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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Alterthums. Was nützt es mir, dachte der Spartaner, daß mein Sohn an Weisheit mit Bias wetteifert, wenn er die Schmach nicht rächen kann, die man meiner Leiche zufügt, wenn er seinen Herd und sein Erbtheil nicht zu schützen versteht! Montesquieu führt die Merkmale an, welche die Erziehung in despotischen Staaten hätte. Er sagt ungefähr: Tyrannen kann es nur geben, wo es auch Sklaven gibt. Die Sklaverei fußt am sichersten auf der Unwissenheit; Aristoteles sagte schon: für Sklaven gäbe es keine Tugend. Allein Montesquieu hätte noch dieß sagen dürfen: Nicht blos Unwissenheit ist der Stützpunkt der Despotien, sondern eben so sehr die Wissenschaft, wenn sie mit keinen öffentlichen Thatsachen in Verbindung gesetzt ist, die Wissenschaft, beschränkt auf ihre Bibliotheken, auf ihre Quarterly Reviews, auf ihre Experimente, ohne Zusammenhang mit der Nation und mit der Geschichte. Die Alten hatten den großen Vorsprung vor den Neuern, daß sich die Familie und die Schule dem Staate, man kann wohl sagen, dem Weltlauf, unterordnen kann. Wir werden erzogen erst für den Umgang mit unsern Brüdern und Schwestern, dann für unsere Kameraden und zuletzt erst für unsre Mitbürger. Wir müssen ein Stadium unserer Bildung vor dem andern zu verbergen suchen. So wie wir in die Schule treten, streifen wir alle Anklänge der Familie ab. Derjenige, welcher bei irgend einer Unbill ausruft: er wollt' es seiner Mutter sagen, wird ausgelacht. Man schämt sich seiner Häuslichkeit. Tritt

Alterthums. Was nützt es mir, dachte der Spartaner, daß mein Sohn an Weisheit mit Bias wetteifert, wenn er die Schmach nicht rächen kann, die man meiner Leiche zufügt, wenn er seinen Herd und sein Erbtheil nicht zu schützen versteht! Montesquieu führt die Merkmale an, welche die Erziehung in despotischen Staaten hätte. Er sagt ungefähr: Tyrannen kann es nur geben, wo es auch Sklaven gibt. Die Sklaverei fußt am sichersten auf der Unwissenheit; Aristoteles sagte schon: für Sklaven gäbe es keine Tugend. Allein Montesquieu hätte noch dieß sagen dürfen: Nicht blos Unwissenheit ist der Stützpunkt der Despotien, sondern eben so sehr die Wissenschaft, wenn sie mit keinen öffentlichen Thatsachen in Verbindung gesetzt ist, die Wissenschaft, beschränkt auf ihre Bibliotheken, auf ihre Quarterly Reviews, auf ihre Experimente, ohne Zusammenhang mit der Nation und mit der Geschichte. Die Alten hatten den großen Vorsprung vor den Neuern, daß sich die Familie und die Schule dem Staate, man kann wohl sagen, dem Weltlauf, unterordnen kann. Wir werden erzogen erst für den Umgang mit unsern Brüdern und Schwestern, dann für unsere Kameraden und zuletzt erst für unsre Mitbürger. Wir müssen ein Stadium unserer Bildung vor dem andern zu verbergen suchen. So wie wir in die Schule treten, streifen wir alle Anklänge der Familie ab. Derjenige, welcher bei irgend einer Unbill ausruft: er wollt’ es seiner Mutter sagen, wird ausgelacht. Man schämt sich seiner Häuslichkeit. Tritt

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[410/0438] Alterthums. Was nützt es mir, dachte der Spartaner, daß mein Sohn an Weisheit mit Bias wetteifert, wenn er die Schmach nicht rächen kann, die man meiner Leiche zufügt, wenn er seinen Herd und sein Erbtheil nicht zu schützen versteht! Montesquieu führt die Merkmale an, welche die Erziehung in despotischen Staaten hätte. Er sagt ungefähr: Tyrannen kann es nur geben, wo es auch Sklaven gibt. Die Sklaverei fußt am sichersten auf der Unwissenheit; Aristoteles sagte schon: für Sklaven gäbe es keine Tugend. Allein Montesquieu hätte noch dieß sagen dürfen: Nicht blos Unwissenheit ist der Stützpunkt der Despotien, sondern eben so sehr die Wissenschaft, wenn sie mit keinen öffentlichen Thatsachen in Verbindung gesetzt ist, die Wissenschaft, beschränkt auf ihre Bibliotheken, auf ihre Quarterly Reviews, auf ihre Experimente, ohne Zusammenhang mit der Nation und mit der Geschichte. Die Alten hatten den großen Vorsprung vor den Neuern, daß sich die Familie und die Schule dem Staate, man kann wohl sagen, dem Weltlauf, unterordnen kann. Wir werden erzogen erst für den Umgang mit unsern Brüdern und Schwestern, dann für unsere Kameraden und zuletzt erst für unsre Mitbürger. Wir müssen ein Stadium unserer Bildung vor dem andern zu verbergen suchen. So wie wir in die Schule treten, streifen wir alle Anklänge der Familie ab. Derjenige, welcher bei irgend einer Unbill ausruft: er wollt’ es seiner Mutter sagen, wird ausgelacht. Man schämt sich seiner Häuslichkeit. Tritt

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/438>, abgerufen am 25.11.2024.