Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.nicht mehr, um zu zerstören, sondern selbst unsere zerstörerischen Gedanken sind nur dazu da, um aufzubauen. Man muß sich nicht täuschen lassen von dem gräßlichen Contraste, wie die Geschichte Europa's im achtzehnten Jahrhundert begann, und wie sie endete. Sie begann mit dem Pedantismus und der Steifheit, mit der Naivität und dem Lächerlichen und endete mit dem höchsten Pathos der Leidenschaft, mit dem blutigen Schrecken der Guillotine. Dieß ist ein Widerspruch, den wir niemals erklären könnten, wenn wir nicht wüßten, was zwischen dem Anfang und dem Ende gelegen hat. Die Unruhe des Geistes sowohl wie des Gemüthes lag dazwischen; der tiefe zweifelnde Verstand der philosophischen Spekulation ebensowohl wie die frivolen Zweifel der Satire und des Witzes; eine Welt von gedankenloser Zerstreuung, ebenso wie eine Umwühlung in den bestimmten Absichten einiger dreister Köpfe. Und dennoch ahnte Niemand von allen denen, die eigentlich das Holz herbeigetragen haben, um die Guillotine zu bauen, die blutigen Schrecken der Zukunft. Herr von Malesherbes ahnte unter seinen Rosen nicht, daß dereinst aus seinem Blute die Rosen der Freiheit sprießen würden. Ja, selbst Rousseau, der so viel dazu beigetragen hatte, die Meinungen seiner Zeit, ich will nicht sagen, zu verwirren, sondern sie auf ein Fundament zu gründen, das freilich mit den bestehenden Verhältnissen im Widerspruche lag, selbst Rousseau war so weit entfernt von dem Gedanken einer Revolution, daß er in nicht mehr, um zu zerstören, sondern selbst unsere zerstörerischen Gedanken sind nur dazu da, um aufzubauen. Man muß sich nicht täuschen lassen von dem gräßlichen Contraste, wie die Geschichte Europa’s im achtzehnten Jahrhundert begann, und wie sie endete. Sie begann mit dem Pedantismus und der Steifheit, mit der Naivität und dem Lächerlichen und endete mit dem höchsten Pathos der Leidenschaft, mit dem blutigen Schrecken der Guillotine. Dieß ist ein Widerspruch, den wir niemals erklären könnten, wenn wir nicht wüßten, was zwischen dem Anfang und dem Ende gelegen hat. Die Unruhe des Geistes sowohl wie des Gemüthes lag dazwischen; der tiefe zweifelnde Verstand der philosophischen Spekulation ebensowohl wie die frivolen Zweifel der Satire und des Witzes; eine Welt von gedankenloser Zerstreuung, ebenso wie eine Umwühlung in den bestimmten Absichten einiger dreister Köpfe. Und dennoch ahnte Niemand von allen denen, die eigentlich das Holz herbeigetragen haben, um die Guillotine zu bauen, die blutigen Schrecken der Zukunft. Herr von Malesherbes ahnte unter seinen Rosen nicht, daß dereinst aus seinem Blute die Rosen der Freiheit sprießen würden. Ja, selbst Rousseau, der so viel dazu beigetragen hatte, die Meinungen seiner Zeit, ich will nicht sagen, zu verwirren, sondern sie auf ein Fundament zu gründen, das freilich mit den bestehenden Verhältnissen im Widerspruche lag, selbst Rousseau war so weit entfernt von dem Gedanken einer Revolution, daß er in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0093" n="65"/> nicht mehr, um zu zerstören, sondern selbst unsere zerstörerischen Gedanken sind nur dazu da, um aufzubauen.</p> <p>Man muß sich nicht täuschen lassen von dem gräßlichen Contraste, wie die Geschichte Europa’s im achtzehnten Jahrhundert begann, und wie sie endete. Sie begann mit dem Pedantismus und der Steifheit, mit der Naivität und dem Lächerlichen und endete mit dem höchsten Pathos der Leidenschaft, mit dem blutigen Schrecken der Guillotine. Dieß ist ein Widerspruch, den wir niemals erklären könnten, wenn wir nicht wüßten, was zwischen dem Anfang und dem Ende gelegen hat. Die Unruhe des Geistes sowohl wie des Gemüthes lag dazwischen; der tiefe zweifelnde Verstand der philosophischen Spekulation ebensowohl wie die frivolen Zweifel der Satire und des Witzes; eine Welt von gedankenloser Zerstreuung, ebenso wie eine Umwühlung in den bestimmten Absichten einiger dreister Köpfe. Und dennoch ahnte Niemand von allen denen, die eigentlich das Holz herbeigetragen haben, um die Guillotine zu bauen, die blutigen Schrecken der Zukunft. Herr von Malesherbes ahnte unter seinen Rosen nicht, daß dereinst aus seinem Blute die Rosen der Freiheit sprießen würden. Ja, selbst Rousseau, der so viel dazu beigetragen hatte, die Meinungen seiner Zeit, ich will nicht sagen, zu verwirren, sondern sie auf ein Fundament zu gründen, das freilich mit den bestehenden Verhältnissen im Widerspruche lag, selbst Rousseau war so weit entfernt von dem Gedanken einer Revolution, daß er in </p> </div> </body> </text> </TEI> [65/0093]
nicht mehr, um zu zerstören, sondern selbst unsere zerstörerischen Gedanken sind nur dazu da, um aufzubauen.
Man muß sich nicht täuschen lassen von dem gräßlichen Contraste, wie die Geschichte Europa’s im achtzehnten Jahrhundert begann, und wie sie endete. Sie begann mit dem Pedantismus und der Steifheit, mit der Naivität und dem Lächerlichen und endete mit dem höchsten Pathos der Leidenschaft, mit dem blutigen Schrecken der Guillotine. Dieß ist ein Widerspruch, den wir niemals erklären könnten, wenn wir nicht wüßten, was zwischen dem Anfang und dem Ende gelegen hat. Die Unruhe des Geistes sowohl wie des Gemüthes lag dazwischen; der tiefe zweifelnde Verstand der philosophischen Spekulation ebensowohl wie die frivolen Zweifel der Satire und des Witzes; eine Welt von gedankenloser Zerstreuung, ebenso wie eine Umwühlung in den bestimmten Absichten einiger dreister Köpfe. Und dennoch ahnte Niemand von allen denen, die eigentlich das Holz herbeigetragen haben, um die Guillotine zu bauen, die blutigen Schrecken der Zukunft. Herr von Malesherbes ahnte unter seinen Rosen nicht, daß dereinst aus seinem Blute die Rosen der Freiheit sprießen würden. Ja, selbst Rousseau, der so viel dazu beigetragen hatte, die Meinungen seiner Zeit, ich will nicht sagen, zu verwirren, sondern sie auf ein Fundament zu gründen, das freilich mit den bestehenden Verhältnissen im Widerspruche lag, selbst Rousseau war so weit entfernt von dem Gedanken einer Revolution, daß er in
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/93>, abgerufen am 16.02.2025. |