Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.überzählig gewesen wäre. Nein, sagten diese, wir sind gesonnen, nach Sidney auszuwandern, wo die Frauen so rar sind, wie weiße Raben und die Männer jedem ankommenden Schiffe durch Sprachrohre schon vom Ufer aus Heirathsanträge zurufen, ohne zu wissen, ob Frauen mitkommen, oder sie gar gesehen zu haben. Diese köstliche Entdeckung, welche wir hier machten, brachte meine Schwester plötzlich um ihr ganzes Hausgesinde. Sie tröstete sich, daß solche Unglücksfälle jetzt hier nichts seltenes seyen; sie bestimmte einen Tag, wo die ganze Sippschaft entlassen wäre und war gescheid genug, es mir zu überlassen, ihr von den jetzt zur Anerbietung kommenden Dienstboten die passenden auszuwählen. Der Auftrag war ehrenvoll, aber auch lästig genug; doch nahm ich ihn an, weil ich zwischen uns keinen Unfrieden stiften wollte. So hatte mir meine verschlagene Schwester eine Beschäftigung übergeben, die mich den ganzen Tag in Anspruch nahm. Meine Gewissenhaftigkeit erlaubte mir doch nicht, nach dem ersten besten Jndividuum zuzugreifen, sondern ich mußte meine Auswahl unter einem Zulauf von mehreren hundert Personen treffen, bei welchen ich recht kennen lernte, wie weit sich die jetzige Zeit von dem, was früher Anstand und Schuldigkeit mit sich brachten, entfernt hat. Bekam meine Schwester Besuch, so mußt' ich, wenn er kaum eingetreten war, schon wieder das Zimmer verlassen, weil sich eine neue Anwartschaft auf die erledigten Stellen gemeldet hatte. Um mich nur ja recht lange aus ihren überzählig gewesen wäre. Nein, sagten diese, wir sind gesonnen, nach Sidney auszuwandern, wo die Frauen so rar sind, wie weiße Raben und die Männer jedem ankommenden Schiffe durch Sprachrohre schon vom Ufer aus Heirathsanträge zurufen, ohne zu wissen, ob Frauen mitkommen, oder sie gar gesehen zu haben. Diese köstliche Entdeckung, welche wir hier machten, brachte meine Schwester plötzlich um ihr ganzes Hausgesinde. Sie tröstete sich, daß solche Unglücksfälle jetzt hier nichts seltenes seyen; sie bestimmte einen Tag, wo die ganze Sippschaft entlassen wäre und war gescheid genug, es mir zu überlassen, ihr von den jetzt zur Anerbietung kommenden Dienstboten die passenden auszuwählen. Der Auftrag war ehrenvoll, aber auch lästig genug; doch nahm ich ihn an, weil ich zwischen uns keinen Unfrieden stiften wollte. So hatte mir meine verschlagene Schwester eine Beschäftigung übergeben, die mich den ganzen Tag in Anspruch nahm. Meine Gewissenhaftigkeit erlaubte mir doch nicht, nach dem ersten besten Jndividuum zuzugreifen, sondern ich mußte meine Auswahl unter einem Zulauf von mehreren hundert Personen treffen, bei welchen ich recht kennen lernte, wie weit sich die jetzige Zeit von dem, was früher Anstand und Schuldigkeit mit sich brachten, entfernt hat. Bekam meine Schwester Besuch, so mußt’ ich, wenn er kaum eingetreten war, schon wieder das Zimmer verlassen, weil sich eine neue Anwartschaft auf die erledigten Stellen gemeldet hatte. Um mich nur ja recht lange aus ihren <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0483" n="455"/> überzählig gewesen wäre. Nein, sagten diese, wir sind gesonnen, nach Sidney auszuwandern, wo die Frauen so rar sind, wie weiße Raben und die Männer jedem ankommenden Schiffe durch Sprachrohre schon vom Ufer aus Heirathsanträge zurufen, ohne zu wissen, ob Frauen mitkommen, oder sie gar gesehen zu haben. Diese köstliche Entdeckung, welche wir hier machten, brachte meine Schwester plötzlich um ihr ganzes Hausgesinde. Sie tröstete sich, daß solche Unglücksfälle jetzt hier nichts seltenes seyen; sie bestimmte einen Tag, wo die ganze Sippschaft entlassen wäre und war gescheid genug, es mir zu überlassen, ihr von den jetzt zur Anerbietung kommenden Dienstboten die passenden auszuwählen. Der Auftrag war ehrenvoll, aber auch lästig genug; doch nahm ich ihn an, weil ich zwischen uns keinen Unfrieden stiften wollte. So hatte mir meine verschlagene Schwester eine Beschäftigung übergeben, die mich den ganzen Tag in Anspruch nahm. Meine Gewissenhaftigkeit erlaubte mir doch nicht, nach dem ersten besten Jndividuum zuzugreifen, sondern ich mußte meine Auswahl unter einem Zulauf von mehreren hundert Personen treffen, bei welchen ich recht kennen lernte, wie weit sich die jetzige Zeit von dem, was früher Anstand und Schuldigkeit mit sich brachten, entfernt hat. Bekam meine Schwester Besuch, so mußt’ ich, wenn er kaum eingetreten war, schon wieder das Zimmer verlassen, weil sich eine neue Anwartschaft auf die erledigten Stellen gemeldet hatte. Um mich nur ja recht lange aus ihren </p> </div> </body> </text> </TEI> [455/0483]
überzählig gewesen wäre. Nein, sagten diese, wir sind gesonnen, nach Sidney auszuwandern, wo die Frauen so rar sind, wie weiße Raben und die Männer jedem ankommenden Schiffe durch Sprachrohre schon vom Ufer aus Heirathsanträge zurufen, ohne zu wissen, ob Frauen mitkommen, oder sie gar gesehen zu haben. Diese köstliche Entdeckung, welche wir hier machten, brachte meine Schwester plötzlich um ihr ganzes Hausgesinde. Sie tröstete sich, daß solche Unglücksfälle jetzt hier nichts seltenes seyen; sie bestimmte einen Tag, wo die ganze Sippschaft entlassen wäre und war gescheid genug, es mir zu überlassen, ihr von den jetzt zur Anerbietung kommenden Dienstboten die passenden auszuwählen. Der Auftrag war ehrenvoll, aber auch lästig genug; doch nahm ich ihn an, weil ich zwischen uns keinen Unfrieden stiften wollte. So hatte mir meine verschlagene Schwester eine Beschäftigung übergeben, die mich den ganzen Tag in Anspruch nahm. Meine Gewissenhaftigkeit erlaubte mir doch nicht, nach dem ersten besten Jndividuum zuzugreifen, sondern ich mußte meine Auswahl unter einem Zulauf von mehreren hundert Personen treffen, bei welchen ich recht kennen lernte, wie weit sich die jetzige Zeit von dem, was früher Anstand und Schuldigkeit mit sich brachten, entfernt hat. Bekam meine Schwester Besuch, so mußt’ ich, wenn er kaum eingetreten war, schon wieder das Zimmer verlassen, weil sich eine neue Anwartschaft auf die erledigten Stellen gemeldet hatte. Um mich nur ja recht lange aus ihren
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/483>, abgerufen am 16.02.2025. |