Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.eines Mörders erklären, und sogar ein Lied darauf haben und eine Melodie dazu, so ist dies beinahe eine poetische Abrundung der Verbrechen und eine Genugthuung für ihren Urheber, die auf das Volk magisch wirkt und den Delinquenten, gleichsam ausgesühnt, in den Schoos des Volkes zurückführt. Man glaube doch nicht, daß der Anblick des Gräßlichen und die Erzählung davon übermüthige Naturen abhält, es gleichfalls zu risquiren. Die Furcht (und es wäre traurig, wenn es allein so wäre) ist nicht das Hinderniß einer moralischen Verwilderung, wohl aber ist das menschliche Gemüth in den meisten seiner Licht- und Schattenseiten noch ein unergründetes und spukhaftes Geheimniß. Alles Große imponirt dem Menschen und reizt seinen Nachahmungstrieb auf; kaltblütig aber auf dem Schaffot zu sterben - dazu gehört unter allen Umständen ein großer Aufwand innerer Spannkräfte; das abschreckende Motiv im Volke ist keinesweges die Furcht, und ich bin gewiß, daß es auf jähzornige, gewaltthätige und grausame Menschen heftiger und abschreckender wirkt, die Aussicht zu haben, lebenslänglich Pferdearbeit verrichten zu müssen, als die, hingerichtet zu werden. Die Unzuläßigkeit der Todesstrafe, eben so wie ihre Nothwendigkeit aus der Theorie des Staates herzuleiten, ist Beides gleich bedenklich. Leider hat auch einer der edelsten Geister, der sich im Kampfe gegen die Barbarei der alten Strafgesetzgebung so verdient eines Mörders erklären, und sogar ein Lied darauf haben und eine Melodie dazu, so ist dies beinahe eine poetische Abrundung der Verbrechen und eine Genugthuung für ihren Urheber, die auf das Volk magisch wirkt und den Delinquenten, gleichsam ausgesühnt, in den Schoos des Volkes zurückführt. Man glaube doch nicht, daß der Anblick des Gräßlichen und die Erzählung davon übermüthige Naturen abhält, es gleichfalls zu risquiren. Die Furcht (und es wäre traurig, wenn es allein so wäre) ist nicht das Hinderniß einer moralischen Verwilderung, wohl aber ist das menschliche Gemüth in den meisten seiner Licht- und Schattenseiten noch ein unergründetes und spukhaftes Geheimniß. Alles Große imponirt dem Menschen und reizt seinen Nachahmungstrieb auf; kaltblütig aber auf dem Schaffot zu sterben – dazu gehört unter allen Umständen ein großer Aufwand innerer Spannkräfte; das abschreckende Motiv im Volke ist keinesweges die Furcht, und ich bin gewiß, daß es auf jähzornige, gewaltthätige und grausame Menschen heftiger und abschreckender wirkt, die Aussicht zu haben, lebenslänglich Pferdearbeit verrichten zu müssen, als die, hingerichtet zu werden. Die Unzuläßigkeit der Todesstrafe, eben so wie ihre Nothwendigkeit aus der Theorie des Staates herzuleiten, ist Beides gleich bedenklich. Leider hat auch einer der edelsten Geister, der sich im Kampfe gegen die Barbarei der alten Strafgesetzgebung so verdient <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0118" n="116"/> eines Mörders erklären, und sogar ein Lied darauf haben und eine Melodie dazu, so ist dies beinahe eine poetische <hi rendition="#g">Abrundung</hi> der Verbrechen und eine Genugthuung für ihren Urheber, die auf das Volk magisch wirkt und den Delinquenten, gleichsam ausgesühnt, in den Schoos des Volkes zurückführt. Man glaube doch nicht, daß der Anblick des Gräßlichen und die Erzählung davon übermüthige Naturen abhält, es gleichfalls zu risquiren. Die Furcht (und es wäre traurig, wenn es allein so wäre) ist nicht das Hinderniß einer moralischen Verwilderung, wohl aber ist das menschliche Gemüth in den meisten seiner Licht- und Schattenseiten noch ein unergründetes und spukhaftes Geheimniß. Alles Große imponirt dem Menschen und reizt seinen Nachahmungstrieb auf; kaltblütig aber auf dem Schaffot zu sterben – dazu gehört unter allen Umständen ein großer Aufwand innerer Spannkräfte; das abschreckende Motiv im Volke ist keinesweges die <hi rendition="#g">Furcht</hi>, und ich bin gewiß, daß es auf jähzornige, gewaltthätige und grausame Menschen <hi rendition="#g">heftiger</hi> und abschreckender wirkt, die Aussicht zu haben, lebenslänglich Pferdearbeit verrichten zu müssen, als die, hingerichtet zu werden.</p> <p>Die Unzuläßigkeit der Todesstrafe, eben so wie ihre Nothwendigkeit aus der Theorie des Staates herzuleiten, ist Beides gleich bedenklich. Leider hat auch einer der edelsten Geister, der sich im Kampfe gegen die Barbarei der alten Strafgesetzgebung so verdient </p> </div> </body> </text> </TEI> [116/0118]
eines Mörders erklären, und sogar ein Lied darauf haben und eine Melodie dazu, so ist dies beinahe eine poetische Abrundung der Verbrechen und eine Genugthuung für ihren Urheber, die auf das Volk magisch wirkt und den Delinquenten, gleichsam ausgesühnt, in den Schoos des Volkes zurückführt. Man glaube doch nicht, daß der Anblick des Gräßlichen und die Erzählung davon übermüthige Naturen abhält, es gleichfalls zu risquiren. Die Furcht (und es wäre traurig, wenn es allein so wäre) ist nicht das Hinderniß einer moralischen Verwilderung, wohl aber ist das menschliche Gemüth in den meisten seiner Licht- und Schattenseiten noch ein unergründetes und spukhaftes Geheimniß. Alles Große imponirt dem Menschen und reizt seinen Nachahmungstrieb auf; kaltblütig aber auf dem Schaffot zu sterben – dazu gehört unter allen Umständen ein großer Aufwand innerer Spannkräfte; das abschreckende Motiv im Volke ist keinesweges die Furcht, und ich bin gewiß, daß es auf jähzornige, gewaltthätige und grausame Menschen heftiger und abschreckender wirkt, die Aussicht zu haben, lebenslänglich Pferdearbeit verrichten zu müssen, als die, hingerichtet zu werden.
Die Unzuläßigkeit der Todesstrafe, eben so wie ihre Nothwendigkeit aus der Theorie des Staates herzuleiten, ist Beides gleich bedenklich. Leider hat auch einer der edelsten Geister, der sich im Kampfe gegen die Barbarei der alten Strafgesetzgebung so verdient
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/118 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/118>, abgerufen am 28.07.2024. |