Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.meinen Schöpfer segnete, als ich endlich in dem Hafen meiner Bestimmung anlangte. Nun werden Sie mich, ehrwürdiger Freund und Vetter, nach meiner Schwester, ihren Töchtern und meinem Bruder fragen, und ich segne Gott, endlich in Jhnen einen Mann zu finden, wo ich meinem beklommenen Herzen Luft machen und, ohne Rücksicht zu nehmen, aus tiefster Seele aufseufzen kann. Ach, mein Heiland, worauf steuert diese Welt los! was hab' ich mit ansehn und selbst erleben müssen, was kommen jetzt für Dinge vor, für Lebensarten, für Urtheile, was für ein Geist ist in unsere Familie eingedrungen! Meine Schwester wurde früh in den Strudel des londoner Lebens gerissen; allein so lange ihr Mann lebte, blieb sie oben auf. Er starb und hinterließ eine trauernde Wittwe mit drei Töchtern; wir alle fürchteten, der Schlag würde ihr ans Leben gehen. Sie ertrug ihn jedoch. Sie tröstete sich. Sie wurde leichtfertig, ach, und ist das nicht mehr, was sie war. Das traurige Geschäft, Jhnen, ehrwürdiger Freund und Vetter, eine Beschreibung von dem Zustande zu geben, in welchem ich die Familie meines seligen Schwagers antraf, erleichterte mir ein unglückseliges Pasquill, welches grad' in demselben Augenblicke erschienen war, als ich nach London kam. Der Schlag, auf eine so kenntliche Weise vor aller Welt lächerlich gemacht zu seyn, mußte natürlich auch die Freudenbezeugungen lähmen, welche ich von Schwester Bab (Barbara) nach meinen Schöpfer segnete, als ich endlich in dem Hafen meiner Bestimmung anlangte. Nun werden Sie mich, ehrwürdiger Freund und Vetter, nach meiner Schwester, ihren Töchtern und meinem Bruder fragen, und ich segne Gott, endlich in Jhnen einen Mann zu finden, wo ich meinem beklommenen Herzen Luft machen und, ohne Rücksicht zu nehmen, aus tiefster Seele aufseufzen kann. Ach, mein Heiland, worauf steuert diese Welt los! was hab’ ich mit ansehn und selbst erleben müssen, was kommen jetzt für Dinge vor, für Lebensarten, für Urtheile, was für ein Geist ist in unsere Familie eingedrungen! Meine Schwester wurde früh in den Strudel des londoner Lebens gerissen; allein so lange ihr Mann lebte, blieb sie oben auf. Er starb und hinterließ eine trauernde Wittwe mit drei Töchtern; wir alle fürchteten, der Schlag würde ihr ans Leben gehen. Sie ertrug ihn jedoch. Sie tröstete sich. Sie wurde leichtfertig, ach, und ist das nicht mehr, was sie war. Das traurige Geschäft, Jhnen, ehrwürdiger Freund und Vetter, eine Beschreibung von dem Zustande zu geben, in welchem ich die Familie meines seligen Schwagers antraf, erleichterte mir ein unglückseliges Pasquill, welches grad’ in demselben Augenblicke erschienen war, als ich nach London kam. Der Schlag, auf eine so kenntliche Weise vor aller Welt lächerlich gemacht zu seyn, mußte natürlich auch die Freudenbezeugungen lähmen, welche ich von Schwester Bab (Barbara) nach <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0460" n="432"/> meinen Schöpfer segnete, als ich endlich in dem Hafen meiner Bestimmung anlangte.</p> <p>Nun werden Sie mich, ehrwürdiger Freund und Vetter, nach meiner Schwester, ihren Töchtern und meinem Bruder fragen, und ich segne Gott, endlich in Jhnen einen Mann zu finden, wo ich meinem beklommenen Herzen Luft machen und, ohne Rücksicht zu nehmen, aus tiefster Seele aufseufzen kann. Ach, mein Heiland, worauf steuert diese Welt los! was hab’ ich mit ansehn und selbst erleben müssen, was kommen jetzt für Dinge vor, für Lebensarten, für Urtheile, was für ein Geist ist in unsere Familie eingedrungen! Meine Schwester wurde früh in den Strudel des londoner Lebens gerissen; allein so lange ihr Mann lebte, blieb sie oben auf. Er starb und hinterließ eine trauernde Wittwe mit drei Töchtern; wir alle fürchteten, der Schlag würde ihr ans Leben gehen. Sie ertrug ihn jedoch. Sie tröstete sich. Sie wurde leichtfertig, ach, und ist das nicht mehr, was sie war.</p> <p>Das traurige Geschäft, Jhnen, ehrwürdiger Freund und Vetter, eine Beschreibung von dem Zustande zu geben, in welchem ich die Familie meines seligen Schwagers antraf, erleichterte mir ein unglückseliges Pasquill, welches grad’ in demselben Augenblicke erschienen war, als ich nach London kam. Der Schlag, auf eine so kenntliche Weise vor aller Welt lächerlich gemacht zu seyn, mußte natürlich auch die Freudenbezeugungen lähmen, welche ich von Schwester Bab (Barbara) nach </p> </div> </body> </text> </TEI> [432/0460]
meinen Schöpfer segnete, als ich endlich in dem Hafen meiner Bestimmung anlangte.
Nun werden Sie mich, ehrwürdiger Freund und Vetter, nach meiner Schwester, ihren Töchtern und meinem Bruder fragen, und ich segne Gott, endlich in Jhnen einen Mann zu finden, wo ich meinem beklommenen Herzen Luft machen und, ohne Rücksicht zu nehmen, aus tiefster Seele aufseufzen kann. Ach, mein Heiland, worauf steuert diese Welt los! was hab’ ich mit ansehn und selbst erleben müssen, was kommen jetzt für Dinge vor, für Lebensarten, für Urtheile, was für ein Geist ist in unsere Familie eingedrungen! Meine Schwester wurde früh in den Strudel des londoner Lebens gerissen; allein so lange ihr Mann lebte, blieb sie oben auf. Er starb und hinterließ eine trauernde Wittwe mit drei Töchtern; wir alle fürchteten, der Schlag würde ihr ans Leben gehen. Sie ertrug ihn jedoch. Sie tröstete sich. Sie wurde leichtfertig, ach, und ist das nicht mehr, was sie war.
Das traurige Geschäft, Jhnen, ehrwürdiger Freund und Vetter, eine Beschreibung von dem Zustande zu geben, in welchem ich die Familie meines seligen Schwagers antraf, erleichterte mir ein unglückseliges Pasquill, welches grad’ in demselben Augenblicke erschienen war, als ich nach London kam. Der Schlag, auf eine so kenntliche Weise vor aller Welt lächerlich gemacht zu seyn, mußte natürlich auch die Freudenbezeugungen lähmen, welche ich von Schwester Bab (Barbara) nach
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/460>, abgerufen am 16.02.2025. |