Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Geldverfälscher. Und alle diese Verbrechen wurden größtentheils in einem Alter zwischen 25 und 35 Jahren begangen; 44 Verbrechen jedoch sogar von Kindern, die noch nicht einmal das 15te Jahr erreicht hatten! Es ist schwer, solche Angaben beruhigend oder beängstigend zu nennen; für den Frieden und die Glückseligkeit der Menschen sind es immer zu viel Frevel, und doch sind es noch immer weniger als es seyn müßten, um über die ganze Welt den Fluch auszusprechen und in die Einsamkeit zu ziehen. Die Verbrechen unserer Zeit - selbst wenn sie mit der zunehmenden künstlichen Bildung steigen sollten - sind nicht so bedenklich, als ein gefährlicheres Uebel: die Sittenlosigkeit ohne Verbrechen. Die Prostitution ist ein Beispiel desselben; allein Vieles, was sich nur nicht offen preisgibt, gehört in diese Kategorie. Es wird viel gestohlen, ohne daß der Dieb gehängt werden kann, viel betrogen, ohne daß man den Betrüger nur so nennen darf. Es wird sogar genug gemordet, ohne daß es Mörder und (wenigstens augenblicklich) Leichen gäbe. Die Weltbildung unserer Zeit ist deßhalb auch die, sich bei Niemanden etwas Gutes zu versehen; sondern in den unschuldigst scheinenden Berührungen vermuthet man die Schlange und rüstet sich. Vertheidigung ist jezt Angriff. Man steht auf den Hinterfüßen und traut dem Frieden nicht. Ein Satyriker würde ein weites Feld haben, wenn er allen Annäherungen zwischen Ge- und Verbrechen Geldverfälscher. Und alle diese Verbrechen wurden größtentheils in einem Alter zwischen 25 und 35 Jahren begangen; 44 Verbrechen jedoch sogar von Kindern, die noch nicht einmal das 15te Jahr erreicht hatten! Es ist schwer, solche Angaben beruhigend oder beängstigend zu nennen; für den Frieden und die Glückseligkeit der Menschen sind es immer zu viel Frevel, und doch sind es noch immer weniger als es seyn müßten, um über die ganze Welt den Fluch auszusprechen und in die Einsamkeit zu ziehen. Die Verbrechen unserer Zeit – selbst wenn sie mit der zunehmenden künstlichen Bildung steigen sollten – sind nicht so bedenklich, als ein gefährlicheres Uebel: die Sittenlosigkeit ohne Verbrechen. Die Prostitution ist ein Beispiel desselben; allein Vieles, was sich nur nicht offen preisgibt, gehört in diese Kategorie. Es wird viel gestohlen, ohne daß der Dieb gehängt werden kann, viel betrogen, ohne daß man den Betrüger nur so nennen darf. Es wird sogar genug gemordet, ohne daß es Mörder und (wenigstens augenblicklich) Leichen gäbe. Die Weltbildung unserer Zeit ist deßhalb auch die, sich bei Niemanden etwas Gutes zu versehen; sondern in den unschuldigst scheinenden Berührungen vermuthet man die Schlange und rüstet sich. Vertheidigung ist jezt Angriff. Man steht auf den Hinterfüßen und traut dem Frieden nicht. Ein Satyriker würde ein weites Feld haben, wenn er allen Annäherungen zwischen Ge- und Verbrechen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0125" n="123"/> Geldverfälscher. Und alle diese Verbrechen wurden größtentheils in einem Alter zwischen 25 und 35 Jahren begangen; 44 Verbrechen jedoch sogar von Kindern, die noch nicht einmal das 15te Jahr erreicht hatten! Es ist schwer, solche Angaben beruhigend oder beängstigend zu nennen; für den Frieden und die Glückseligkeit der Menschen sind es immer zu viel Frevel, und doch sind es noch immer weniger als es seyn müßten, um über die ganze Welt den Fluch auszusprechen und in die Einsamkeit zu ziehen.</p> <p>Die Verbrechen unserer Zeit – selbst wenn sie mit der zunehmenden <hi rendition="#g">künstlichen</hi> Bildung steigen sollten – sind nicht so bedenklich, als ein gefährlicheres Uebel: <hi rendition="#g">die Sittenlosigkeit ohne Verbrechen</hi>. Die Prostitution ist ein Beispiel desselben; allein Vieles, was sich nur nicht offen preisgibt, gehört in diese Kategorie. Es wird viel gestohlen, ohne daß der Dieb gehängt werden kann, viel betrogen, ohne daß man den Betrüger nur so nennen darf. Es wird sogar genug gemordet, ohne daß es Mörder und (wenigstens augenblicklich) Leichen gäbe. Die Weltbildung unserer Zeit ist deßhalb auch die, sich bei Niemanden etwas Gutes zu versehen; sondern in den unschuldigst scheinenden Berührungen vermuthet man die Schlange und rüstet sich. Vertheidigung ist jezt Angriff. Man steht auf den Hinterfüßen und traut dem Frieden nicht. Ein Satyriker würde ein weites Feld haben, wenn er allen Annäherungen zwischen Ge- und Verbrechen </p> </div> </body> </text> </TEI> [123/0125]
Geldverfälscher. Und alle diese Verbrechen wurden größtentheils in einem Alter zwischen 25 und 35 Jahren begangen; 44 Verbrechen jedoch sogar von Kindern, die noch nicht einmal das 15te Jahr erreicht hatten! Es ist schwer, solche Angaben beruhigend oder beängstigend zu nennen; für den Frieden und die Glückseligkeit der Menschen sind es immer zu viel Frevel, und doch sind es noch immer weniger als es seyn müßten, um über die ganze Welt den Fluch auszusprechen und in die Einsamkeit zu ziehen.
Die Verbrechen unserer Zeit – selbst wenn sie mit der zunehmenden künstlichen Bildung steigen sollten – sind nicht so bedenklich, als ein gefährlicheres Uebel: die Sittenlosigkeit ohne Verbrechen. Die Prostitution ist ein Beispiel desselben; allein Vieles, was sich nur nicht offen preisgibt, gehört in diese Kategorie. Es wird viel gestohlen, ohne daß der Dieb gehängt werden kann, viel betrogen, ohne daß man den Betrüger nur so nennen darf. Es wird sogar genug gemordet, ohne daß es Mörder und (wenigstens augenblicklich) Leichen gäbe. Die Weltbildung unserer Zeit ist deßhalb auch die, sich bei Niemanden etwas Gutes zu versehen; sondern in den unschuldigst scheinenden Berührungen vermuthet man die Schlange und rüstet sich. Vertheidigung ist jezt Angriff. Man steht auf den Hinterfüßen und traut dem Frieden nicht. Ein Satyriker würde ein weites Feld haben, wenn er allen Annäherungen zwischen Ge- und Verbrechen
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/125>, abgerufen am 27.07.2024. |