Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.gemacht hat, Beccaria, die Ungerechtigkeit der Todesstrafe fast mathematisch zu beweisen gesucht. Wir haben selbst in Obigem Einiges, was in dieser Rücksicht Recht und Gerechtigkeit betrifft, angegeben; allein Beccaria ist in seiner Beweisführung zu weit gegangen. Er sagt, indem er dabei von rousseauischen Prinzipien ausgeht, daß bei Abschluß des ersten Staatsvertrags die Strafbefugniß der Allgemeinheit schwerlich jemals von dem Einzelnen dahin ausgedehnt worden wäre, daß er sein eigenes Daseyn für den Fall irgend eines Verbrechens dem Ganzen überlassen hätte. Beccaria begeht hier keinen andern Jrrthum, als den, daß er einen fingirten Vertrag, welches der Contract social doch immer ist, zu einem historischen macht; denn historisch möcht' es allerdings in Zeiten roher Kultur möglich gewesen seyn, daß die Contrahenten sich über Recht und Strafe vereinigten, aber ihr eignes Leben für den Fall von Gewaltthätigkeiten vielleicht gegen einander nicht ausgetauscht haben würden. Genug, diese schwache Beweisführung hat der Sache, der sie dienen sollte, viel geschadet; denn nun haben die Rechts- und Polizeilehrer freies Spiel gehabt, Beccaria's Vorschläge, die sogar der deutsche Philosoph Kant als "eine schwache Empfindsamkeit affectirter Humanität" hinstellt, zurückzuweisen. Es gibt nur einen siegreichen Widerspruch gegen die Todesstrafe, und dieser liegt in dem Geiste des Jahrhunderts, in der einmal angeregten Protestation der Gefühle gegen gemacht hat, Beccaria, die Ungerechtigkeit der Todesstrafe fast mathematisch zu beweisen gesucht. Wir haben selbst in Obigem Einiges, was in dieser Rücksicht Recht und Gerechtigkeit betrifft, angegeben; allein Beccaria ist in seiner Beweisführung zu weit gegangen. Er sagt, indem er dabei von rousseauischen Prinzipien ausgeht, daß bei Abschluß des ersten Staatsvertrags die Strafbefugniß der Allgemeinheit schwerlich jemals von dem Einzelnen dahin ausgedehnt worden wäre, daß er sein eigenes Daseyn für den Fall irgend eines Verbrechens dem Ganzen überlassen hätte. Beccaria begeht hier keinen andern Jrrthum, als den, daß er einen fingirten Vertrag, welches der Contract social doch immer ist, zu einem historischen macht; denn historisch möcht’ es allerdings in Zeiten roher Kultur möglich gewesen seyn, daß die Contrahenten sich über Recht und Strafe vereinigten, aber ihr eignes Leben für den Fall von Gewaltthätigkeiten vielleicht gegen einander nicht ausgetauscht haben würden. Genug, diese schwache Beweisführung hat der Sache, der sie dienen sollte, viel geschadet; denn nun haben die Rechts- und Polizeilehrer freies Spiel gehabt, Beccaria’s Vorschläge, die sogar der deutsche Philosoph Kant als "eine schwache Empfindsamkeit affectirter Humanität" hinstellt, zurückzuweisen. Es gibt nur einen siegreichen Widerspruch gegen die Todesstrafe, und dieser liegt in dem Geiste des Jahrhunderts, in der einmal angeregten Protestation der Gefühle gegen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0119" n="117"/> gemacht hat, <hi rendition="#g">Beccaria</hi>, die Ungerechtigkeit der Todesstrafe fast mathematisch zu beweisen gesucht. Wir haben selbst in Obigem Einiges, was in dieser Rücksicht Recht und Gerechtigkeit betrifft, angegeben; allein <hi rendition="#g">Beccaria</hi> ist in seiner Beweisführung zu weit gegangen. Er sagt, indem er dabei von rousseauischen Prinzipien ausgeht, daß bei Abschluß des ersten Staatsvertrags die Strafbefugniß der Allgemeinheit schwerlich jemals von dem Einzelnen dahin ausgedehnt worden wäre, daß er sein eigenes Daseyn für den Fall irgend eines Verbrechens dem Ganzen überlassen hätte. <hi rendition="#g">Beccaria</hi> begeht hier keinen andern Jrrthum, als den, daß er einen fingirten Vertrag, welches der <hi rendition="#aq">Contract social</hi> doch immer ist, zu einem historischen macht; denn historisch möcht’ es allerdings in Zeiten roher Kultur möglich gewesen seyn, daß die Contrahenten sich über Recht und Strafe vereinigten, aber ihr eignes Leben für den Fall von Gewaltthätigkeiten vielleicht gegen einander nicht ausgetauscht haben würden. Genug, diese schwache Beweisführung hat der Sache, der sie dienen sollte, viel geschadet; denn nun haben die Rechts- und Polizeilehrer freies Spiel gehabt, <hi rendition="#g">Beccaria’s</hi> Vorschläge, die sogar der deutsche Philosoph <hi rendition="#g">Kant</hi> als "eine schwache Empfindsamkeit affectirter Humanität" hinstellt, zurückzuweisen. Es gibt nur <hi rendition="#g">einen</hi> siegreichen Widerspruch gegen die Todesstrafe, und dieser liegt in dem Geiste des Jahrhunderts, in der einmal angeregten Protestation der Gefühle gegen </p> </div> </body> </text> </TEI> [117/0119]
gemacht hat, Beccaria, die Ungerechtigkeit der Todesstrafe fast mathematisch zu beweisen gesucht. Wir haben selbst in Obigem Einiges, was in dieser Rücksicht Recht und Gerechtigkeit betrifft, angegeben; allein Beccaria ist in seiner Beweisführung zu weit gegangen. Er sagt, indem er dabei von rousseauischen Prinzipien ausgeht, daß bei Abschluß des ersten Staatsvertrags die Strafbefugniß der Allgemeinheit schwerlich jemals von dem Einzelnen dahin ausgedehnt worden wäre, daß er sein eigenes Daseyn für den Fall irgend eines Verbrechens dem Ganzen überlassen hätte. Beccaria begeht hier keinen andern Jrrthum, als den, daß er einen fingirten Vertrag, welches der Contract social doch immer ist, zu einem historischen macht; denn historisch möcht’ es allerdings in Zeiten roher Kultur möglich gewesen seyn, daß die Contrahenten sich über Recht und Strafe vereinigten, aber ihr eignes Leben für den Fall von Gewaltthätigkeiten vielleicht gegen einander nicht ausgetauscht haben würden. Genug, diese schwache Beweisführung hat der Sache, der sie dienen sollte, viel geschadet; denn nun haben die Rechts- und Polizeilehrer freies Spiel gehabt, Beccaria’s Vorschläge, die sogar der deutsche Philosoph Kant als "eine schwache Empfindsamkeit affectirter Humanität" hinstellt, zurückzuweisen. Es gibt nur einen siegreichen Widerspruch gegen die Todesstrafe, und dieser liegt in dem Geiste des Jahrhunderts, in der einmal angeregten Protestation der Gefühle gegen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/119 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/119>, abgerufen am 16.02.2025. |