberflusse gegeben, gerade am allerwenigsten verderben. Auffallend ist es, daß die Römer bei barbarischen Völkern Menschenopfer verboten und sich doch selbst nicht selten erlaubten, Fremdlinge lebendig zu begraben. Es mußte also irgend eine traditionelle Vorschrift vorhanden seyn, die ihnen eine unbedingte Unterwerfung gegen die Götter zur Pflicht machte, selbst wenn sie mit schwerem Herzen etwas thun mußten, was sie für unrecht hielten. Der Raub der Sabinerinnen spricht sich noch in vielen Gewohnheiten der alten Römer aus. Die Frauen hatten in früheren Zeiten nicht nöthig, bei Küchenarbeiten selbst Hand anzulegen; es war dies ein Recht, welches ihnen ihre sabinischen Brüder und Väter erwirkt hatten. Auch wurde den Bräuten das Haar mit der Spitze eines Spießes auseinandergelegt. Wenn endlich Priester eines Verbrechens überführt waren, so konnten sie abgesezt werden; ein Augur hingegen, der den Flug der Vögel beobachtete, blieb in seinem Amte, selbst wenn er sich der ärgsten Verbrechen schuldig gemacht hatte. Die Römer litten
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[13/0015] ein Zeichen der Völlerei angesehen wurde, bei einer Mahlzeit reinen Tisch zu machen. Auch pflegten die Römer kein Licht auszulöschen, sondern es von selbst ausgehen zu lassen, und hatten für diesen Gebrauch viel sinnige und zarte Erklärungen. Entweder glaubten sie, daß man nichts Lebendes, wenn es nicht schädlich ist, vertilgen dürfe, oder sie dachten, man dürfe Dinge, wovon uns die Natur im Ueberflusse gegeben, gerade am allerwenigsten verderben. Auffallend ist es, daß die Römer bei barbarischen Völkern Menschenopfer verboten und sich doch selbst nicht selten erlaubten, Fremdlinge lebendig zu begraben. Es mußte also irgend eine traditionelle Vorschrift vorhanden seyn, die ihnen eine unbedingte Unterwerfung gegen die Götter zur Pflicht machte, selbst wenn sie mit schwerem Herzen etwas thun mußten, was sie für unrecht hielten. Der Raub der Sabinerinnen spricht sich noch in vielen Gewohnheiten der alten Römer aus. Die Frauen hatten in früheren Zeiten nicht nöthig, bei Küchenarbeiten selbst Hand anzulegen; es war dies ein Recht, welches ihnen ihre sabinischen Brüder und Väter erwirkt hatten. Auch wurde den Bräuten das Haar mit der Spitze eines Spießes auseinandergelegt. Wenn endlich Priester eines Verbrechens überführt waren, so konnten sie abgesezt werden; ein Augur hingegen, der den Flug der Vögel beobachtete, blieb in seinem Amte, selbst wenn er sich der ärgsten Verbrechen schuldig gemacht hatte. Die Römer litten

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/15>, abgerufen am 24.11.2024.