Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.können und bedarf einer Menge zusammentreffender Umstände, bedarf eines großen Apparats von origineller Spekulation auf der einen, und überschwenglichen Gefühls auf der andern Seite, um sich ungefähr in der Stellung zu erhalten, in der es sich gegenwärtig befindet. Die organische, Leben und Geschichte schaffende Kraft hat das Christenthum verlassen; der Keim von Civilisation und Völkerbeglückung, der in ihm lag, sein Historie schaffendes Moment ist abgestorben und hat sich überlebt. Die Reformation mit ihren Folgen war die lezte Verklärung der dem Christenthum mitgegeb'nen Schöpfungskraft. Allein wie entschieden gerade diese Schöpfung gewesen ist, sieht man z. B. daraus, daß doch gewiß in der gegenwärtigen Erscheinung des Christenthums das Moment liegt, auch der Katholicismus müsse noch einer organischen Wiedergeburt theilhaftig werden. Und was ist unwahrscheinlicher? Der Katholicismus kann innere Reformen mit sich vornehmen, er kann es sogar bis zur Aufhebung des Cölibats bringen und doch würde dieser Umschwung das Meer der Dinge und Begebenheiten, das Meer der Geschichte in keine großen Wallungen mehr versetzen. Und wäre die erneuerte Umwandlung des Katholicismus in religiöser Hinsicht so durchgreifend wie die Reformation es war, so würde sie derselben doch nie darin gleich kommen, daß sie es wie jene auch in politischer seyn könnte. Das Tau, welches früher den Anker des Glaubens und können und bedarf einer Menge zusammentreffender Umstände, bedarf eines großen Apparats von origineller Spekulation auf der einen, und überschwenglichen Gefühls auf der andern Seite, um sich ungefähr in der Stellung zu erhalten, in der es sich gegenwärtig befindet. Die organische, Leben und Geschichte schaffende Kraft hat das Christenthum verlassen; der Keim von Civilisation und Völkerbeglückung, der in ihm lag, sein Historie schaffendes Moment ist abgestorben und hat sich überlebt. Die Reformation mit ihren Folgen war die lezte Verklärung der dem Christenthum mitgegeb’nen Schöpfungskraft. Allein wie entschieden gerade diese Schöpfung gewesen ist, sieht man z. B. daraus, daß doch gewiß in der gegenwärtigen Erscheinung des Christenthums das Moment liegt, auch der Katholicismus müsse noch einer organischen Wiedergeburt theilhaftig werden. Und was ist unwahrscheinlicher? Der Katholicismus kann innere Reformen mit sich vornehmen, er kann es sogar bis zur Aufhebung des Cölibats bringen und doch würde dieser Umschwung das Meer der Dinge und Begebenheiten, das Meer der Geschichte in keine großen Wallungen mehr versetzen. Und wäre die erneuerte Umwandlung des Katholicismus in religiöser Hinsicht so durchgreifend wie die Reformation es war, so würde sie derselben doch nie darin gleich kommen, daß sie es wie jene auch in politischer seyn könnte. Das Tau, welches früher den Anker des Glaubens und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0146" n="144"/> können und bedarf einer Menge zusammentreffender Umstände, bedarf eines großen Apparats von origineller Spekulation auf der einen, und überschwenglichen Gefühls auf der andern Seite, um sich ungefähr in der Stellung zu erhalten, in der es sich gegenwärtig befindet. Die organische, Leben und Geschichte schaffende Kraft hat das Christenthum verlassen; der Keim von Civilisation und Völkerbeglückung, der in ihm lag, sein Historie schaffendes Moment ist abgestorben und hat sich überlebt. Die Reformation mit ihren Folgen war die lezte Verklärung der dem Christenthum mitgegeb’nen Schöpfungskraft. Allein wie entschieden gerade diese Schöpfung gewesen ist, sieht man z. B. daraus, daß doch gewiß in der gegenwärtigen Erscheinung des Christenthums das Moment liegt, auch der Katholicismus müsse noch einer organischen Wiedergeburt theilhaftig werden. Und was ist unwahrscheinlicher? Der Katholicismus kann innere Reformen mit sich vornehmen, er kann es sogar bis zur Aufhebung des Cölibats bringen und doch würde dieser Umschwung das Meer der Dinge und Begebenheiten, das Meer der Geschichte in keine großen Wallungen mehr versetzen. Und wäre die erneuerte Umwandlung des Katholicismus in religiöser Hinsicht so durchgreifend wie die Reformation es war, so würde sie derselben doch nie darin gleich kommen, daß sie es wie jene auch in politischer seyn könnte. Das Tau, welches früher den Anker des Glaubens und </p> </div> </body> </text> </TEI> [144/0146]
können und bedarf einer Menge zusammentreffender Umstände, bedarf eines großen Apparats von origineller Spekulation auf der einen, und überschwenglichen Gefühls auf der andern Seite, um sich ungefähr in der Stellung zu erhalten, in der es sich gegenwärtig befindet. Die organische, Leben und Geschichte schaffende Kraft hat das Christenthum verlassen; der Keim von Civilisation und Völkerbeglückung, der in ihm lag, sein Historie schaffendes Moment ist abgestorben und hat sich überlebt. Die Reformation mit ihren Folgen war die lezte Verklärung der dem Christenthum mitgegeb’nen Schöpfungskraft. Allein wie entschieden gerade diese Schöpfung gewesen ist, sieht man z. B. daraus, daß doch gewiß in der gegenwärtigen Erscheinung des Christenthums das Moment liegt, auch der Katholicismus müsse noch einer organischen Wiedergeburt theilhaftig werden. Und was ist unwahrscheinlicher? Der Katholicismus kann innere Reformen mit sich vornehmen, er kann es sogar bis zur Aufhebung des Cölibats bringen und doch würde dieser Umschwung das Meer der Dinge und Begebenheiten, das Meer der Geschichte in keine großen Wallungen mehr versetzen. Und wäre die erneuerte Umwandlung des Katholicismus in religiöser Hinsicht so durchgreifend wie die Reformation es war, so würde sie derselben doch nie darin gleich kommen, daß sie es wie jene auch in politischer seyn könnte. Das Tau, welches früher den Anker des Glaubens und
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/146>, abgerufen am 28.07.2024. |