Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.fühlt, daß er sich am Andern halten müsse, wenn der tödliche Streich durch die Luft saust. Da sich alle Stimmen so heftig dagegen aussprechen, die Todesstrafe im Geheimen zu vollziehen, ein Verfahren, das allerdings mißbraucht werden könnte, aber vielleicht mehr Wirkung haben dürfte, des Geheimnisses wegen, als das öffentliche Schauspiel; so wird der Zudrang der Menge zu den Exekutionen sich nicht verlieren, sondern Weiber und Kinder werden sich dabei noch zahlreicher einfinden, als die Männer. So groß das Mitleiden, eine gewiß unschädliche Tugend, für den Delinquenten seyn mag, so ist die Neugier, welche die Menge zusammentrieb, doch noch weit größer. Der Verbrecher ist todt und die Leidenschaften der Masse sind befriedigt. Mit einer trostlosen Gefühlsleere kehrt sie an ihr Gewerbe zurück und hat bloß eine Historie mit angesehen, aber keine Lehre empfangen. Man sagt, daß in dem Augenblick, wo der Verbrecher seine Strafe empfange, die Menge zu jubeln und zu klatschen pflege. Jch habe noch keiner Hinrichtung beigewohnt und kann nur glauben, daß dieser Beifallsruf dem Henker gilt, wenn er seine Sache gut gemacht hat, wie auf der anderen Seite ihn wohl Verwünschungen bedrohen, wenn er in seiner grausen Kunst irgend Etwas verfehlte. Wenn also diese thätige Theilnahme des Publikums an den Exekutionen auch nur dem Verfahren selbst und der dabei entwickelten größern Kunstfertigkeit gewidmet ist, so fühlt, daß er sich am Andern halten müsse, wenn der tödliche Streich durch die Luft saust. Da sich alle Stimmen so heftig dagegen aussprechen, die Todesstrafe im Geheimen zu vollziehen, ein Verfahren, das allerdings mißbraucht werden könnte, aber vielleicht mehr Wirkung haben dürfte, des Geheimnisses wegen, als das öffentliche Schauspiel; so wird der Zudrang der Menge zu den Exekutionen sich nicht verlieren, sondern Weiber und Kinder werden sich dabei noch zahlreicher einfinden, als die Männer. So groß das Mitleiden, eine gewiß unschädliche Tugend, für den Delinquenten seyn mag, so ist die Neugier, welche die Menge zusammentrieb, doch noch weit größer. Der Verbrecher ist todt und die Leidenschaften der Masse sind befriedigt. Mit einer trostlosen Gefühlsleere kehrt sie an ihr Gewerbe zurück und hat bloß eine Historie mit angesehen, aber keine Lehre empfangen. Man sagt, daß in dem Augenblick, wo der Verbrecher seine Strafe empfange, die Menge zu jubeln und zu klatschen pflege. Jch habe noch keiner Hinrichtung beigewohnt und kann nur glauben, daß dieser Beifallsruf dem Henker gilt, wenn er seine Sache gut gemacht hat, wie auf der anderen Seite ihn wohl Verwünschungen bedrohen, wenn er in seiner grausen Kunst irgend Etwas verfehlte. Wenn also diese thätige Theilnahme des Publikums an den Exekutionen auch nur dem Verfahren selbst und der dabei entwickelten größern Kunstfertigkeit gewidmet ist, so <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0116" n="114"/> fühlt, daß er sich am Andern halten müsse, wenn der tödliche Streich durch die Luft saust. Da sich alle Stimmen so heftig dagegen aussprechen, die Todesstrafe im Geheimen zu vollziehen, ein Verfahren, das allerdings mißbraucht werden könnte, aber vielleicht mehr Wirkung haben dürfte, des Geheimnisses wegen, als das öffentliche Schauspiel; so wird der Zudrang der Menge zu den Exekutionen sich nicht verlieren, sondern Weiber und Kinder werden sich dabei noch zahlreicher einfinden, als die Männer. So groß das Mitleiden, eine gewiß unschädliche Tugend, für den Delinquenten seyn mag, so ist die Neugier, welche die Menge zusammentrieb, doch noch weit größer. Der Verbrecher ist todt und die Leidenschaften der Masse sind befriedigt. Mit einer trostlosen Gefühlsleere kehrt sie an ihr Gewerbe zurück und hat bloß eine Historie mit angesehen, aber keine Lehre empfangen. Man sagt, daß in dem Augenblick, wo der Verbrecher seine Strafe empfange, die Menge zu jubeln und zu klatschen pflege. Jch habe noch keiner Hinrichtung beigewohnt und kann nur glauben, daß dieser Beifallsruf dem Henker gilt, wenn er seine Sache gut gemacht hat, wie auf der anderen Seite ihn wohl Verwünschungen bedrohen, wenn er in seiner grausen Kunst irgend Etwas verfehlte. Wenn also diese thätige Theilnahme des Publikums an den Exekutionen auch nur dem Verfahren selbst und der dabei entwickelten größern Kunstfertigkeit gewidmet ist, so </p> </div> </body> </text> </TEI> [114/0116]
fühlt, daß er sich am Andern halten müsse, wenn der tödliche Streich durch die Luft saust. Da sich alle Stimmen so heftig dagegen aussprechen, die Todesstrafe im Geheimen zu vollziehen, ein Verfahren, das allerdings mißbraucht werden könnte, aber vielleicht mehr Wirkung haben dürfte, des Geheimnisses wegen, als das öffentliche Schauspiel; so wird der Zudrang der Menge zu den Exekutionen sich nicht verlieren, sondern Weiber und Kinder werden sich dabei noch zahlreicher einfinden, als die Männer. So groß das Mitleiden, eine gewiß unschädliche Tugend, für den Delinquenten seyn mag, so ist die Neugier, welche die Menge zusammentrieb, doch noch weit größer. Der Verbrecher ist todt und die Leidenschaften der Masse sind befriedigt. Mit einer trostlosen Gefühlsleere kehrt sie an ihr Gewerbe zurück und hat bloß eine Historie mit angesehen, aber keine Lehre empfangen. Man sagt, daß in dem Augenblick, wo der Verbrecher seine Strafe empfange, die Menge zu jubeln und zu klatschen pflege. Jch habe noch keiner Hinrichtung beigewohnt und kann nur glauben, daß dieser Beifallsruf dem Henker gilt, wenn er seine Sache gut gemacht hat, wie auf der anderen Seite ihn wohl Verwünschungen bedrohen, wenn er in seiner grausen Kunst irgend Etwas verfehlte. Wenn also diese thätige Theilnahme des Publikums an den Exekutionen auch nur dem Verfahren selbst und der dabei entwickelten größern Kunstfertigkeit gewidmet ist, so
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/116>, abgerufen am 16.02.2025. |