Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Manne begegneten, den sie grüßen wollten und gerade ihr Antlitz im Mantel verhüllt hatten, so mußten sie das Gesicht frei aufdecken; beteten sie aber zu den Göttern, so mußten sie ihr Haupt verhüllen, welches alles Sitten sind, zu deren Aufklärung mythologische Anspielungen nichts nützen, sondern welche allein ihren Grund in dem bei den Alten so fein ausgebildeten Sinne für das Schickliche haben. Nur dem Gotte der Zeit, des Ruhms und der Ehre zeigten sie ihr Haupt unverhüllt. Auch über diese Ausnahmen nützen die Spitzfindigkeiten der Erklärer nichts, sondern sie liegen tief in Gefühlen begründet, die man kaum aussprechen kann. Die Römer hatten von Numa eine Gesetzgebung erhalten, welche nicht darauf abzweckte, sie zu Eroberern des Erdkreises zu machen. Numa gebot ihnen, allen Göttern zu opfern, nur dem Gott der Grenzen nicht. Er wollte nicht, daß die Frage der Grenzen je mit Mord oder Blut befleckt würde. Bekannt ist, daß die Römer vielen Tagen keinen Glauben schenkten und fortwährend von Warnungen und Wahrzeichen geängstigt wurden. Trauerten sie, so thaten sie es in weißer Farbe. Die Mauern einer Stadt waren ihnen heilig, die Thore aber nicht. Gänzlich entgegengesezt unsrer heutigen Sitte ist, daß die Römer in der ältern Zeit niemals außer dem Hause ohne ihre Söhne speisten, so lange diese in dem Alter der Kindheit standen. Wenn die Römer etwas erbeuteten und es den Göttern weihten, so Manne begegneten, den sie grüßen wollten und gerade ihr Antlitz im Mantel verhüllt hatten, so mußten sie das Gesicht frei aufdecken; beteten sie aber zu den Göttern, so mußten sie ihr Haupt verhüllen, welches alles Sitten sind, zu deren Aufklärung mythologische Anspielungen nichts nützen, sondern welche allein ihren Grund in dem bei den Alten so fein ausgebildeten Sinne für das Schickliche haben. Nur dem Gotte der Zeit, des Ruhms und der Ehre zeigten sie ihr Haupt unverhüllt. Auch über diese Ausnahmen nützen die Spitzfindigkeiten der Erklärer nichts, sondern sie liegen tief in Gefühlen begründet, die man kaum aussprechen kann. Die Römer hatten von Numa eine Gesetzgebung erhalten, welche nicht darauf abzweckte, sie zu Eroberern des Erdkreises zu machen. Numa gebot ihnen, allen Göttern zu opfern, nur dem Gott der Grenzen nicht. Er wollte nicht, daß die Frage der Grenzen je mit Mord oder Blut befleckt würde. Bekannt ist, daß die Römer vielen Tagen keinen Glauben schenkten und fortwährend von Warnungen und Wahrzeichen geängstigt wurden. Trauerten sie, so thaten sie es in weißer Farbe. Die Mauern einer Stadt waren ihnen heilig, die Thore aber nicht. Gänzlich entgegengesezt unsrer heutigen Sitte ist, daß die Römer in der ältern Zeit niemals außer dem Hause ohne ihre Söhne speisten, so lange diese in dem Alter der Kindheit standen. Wenn die Römer etwas erbeuteten und es den Göttern weihten, so <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0013" n="11"/> Manne begegneten, den sie grüßen wollten und gerade ihr Antlitz im Mantel verhüllt hatten, so mußten sie das Gesicht frei aufdecken; beteten sie aber zu den Göttern, so mußten sie ihr Haupt verhüllen, welches alles Sitten sind, zu deren Aufklärung mythologische Anspielungen nichts nützen, sondern welche allein ihren Grund in dem bei den Alten so fein ausgebildeten Sinne für das Schickliche haben. Nur dem Gotte der Zeit, des Ruhms und der Ehre zeigten sie ihr Haupt unverhüllt. Auch über diese Ausnahmen nützen die Spitzfindigkeiten der Erklärer nichts, sondern sie liegen tief in Gefühlen begründet, die man kaum aussprechen kann. Die Römer hatten von <hi rendition="#g">Numa</hi> eine Gesetzgebung erhalten, welche nicht darauf abzweckte, sie zu Eroberern des Erdkreises zu machen. <hi rendition="#g">Numa</hi> gebot ihnen, allen Göttern zu opfern, nur dem Gott der Grenzen nicht. Er wollte nicht, daß die Frage der Grenzen je mit Mord oder Blut befleckt würde. Bekannt ist, daß die Römer vielen Tagen keinen Glauben schenkten und fortwährend von Warnungen und Wahrzeichen geängstigt wurden. Trauerten sie, so thaten sie es in weißer Farbe. Die Mauern einer Stadt waren ihnen heilig, die Thore aber nicht. Gänzlich entgegengesezt unsrer heutigen Sitte ist, daß die Römer in der ältern Zeit niemals außer dem Hause ohne ihre Söhne speisten, so lange diese in dem Alter der Kindheit standen. Wenn die Römer etwas erbeuteten und es den Göttern weihten, so </p> </div> </body> </text> </TEI> [11/0013]
Manne begegneten, den sie grüßen wollten und gerade ihr Antlitz im Mantel verhüllt hatten, so mußten sie das Gesicht frei aufdecken; beteten sie aber zu den Göttern, so mußten sie ihr Haupt verhüllen, welches alles Sitten sind, zu deren Aufklärung mythologische Anspielungen nichts nützen, sondern welche allein ihren Grund in dem bei den Alten so fein ausgebildeten Sinne für das Schickliche haben. Nur dem Gotte der Zeit, des Ruhms und der Ehre zeigten sie ihr Haupt unverhüllt. Auch über diese Ausnahmen nützen die Spitzfindigkeiten der Erklärer nichts, sondern sie liegen tief in Gefühlen begründet, die man kaum aussprechen kann. Die Römer hatten von Numa eine Gesetzgebung erhalten, welche nicht darauf abzweckte, sie zu Eroberern des Erdkreises zu machen. Numa gebot ihnen, allen Göttern zu opfern, nur dem Gott der Grenzen nicht. Er wollte nicht, daß die Frage der Grenzen je mit Mord oder Blut befleckt würde. Bekannt ist, daß die Römer vielen Tagen keinen Glauben schenkten und fortwährend von Warnungen und Wahrzeichen geängstigt wurden. Trauerten sie, so thaten sie es in weißer Farbe. Die Mauern einer Stadt waren ihnen heilig, die Thore aber nicht. Gänzlich entgegengesezt unsrer heutigen Sitte ist, daß die Römer in der ältern Zeit niemals außer dem Hause ohne ihre Söhne speisten, so lange diese in dem Alter der Kindheit standen. Wenn die Römer etwas erbeuteten und es den Göttern weihten, so
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/13>, abgerufen am 28.07.2024. |