Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Art, von der man nicht sagen kann, ob sie etwas ursprünglich rein aus der menschlichen Natur Quillendes, ein nur unsern Zeiten gewordenes Phänomen ist oder eine Folge der unsre Zeit charakterisirenden Gedankenlosigkeit, die nichts Absolutes ist, sondern es duldet, daß sich alle Fähigkeiten und moralische Anlagen auf einen Punkt hindrängen und in einer Manie zum Ausbruch kommen, wo, wie bei den Mördern Louvel, Fieschi, Alibeaud, Sand, alles übrige Gute und Schlechte in eine Jndifferenz sich amalgamirt, daß man nicht mehr weiß, wo die Größe aufhört, und das Verbrechen anfängt. Hier sehen wir, wie dringend eine Verbesserung unsrer gesellschaftlichen Zustände Noth thut, da wir sonst in die Verlegenheit kommen werden, alle Thatsachen unsrer bisherigen Moral zu verlieren, oder Gefahr laufen, von unsern Kindern ausgelacht zu werden, wenn wir ihnen sagen: Dieß ist weiß, und dieß ist schwarz! Man beobachte unsre Zeitgenossen, und man wird finden, daß sie in einem Stück Riesen und im andern Pygmäen sind. Klein sind unsre häuslichen Tugenden, klein ist alles Verdienst, das wir auf die Bildung und Veredlung unsres Herzens verwenden. Die Religion werden wir ebenso wenig andächtig verehren, wie wir nicht den Muth haben, sie zu verwerfen. Dieß ist unser Jndifferentismus. Wir lesen wohl gar mit Vergnügen ein sinnliches Buch und billigen es, wenn der Verfasser desselben dafür bestraft wird. Es ist das die Consequenz einer Zeit, wo die Philosophen lehren: "Es gibt zwar Art, von der man nicht sagen kann, ob sie etwas ursprünglich rein aus der menschlichen Natur Quillendes, ein nur unsern Zeiten gewordenes Phänomen ist oder eine Folge der unsre Zeit charakterisirenden Gedankenlosigkeit, die nichts Absolutes ist, sondern es duldet, daß sich alle Fähigkeiten und moralische Anlagen auf einen Punkt hindrängen und in einer Manie zum Ausbruch kommen, wo, wie bei den Mördern Louvel, Fieschi, Alibeaud, Sand, alles übrige Gute und Schlechte in eine Jndifferenz sich amalgamirt, daß man nicht mehr weiß, wo die Größe aufhört, und das Verbrechen anfängt. Hier sehen wir, wie dringend eine Verbesserung unsrer gesellschaftlichen Zustände Noth thut, da wir sonst in die Verlegenheit kommen werden, alle Thatsachen unsrer bisherigen Moral zu verlieren, oder Gefahr laufen, von unsern Kindern ausgelacht zu werden, wenn wir ihnen sagen: Dieß ist weiß, und dieß ist schwarz! Man beobachte unsre Zeitgenossen, und man wird finden, daß sie in einem Stück Riesen und im andern Pygmäen sind. Klein sind unsre häuslichen Tugenden, klein ist alles Verdienst, das wir auf die Bildung und Veredlung unsres Herzens verwenden. Die Religion werden wir ebenso wenig andächtig verehren, wie wir nicht den Muth haben, sie zu verwerfen. Dieß ist unser Jndifferentismus. Wir lesen wohl gar mit Vergnügen ein sinnliches Buch und billigen es, wenn der Verfasser desselben dafür bestraft wird. Es ist das die Consequenz einer Zeit, wo die Philosophen lehren: "Es gibt zwar <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0088" n="60"/> Art, von der man nicht sagen kann, ob sie etwas ursprünglich rein aus der menschlichen Natur Quillendes, ein nur <hi rendition="#g">unsern</hi> Zeiten gewordenes Phänomen ist oder eine Folge der unsre Zeit charakterisirenden Gedankenlosigkeit, die nichts Absolutes ist, sondern es duldet, daß sich alle Fähigkeiten und moralische Anlagen auf einen Punkt hindrängen und in einer Manie zum Ausbruch kommen, wo, wie bei den Mördern Louvel, Fieschi, Alibeaud, Sand, alles übrige Gute und Schlechte in eine Jndifferenz sich amalgamirt, daß man nicht mehr weiß, wo die Größe aufhört, und das Verbrechen anfängt. Hier sehen wir, wie dringend eine Verbesserung unsrer gesellschaftlichen Zustände Noth thut, da wir sonst in die Verlegenheit kommen werden, alle Thatsachen unsrer bisherigen Moral zu verlieren, oder Gefahr laufen, von unsern Kindern ausgelacht zu werden, wenn wir ihnen sagen: Dieß ist weiß, und dieß ist schwarz!</p> <p>Man beobachte unsre Zeitgenossen, und man wird finden, daß sie in einem Stück Riesen und im andern Pygmäen sind. Klein sind unsre häuslichen Tugenden, klein ist alles Verdienst, das wir auf die Bildung und Veredlung unsres Herzens verwenden. Die Religion werden wir ebenso wenig andächtig verehren, wie wir nicht den Muth haben, sie zu verwerfen. Dieß ist unser Jndifferentismus. Wir lesen wohl gar mit Vergnügen ein sinnliches Buch und billigen es, wenn der Verfasser desselben dafür bestraft wird. Es ist das die Consequenz einer Zeit, wo die Philosophen lehren: "Es gibt zwar </p> </div> </body> </text> </TEI> [60/0088]
Art, von der man nicht sagen kann, ob sie etwas ursprünglich rein aus der menschlichen Natur Quillendes, ein nur unsern Zeiten gewordenes Phänomen ist oder eine Folge der unsre Zeit charakterisirenden Gedankenlosigkeit, die nichts Absolutes ist, sondern es duldet, daß sich alle Fähigkeiten und moralische Anlagen auf einen Punkt hindrängen und in einer Manie zum Ausbruch kommen, wo, wie bei den Mördern Louvel, Fieschi, Alibeaud, Sand, alles übrige Gute und Schlechte in eine Jndifferenz sich amalgamirt, daß man nicht mehr weiß, wo die Größe aufhört, und das Verbrechen anfängt. Hier sehen wir, wie dringend eine Verbesserung unsrer gesellschaftlichen Zustände Noth thut, da wir sonst in die Verlegenheit kommen werden, alle Thatsachen unsrer bisherigen Moral zu verlieren, oder Gefahr laufen, von unsern Kindern ausgelacht zu werden, wenn wir ihnen sagen: Dieß ist weiß, und dieß ist schwarz!
Man beobachte unsre Zeitgenossen, und man wird finden, daß sie in einem Stück Riesen und im andern Pygmäen sind. Klein sind unsre häuslichen Tugenden, klein ist alles Verdienst, das wir auf die Bildung und Veredlung unsres Herzens verwenden. Die Religion werden wir ebenso wenig andächtig verehren, wie wir nicht den Muth haben, sie zu verwerfen. Dieß ist unser Jndifferentismus. Wir lesen wohl gar mit Vergnügen ein sinnliches Buch und billigen es, wenn der Verfasser desselben dafür bestraft wird. Es ist das die Consequenz einer Zeit, wo die Philosophen lehren: "Es gibt zwar
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/88>, abgerufen am 16.02.2025. |