Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Methode auf und lehren, daß man Alles, was man bisher gelernt hätte, wieder vergessen und auf eine andere Manier sich einprägen müsse. Die neuen Theorien, welche in andern Ländern entdeckt wurden, bezweckten eine größere Schnelligkeit im Erlernen; die Deutschen streben aber hauptsächlich nach Gründlichkeit und System. Ein Beweis, wie vorherrschend und allgemein in Deutschland die pädagogische Diskussion ist, wie sehr sie die Jnteressen aller Stände in Anspruch nimmt und mit den höchsten Jdeen des Zeitalters in Verbindung gebracht wird, liegt darin, daß in Deutschland die politischen Neuerungen fast immer mit dem Schul- und Unterrichtswesen conspiriren. Die Universitäten in Deutschland sind nicht so sehr Pflanzstätten des mittelalterlichen Geistes, als sie davon das Ansehen haben. Durch den hohen Aufschwung, welchen in Deutschland seit 50 Jahren die Philosophie und die empirische Wissenschaft genommen hat, sind diese alten Formen selbst wieder frisch und neu geworden. Sie schlugen noch einmal wieder aus, die alten Stämme, und trugen einen solchen Wald der duftigsten Blüthen, daß man in Deutschland mit dem unglücklichsten Herzen daran geht, in der Verfassung der Universitäten, diesem einzigen vollständigen Reste des Mittelalters, eine große Veränderung zu unternehmen. Gefährlicher ist aber diesen Jnstitutionen der Antheil geworden, den sie an der Verbreitung und sogar Ausführung politischer Jdeen genommen haben. Professoren belebten den jugendlichen, nach Neuerungen trachtenden Methode auf und lehren, daß man Alles, was man bisher gelernt hätte, wieder vergessen und auf eine andere Manier sich einprägen müsse. Die neuen Theorien, welche in andern Ländern entdeckt wurden, bezweckten eine größere Schnelligkeit im Erlernen; die Deutschen streben aber hauptsächlich nach Gründlichkeit und System. Ein Beweis, wie vorherrschend und allgemein in Deutschland die pädagogische Diskussion ist, wie sehr sie die Jnteressen aller Stände in Anspruch nimmt und mit den höchsten Jdeen des Zeitalters in Verbindung gebracht wird, liegt darin, daß in Deutschland die politischen Neuerungen fast immer mit dem Schul- und Unterrichtswesen conspiriren. Die Universitäten in Deutschland sind nicht so sehr Pflanzstätten des mittelalterlichen Geistes, als sie davon das Ansehen haben. Durch den hohen Aufschwung, welchen in Deutschland seit 50 Jahren die Philosophie und die empirische Wissenschaft genommen hat, sind diese alten Formen selbst wieder frisch und neu geworden. Sie schlugen noch einmal wieder aus, die alten Stämme, und trugen einen solchen Wald der duftigsten Blüthen, daß man in Deutschland mit dem unglücklichsten Herzen daran geht, in der Verfassung der Universitäten, diesem einzigen vollständigen Reste des Mittelalters, eine große Veränderung zu unternehmen. Gefährlicher ist aber diesen Jnstitutionen der Antheil geworden, den sie an der Verbreitung und sogar Ausführung politischer Jdeen genommen haben. Professoren belebten den jugendlichen, nach Neuerungen trachtenden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0436" n="408"/> Methode auf und lehren, daß man Alles, was man bisher gelernt hätte, wieder vergessen und auf eine andere Manier sich einprägen müsse. Die neuen Theorien, welche in andern Ländern entdeckt wurden, bezweckten eine größere Schnelligkeit im Erlernen; die Deutschen streben aber hauptsächlich nach Gründlichkeit und System. Ein Beweis, wie vorherrschend und allgemein in Deutschland die pädagogische Diskussion ist, wie sehr sie die Jnteressen aller Stände in Anspruch nimmt und mit den höchsten Jdeen des Zeitalters in Verbindung gebracht wird, liegt darin, daß in Deutschland die politischen Neuerungen fast immer mit dem Schul- und Unterrichtswesen conspiriren. Die Universitäten in Deutschland sind nicht so sehr Pflanzstätten des mittelalterlichen Geistes, als sie davon das Ansehen haben. Durch den hohen Aufschwung, welchen in Deutschland seit 50 Jahren die Philosophie und die empirische Wissenschaft genommen hat, sind diese alten Formen selbst wieder frisch und neu geworden. Sie schlugen noch einmal wieder aus, die alten Stämme, und trugen einen solchen Wald der duftigsten Blüthen, daß man in Deutschland mit dem unglücklichsten Herzen daran geht, in der Verfassung der Universitäten, diesem einzigen vollständigen Reste des Mittelalters, eine große Veränderung zu unternehmen. Gefährlicher ist aber diesen Jnstitutionen der Antheil geworden, den sie an der Verbreitung und sogar Ausführung politischer Jdeen genommen haben. Professoren belebten den jugendlichen, nach Neuerungen trachtenden </p> </div> </body> </text> </TEI> [408/0436]
Methode auf und lehren, daß man Alles, was man bisher gelernt hätte, wieder vergessen und auf eine andere Manier sich einprägen müsse. Die neuen Theorien, welche in andern Ländern entdeckt wurden, bezweckten eine größere Schnelligkeit im Erlernen; die Deutschen streben aber hauptsächlich nach Gründlichkeit und System. Ein Beweis, wie vorherrschend und allgemein in Deutschland die pädagogische Diskussion ist, wie sehr sie die Jnteressen aller Stände in Anspruch nimmt und mit den höchsten Jdeen des Zeitalters in Verbindung gebracht wird, liegt darin, daß in Deutschland die politischen Neuerungen fast immer mit dem Schul- und Unterrichtswesen conspiriren. Die Universitäten in Deutschland sind nicht so sehr Pflanzstätten des mittelalterlichen Geistes, als sie davon das Ansehen haben. Durch den hohen Aufschwung, welchen in Deutschland seit 50 Jahren die Philosophie und die empirische Wissenschaft genommen hat, sind diese alten Formen selbst wieder frisch und neu geworden. Sie schlugen noch einmal wieder aus, die alten Stämme, und trugen einen solchen Wald der duftigsten Blüthen, daß man in Deutschland mit dem unglücklichsten Herzen daran geht, in der Verfassung der Universitäten, diesem einzigen vollständigen Reste des Mittelalters, eine große Veränderung zu unternehmen. Gefährlicher ist aber diesen Jnstitutionen der Antheil geworden, den sie an der Verbreitung und sogar Ausführung politischer Jdeen genommen haben. Professoren belebten den jugendlichen, nach Neuerungen trachtenden
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/436>, abgerufen am 28.07.2024. |