Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Sitte und Sitten. Aus einem ungedruckten Romane. Tante Rebekka an den Pfarrer. Ehrwürdiger Freund und lieber Vetter! Jst dem armen Thiere denn auch nichts geschehen? Wie man in der Eile einer Reise Alles vergessen kann, sein Theuerstes und Liebstes! Jch sage noch zu Jenny, hab' ich nichts vergessen? Jst Alles in Ordnung? Sie lacht dazu, was mir schon nicht gefallen hat, da ich ihrem Herzen in einem Augenblicke, wo man sich trennt und nichts mehr hat auf der Welt, das Einen erfreuen könnte, als das Wiedersehen, eine solche Gefühllosigkeit nicht zugetraut hätte. Jch sagt' es ihr auch und wollt' ihr den Dienst kündigen, da ich sie ja doch zurücklasse, und sie nichts zu thun hat und blos sehen muß, daß Alles da stehen bleibt, wo ich es hingestellt habe; aber sie sagte, ordentlich beschämt, sie müsse immer lachen, wenn sie nicht weinen wolle. Nun hätte sie aber wohl weinen können und sich durch Gelächter nicht zu helfen brauchen; überdieß mir auch noch den Kummer zu machen, daß Pipi Sitte und Sitten. Aus einem ungedruckten Romane. Tante Rebekka an den Pfarrer. Ehrwürdiger Freund und lieber Vetter! Jst dem armen Thiere denn auch nichts geschehen? Wie man in der Eile einer Reise Alles vergessen kann, sein Theuerstes und Liebstes! Jch sage noch zu Jenny, hab’ ich nichts vergessen? Jst Alles in Ordnung? Sie lacht dazu, was mir schon nicht gefallen hat, da ich ihrem Herzen in einem Augenblicke, wo man sich trennt und nichts mehr hat auf der Welt, das Einen erfreuen könnte, als das Wiedersehen, eine solche Gefühllosigkeit nicht zugetraut hätte. Jch sagt’ es ihr auch und wollt’ ihr den Dienst kündigen, da ich sie ja doch zurücklasse, und sie nichts zu thun hat und blos sehen muß, daß Alles da stehen bleibt, wo ich es hingestellt habe; aber sie sagte, ordentlich beschämt, sie müsse immer lachen, wenn sie nicht weinen wolle. Nun hätte sie aber wohl weinen können und sich durch Gelächter nicht zu helfen brauchen; überdieß mir auch noch den Kummer zu machen, daß Pipi <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0442" n="414"/> <head> <hi rendition="#b">Sitte und Sitten.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <argument> <p>Aus einem ungedruckten Romane.</p> </argument> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p><hi rendition="#c #g">Tante Rebekka an den Pfarrer</hi>.</p> <p>Ehrwürdiger Freund und lieber Vetter!</p> <p>Jst dem armen Thiere denn auch nichts geschehen? Wie man in der Eile einer Reise Alles vergessen kann, sein Theuerstes und Liebstes! Jch sage noch zu Jenny, hab’ ich nichts vergessen? Jst Alles in Ordnung? Sie lacht dazu, was mir <hi rendition="#g">schon</hi> nicht gefallen hat, da ich ihrem Herzen in einem Augenblicke, wo man sich trennt und nichts mehr hat auf der Welt, das Einen erfreuen könnte, als das Wiedersehen, eine solche Gefühllosigkeit nicht zugetraut hätte. Jch sagt’ es ihr auch und wollt’ ihr den Dienst kündigen, da ich sie ja doch zurücklasse, und sie nichts zu thun hat und blos sehen muß, daß Alles da stehen bleibt, wo ich es hingestellt habe; aber sie sagte, ordentlich beschämt, sie müsse immer lachen, wenn sie nicht weinen wolle. Nun hätte sie aber wohl weinen können und sich durch Gelächter nicht zu helfen brauchen; überdieß mir auch noch den Kummer zu machen, daß Pipi </p> </div> </body> </text> </TEI> [414/0442]
Sitte und Sitten.
Aus einem ungedruckten Romane.
Tante Rebekka an den Pfarrer.
Ehrwürdiger Freund und lieber Vetter!
Jst dem armen Thiere denn auch nichts geschehen? Wie man in der Eile einer Reise Alles vergessen kann, sein Theuerstes und Liebstes! Jch sage noch zu Jenny, hab’ ich nichts vergessen? Jst Alles in Ordnung? Sie lacht dazu, was mir schon nicht gefallen hat, da ich ihrem Herzen in einem Augenblicke, wo man sich trennt und nichts mehr hat auf der Welt, das Einen erfreuen könnte, als das Wiedersehen, eine solche Gefühllosigkeit nicht zugetraut hätte. Jch sagt’ es ihr auch und wollt’ ihr den Dienst kündigen, da ich sie ja doch zurücklasse, und sie nichts zu thun hat und blos sehen muß, daß Alles da stehen bleibt, wo ich es hingestellt habe; aber sie sagte, ordentlich beschämt, sie müsse immer lachen, wenn sie nicht weinen wolle. Nun hätte sie aber wohl weinen können und sich durch Gelächter nicht zu helfen brauchen; überdieß mir auch noch den Kummer zu machen, daß Pipi
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