Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Schwester wird vor mir keine Toilettengeheimnisse haben; sagen Sie nur hinunter, daß ich von der langen Weile geplagt würde." Hilary that es und ich hörte zu meiner Verwunderung, daß sie zwar alle schon wach wären, aber mir vor Mittag keine Hoffnung machen könnten, daß mein Besuch angenommen würde. Jch gestehe, mich verletzte dieser Mangel an Theilnahme tief, doch tröstete ich mich, daß das Herzlose nur in dem formellen Bericht des Bedienten gelegen hätte, und entschloß mich, die lange Mußezeit, die mir nun übrig blieb, zu benutzen, um meinen Bruder Evan zu besuchen, den einzigen, welchen ich habe.

Ein Hausknecht begleitete mich in das Hotel desselben. Jch glaubte gegen die londoner Sitte nicht zu verstoßen, wenn ich fragte: "Jst er schon aufgestanden?" Sein einziger Bedienter, ein alter mürrischer Gesell, lachte etwas höhnisch und sagte: "Um zehn Uhr? Seit sechs Uhr ist er schon in der Themse." Wie, frug ich, mein Bruder badet sich in dem Schlamm? Darauf entgegnete der Mensch etwas spitz: Bis jetzt hätte man noch keinen andern Fluß nach London bringen können, auch wäre die Themse so viele Jahrhunderte gut genug gewesen und käme ja auch aus der ersten Hand des Oceans. Jnzwischen sagte ich, daß ich die Schwester seines Herrn wäre und auf ihn warten wolle. Jch setzte mich in einem kleinen Vorzimmer ohne Möbel nieder und empfand mit meinem Bruder das tiefste Mitleiden, daß er seiner Reinlichkeit wegen genöthigt wäre, sich in

Schwester wird vor mir keine Toilettengeheimnisse haben; sagen Sie nur hinunter, daß ich von der langen Weile geplagt würde." Hilary that es und ich hörte zu meiner Verwunderung, daß sie zwar alle schon wach wären, aber mir vor Mittag keine Hoffnung machen könnten, daß mein Besuch angenommen würde. Jch gestehe, mich verletzte dieser Mangel an Theilnahme tief, doch tröstete ich mich, daß das Herzlose nur in dem formellen Bericht des Bedienten gelegen hätte, und entschloß mich, die lange Mußezeit, die mir nun übrig blieb, zu benutzen, um meinen Bruder Evan zu besuchen, den einzigen, welchen ich habe.

Ein Hausknecht begleitete mich in das Hotel desselben. Jch glaubte gegen die londoner Sitte nicht zu verstoßen, wenn ich fragte: "Jst er schon aufgestanden?" Sein einziger Bedienter, ein alter mürrischer Gesell, lachte etwas höhnisch und sagte: "Um zehn Uhr? Seit sechs Uhr ist er schon in der Themse." Wie, frug ich, mein Bruder badet sich in dem Schlamm? Darauf entgegnete der Mensch etwas spitz: Bis jetzt hätte man noch keinen andern Fluß nach London bringen können, auch wäre die Themse so viele Jahrhunderte gut genug gewesen und käme ja auch aus der ersten Hand des Oceans. Jnzwischen sagte ich, daß ich die Schwester seines Herrn wäre und auf ihn warten wolle. Jch setzte mich in einem kleinen Vorzimmer ohne Möbel nieder und empfand mit meinem Bruder das tiefste Mitleiden, daß er seiner Reinlichkeit wegen genöthigt wäre, sich in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0476" n="448"/>
Schwester wird vor mir keine Toilettengeheimnisse haben; sagen Sie nur hinunter, daß ich von der langen Weile geplagt würde." Hilary that es und ich hörte zu meiner Verwunderung, daß sie zwar alle schon wach wären, aber mir vor Mittag keine Hoffnung machen könnten, daß mein Besuch angenommen würde. Jch gestehe, mich verletzte dieser Mangel an Theilnahme tief, doch tröstete ich mich, daß das Herzlose nur in dem formellen Bericht des Bedienten gelegen hätte, und entschloß mich, die lange Mußezeit, die mir nun übrig blieb, zu benutzen, um meinen Bruder Evan zu besuchen, den einzigen, welchen ich habe.</p>
        <p>Ein Hausknecht begleitete mich in das Hotel desselben. Jch glaubte gegen die londoner Sitte nicht zu verstoßen, wenn ich fragte: "Jst er schon aufgestanden?" Sein einziger Bedienter, ein alter mürrischer Gesell, lachte etwas höhnisch und sagte: "Um zehn Uhr? Seit sechs Uhr ist er schon in der Themse." Wie, frug ich, mein Bruder badet sich in dem Schlamm? Darauf entgegnete der Mensch etwas spitz: Bis jetzt hätte man noch keinen andern Fluß nach London bringen können, auch wäre die Themse so viele Jahrhunderte gut genug gewesen und käme ja auch aus der ersten Hand des Oceans. Jnzwischen sagte ich, daß ich die Schwester seines Herrn wäre und auf ihn warten wolle. Jch setzte mich in einem kleinen Vorzimmer ohne Möbel nieder und empfand mit meinem Bruder das tiefste Mitleiden, daß er seiner Reinlichkeit wegen genöthigt wäre, sich in
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[448/0476] Schwester wird vor mir keine Toilettengeheimnisse haben; sagen Sie nur hinunter, daß ich von der langen Weile geplagt würde." Hilary that es und ich hörte zu meiner Verwunderung, daß sie zwar alle schon wach wären, aber mir vor Mittag keine Hoffnung machen könnten, daß mein Besuch angenommen würde. Jch gestehe, mich verletzte dieser Mangel an Theilnahme tief, doch tröstete ich mich, daß das Herzlose nur in dem formellen Bericht des Bedienten gelegen hätte, und entschloß mich, die lange Mußezeit, die mir nun übrig blieb, zu benutzen, um meinen Bruder Evan zu besuchen, den einzigen, welchen ich habe. Ein Hausknecht begleitete mich in das Hotel desselben. Jch glaubte gegen die londoner Sitte nicht zu verstoßen, wenn ich fragte: "Jst er schon aufgestanden?" Sein einziger Bedienter, ein alter mürrischer Gesell, lachte etwas höhnisch und sagte: "Um zehn Uhr? Seit sechs Uhr ist er schon in der Themse." Wie, frug ich, mein Bruder badet sich in dem Schlamm? Darauf entgegnete der Mensch etwas spitz: Bis jetzt hätte man noch keinen andern Fluß nach London bringen können, auch wäre die Themse so viele Jahrhunderte gut genug gewesen und käme ja auch aus der ersten Hand des Oceans. Jnzwischen sagte ich, daß ich die Schwester seines Herrn wäre und auf ihn warten wolle. Jch setzte mich in einem kleinen Vorzimmer ohne Möbel nieder und empfand mit meinem Bruder das tiefste Mitleiden, daß er seiner Reinlichkeit wegen genöthigt wäre, sich in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/476
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/476>, abgerufen am 06.07.2024.