Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.das heißt, die Frauen besaßen ein Mittel, sich immer für geistreich und gelehrt genug hinzustellen, da die französische Sprache, von einem Fremden gesprochen, bekanntlich auch der Abgeschmacktheit selbst den Firniß des Genies gibt; eine absolute Uebung dieser Sprache, eine Uebung, die in der Jllusion leben könnte, als wäre das Französische die Muttersprache selbst, wird doch niemals erreicht. Das Parliren ist und bleibt eine Gedächtnißsache, bei welcher die unleugbare, wenn auch noch so hinreichende Anstrengung in Betreff der Form das immer ersetzt, was man in der Muttersprache aus seinem eignen Kopfe an Jnhalt hinzuthun müßte. Diese Kenntniß versiegte, wie man einen Fluß abschützt und dann auf dem Boden untersuchen kann, was da verloren ist. Man sah, daß nicht viel da lag, daß man sehr viel andre Gegenstände brauchte, um so viel Zeit mit Sprechen auszufüllen, als man früher ausfüllte, nur indem man französisch, d. h. ohne Jnhalt sprach. Man besann sich nicht lange, sondern ließ für ein und dasselbe Geld die Mädchen am Unterrichte der Knaben Theil nehmen; denn wie anders kann man es erklären, daß sich die Bildung des Mädchens derselben Einflüsse und derselben Behandlung gewärtigen mußte, welche die Bildung der Knaben erforderte? Die Mädchen haben auch bald die Männer überflügelt. Es stehen in einem Jahre jetzt mehr Schriftstellerinnen auf, als deren das ganze Alterthum zählt, und nur bei den Griechen zählt; denn auffallend genug, bei den Römern gab es nie weibliche das heißt, die Frauen besaßen ein Mittel, sich immer für geistreich und gelehrt genug hinzustellen, da die französische Sprache, von einem Fremden gesprochen, bekanntlich auch der Abgeschmacktheit selbst den Firniß des Genies gibt; eine absolute Uebung dieser Sprache, eine Uebung, die in der Jllusion leben könnte, als wäre das Französische die Muttersprache selbst, wird doch niemals erreicht. Das Parliren ist und bleibt eine Gedächtnißsache, bei welcher die unleugbare, wenn auch noch so hinreichende Anstrengung in Betreff der Form das immer ersetzt, was man in der Muttersprache aus seinem eignen Kopfe an Jnhalt hinzuthun müßte. Diese Kenntniß versiegte, wie man einen Fluß abschützt und dann auf dem Boden untersuchen kann, was da verloren ist. Man sah, daß nicht viel da lag, daß man sehr viel andre Gegenstände brauchte, um so viel Zeit mit Sprechen auszufüllen, als man früher ausfüllte, nur indem man französisch, d. h. ohne Jnhalt sprach. Man besann sich nicht lange, sondern ließ für ein und dasselbe Geld die Mädchen am Unterrichte der Knaben Theil nehmen; denn wie anders kann man es erklären, daß sich die Bildung des Mädchens derselben Einflüsse und derselben Behandlung gewärtigen mußte, welche die Bildung der Knaben erforderte? Die Mädchen haben auch bald die Männer überflügelt. Es stehen in einem Jahre jetzt mehr Schriftstellerinnen auf, als deren das ganze Alterthum zählt, und nur bei den Griechen zählt; denn auffallend genug, bei den Römern gab es nie weibliche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0071" n="43"/> das heißt, die Frauen besaßen ein Mittel, sich immer für geistreich und gelehrt genug hinzustellen, da die französische Sprache, von einem Fremden gesprochen, bekanntlich auch der Abgeschmacktheit selbst den Firniß des Genies gibt; eine absolute Uebung dieser Sprache, eine Uebung, die in der Jllusion leben könnte, als wäre das Französische die Muttersprache selbst, wird doch niemals erreicht. Das Parliren ist und bleibt eine Gedächtnißsache, bei welcher die unleugbare, wenn auch noch so hinreichende Anstrengung in Betreff der Form das immer ersetzt, was man in der Muttersprache aus seinem eignen Kopfe an Jnhalt hinzuthun müßte. Diese Kenntniß versiegte, wie man einen Fluß abschützt und dann auf dem Boden untersuchen kann, was da verloren ist. Man sah, daß nicht viel da lag, daß man sehr viel andre Gegenstände brauchte, um so viel Zeit mit Sprechen auszufüllen, als man früher ausfüllte, nur indem man französisch, d. h. ohne Jnhalt sprach. Man besann sich nicht lange, sondern ließ für ein und dasselbe Geld die Mädchen am Unterrichte der Knaben Theil nehmen; denn wie anders kann man es erklären, daß sich die Bildung des Mädchens derselben Einflüsse und derselben Behandlung gewärtigen mußte, welche die Bildung der Knaben erforderte? Die Mädchen haben auch bald die Männer überflügelt. Es stehen in einem Jahre jetzt mehr Schriftstellerinnen auf, als deren das ganze Alterthum zählt, und nur bei den Griechen zählt; denn auffallend genug, bei den Römern gab es nie weibliche </p> </div> </body> </text> </TEI> [43/0071]
das heißt, die Frauen besaßen ein Mittel, sich immer für geistreich und gelehrt genug hinzustellen, da die französische Sprache, von einem Fremden gesprochen, bekanntlich auch der Abgeschmacktheit selbst den Firniß des Genies gibt; eine absolute Uebung dieser Sprache, eine Uebung, die in der Jllusion leben könnte, als wäre das Französische die Muttersprache selbst, wird doch niemals erreicht. Das Parliren ist und bleibt eine Gedächtnißsache, bei welcher die unleugbare, wenn auch noch so hinreichende Anstrengung in Betreff der Form das immer ersetzt, was man in der Muttersprache aus seinem eignen Kopfe an Jnhalt hinzuthun müßte. Diese Kenntniß versiegte, wie man einen Fluß abschützt und dann auf dem Boden untersuchen kann, was da verloren ist. Man sah, daß nicht viel da lag, daß man sehr viel andre Gegenstände brauchte, um so viel Zeit mit Sprechen auszufüllen, als man früher ausfüllte, nur indem man französisch, d. h. ohne Jnhalt sprach. Man besann sich nicht lange, sondern ließ für ein und dasselbe Geld die Mädchen am Unterrichte der Knaben Theil nehmen; denn wie anders kann man es erklären, daß sich die Bildung des Mädchens derselben Einflüsse und derselben Behandlung gewärtigen mußte, welche die Bildung der Knaben erforderte? Die Mädchen haben auch bald die Männer überflügelt. Es stehen in einem Jahre jetzt mehr Schriftstellerinnen auf, als deren das ganze Alterthum zählt, und nur bei den Griechen zählt; denn auffallend genug, bei den Römern gab es nie weibliche
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/71>, abgerufen am 28.07.2024. |