Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.können, was jetzt verlassen, knapp, bekleidet und jeder Kritik unterworfen dastand. Die zusammengeschrumpften Gliedmaßen mußten sich strecken, dem Körper mußte eine vorzügliche Pflege zugewandt werden. Seither werden wir finden, daß die Leiber unsrer Zeit so ziemlich schlicht und pappelhaft gewachsen sind. Doch gestehen wir es nur, wir sehen Alle ziemlich blaß aus und haben Reißen hier und da. Der Wuchs ist schlank und stolz; doch fehlt es an Uebeln nicht, die in der alten Zeit weniger allgemein waren. Es gibt zwei Siechthümer: eines der Armen und eines der Reichen. Das letztre fand zu allen Zeiten Statt und steigerte sich nur in einer gewissen Beziehung, für die ich keinen Namen, sondern nur ein Beispiel habe. Jn großen Städten, besonders solchen, die eine eigne Separatverfassung haben, findet sich eine immer mehr gesteigerte Tendenz zum Krüppelhaften. Dieß ist nicht die Folge des Wohllebens, sondern eine physiologische Folge, die sich aus einer kümmerlichen Moral ergibt. Die Heirathen pflegen dort nämlich überzwerg aus einer Familie in die andre überzugehen, selten mit recht heißer Liebe, fast immer nach längst vorangegangener Bekanntschaft, die das Ueble für Liebende hat, daß es ihren Produktionen das kräftige Jnkarnat der Neuheit nimmt. Jhre charakteristischen Züge haben sich durch langes Sehen und Beisammenleben ausgewischt. So hat selbst das Kind eines solchen Verhältnisses einen Zug, der es sogleich der Familie können, was jetzt verlassen, knapp, bekleidet und jeder Kritik unterworfen dastand. Die zusammengeschrumpften Gliedmaßen mußten sich strecken, dem Körper mußte eine vorzügliche Pflege zugewandt werden. Seither werden wir finden, daß die Leiber unsrer Zeit so ziemlich schlicht und pappelhaft gewachsen sind. Doch gestehen wir es nur, wir sehen Alle ziemlich blaß aus und haben Reißen hier und da. Der Wuchs ist schlank und stolz; doch fehlt es an Uebeln nicht, die in der alten Zeit weniger allgemein waren. Es gibt zwei Siechthümer: eines der Armen und eines der Reichen. Das letztre fand zu allen Zeiten Statt und steigerte sich nur in einer gewissen Beziehung, für die ich keinen Namen, sondern nur ein Beispiel habe. Jn großen Städten, besonders solchen, die eine eigne Separatverfassung haben, findet sich eine immer mehr gesteigerte Tendenz zum Krüppelhaften. Dieß ist nicht die Folge des Wohllebens, sondern eine physiologische Folge, die sich aus einer kümmerlichen Moral ergibt. Die Heirathen pflegen dort nämlich überzwerg aus einer Familie in die andre überzugehen, selten mit recht heißer Liebe, fast immer nach längst vorangegangener Bekanntschaft, die das Ueble für Liebende hat, daß es ihren Produktionen das kräftige Jnkarnat der Neuheit nimmt. Jhre charakteristischen Züge haben sich durch langes Sehen und Beisammenleben ausgewischt. So hat selbst das Kind eines solchen Verhältnisses einen Zug, der es sogleich der Familie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0082" n="54"/> können, was jetzt verlassen, knapp, bekleidet und jeder Kritik unterworfen dastand. Die zusammengeschrumpften Gliedmaßen mußten sich strecken, dem Körper mußte eine vorzügliche Pflege zugewandt werden. Seither werden wir finden, daß die Leiber unsrer Zeit so ziemlich schlicht und pappelhaft gewachsen sind. Doch gestehen wir es nur, wir sehen Alle ziemlich blaß aus und haben Reißen hier und da. Der Wuchs ist schlank und stolz; doch fehlt es an Uebeln nicht, die in der alten Zeit weniger allgemein waren.</p> <p>Es gibt zwei Siechthümer: eines der Armen und eines der Reichen. Das letztre fand zu allen Zeiten Statt und steigerte sich nur in einer gewissen Beziehung, für die ich keinen Namen, sondern nur ein Beispiel habe. Jn großen Städten, besonders solchen, die eine eigne Separatverfassung haben, findet sich eine immer mehr gesteigerte Tendenz zum Krüppelhaften. Dieß ist nicht die Folge des Wohllebens, sondern eine physiologische Folge, die sich aus einer kümmerlichen Moral ergibt. Die Heirathen pflegen dort nämlich überzwerg aus einer Familie in die andre überzugehen, selten mit recht heißer Liebe, fast immer nach längst vorangegangener Bekanntschaft, die das Ueble für Liebende hat, daß es ihren Produktionen das kräftige Jnkarnat der Neuheit nimmt. Jhre charakteristischen Züge haben sich durch langes Sehen und Beisammenleben ausgewischt. So hat selbst das Kind eines solchen Verhältnisses einen Zug, der es sogleich der Familie </p> </div> </body> </text> </TEI> [54/0082]
können, was jetzt verlassen, knapp, bekleidet und jeder Kritik unterworfen dastand. Die zusammengeschrumpften Gliedmaßen mußten sich strecken, dem Körper mußte eine vorzügliche Pflege zugewandt werden. Seither werden wir finden, daß die Leiber unsrer Zeit so ziemlich schlicht und pappelhaft gewachsen sind. Doch gestehen wir es nur, wir sehen Alle ziemlich blaß aus und haben Reißen hier und da. Der Wuchs ist schlank und stolz; doch fehlt es an Uebeln nicht, die in der alten Zeit weniger allgemein waren.
Es gibt zwei Siechthümer: eines der Armen und eines der Reichen. Das letztre fand zu allen Zeiten Statt und steigerte sich nur in einer gewissen Beziehung, für die ich keinen Namen, sondern nur ein Beispiel habe. Jn großen Städten, besonders solchen, die eine eigne Separatverfassung haben, findet sich eine immer mehr gesteigerte Tendenz zum Krüppelhaften. Dieß ist nicht die Folge des Wohllebens, sondern eine physiologische Folge, die sich aus einer kümmerlichen Moral ergibt. Die Heirathen pflegen dort nämlich überzwerg aus einer Familie in die andre überzugehen, selten mit recht heißer Liebe, fast immer nach längst vorangegangener Bekanntschaft, die das Ueble für Liebende hat, daß es ihren Produktionen das kräftige Jnkarnat der Neuheit nimmt. Jhre charakteristischen Züge haben sich durch langes Sehen und Beisammenleben ausgewischt. So hat selbst das Kind eines solchen Verhältnisses einen Zug, der es sogleich der Familie
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/82 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/82>, abgerufen am 28.07.2024. |