Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.die unglückliche Mutter zu trösten. Das Kind hatte in der That etwas Keckes und Kaltes. Seine Stimme kam, wie fast immer bei leidenschaftlichen Menschen, tief aus der Brust und hatte einen angenehmen, tiefen Altklang. Jch frug die Mutter, ob sie nicht bei Erziehern von Fach, Geistlichen und solchen privilegirten Kennern der menschlichen Natur sich Raths erholt hätte. Genug, antwortete sie; aber die Mittel helfen nicht; der Eine räth zur Strenge, der Andere zur Milde. Sie vereinigen sich alle darin, daß, wenn Emilie älter sey, man ihr mit Vernunftgründen besser beikommen würde. Jetzt können Lehre und Vermahnung noch nicht viel fruchten, aber später würde sie schon lernen, was gut ist, oder wenigstens, was sich schickt. Allein dieß Warten tröstet mich nicht; denn vielleicht geht dabei die beste Zeit verloren und das Uebel wurzelt sich nur in dem verstockten Herzen desto tiefer ein! Jch entgegnete der bekümmerten Mutter: Meine Theure, ich glaube, daß unter allen Jhnen angebotenen Heilmitteln die moralischen die unwirksamsten sind. Kindern Moral predigen, kann wohl nützen, um ihnen gewisse allgemeine Wahrheiten über Gut und Böse einzuprägen, die sie später, zu Verstand gekommen, mit geistiger Freiheit durchdenken mögen und innerlich befestigen; allein verlangen, daß Kinder in ihren jungen Jahren nach diesen Predigten ihr Benehmen einrichten, heißt das Unmögliche verlangen. Jch glaube, es gibt nur zwei Mittel gegen die halsstarrige Natur Jhres Kindes. Erstens müssen Sie die unglückliche Mutter zu trösten. Das Kind hatte in der That etwas Keckes und Kaltes. Seine Stimme kam, wie fast immer bei leidenschaftlichen Menschen, tief aus der Brust und hatte einen angenehmen, tiefen Altklang. Jch frug die Mutter, ob sie nicht bei Erziehern von Fach, Geistlichen und solchen privilegirten Kennern der menschlichen Natur sich Raths erholt hätte. Genug, antwortete sie; aber die Mittel helfen nicht; der Eine räth zur Strenge, der Andere zur Milde. Sie vereinigen sich alle darin, daß, wenn Emilie älter sey, man ihr mit Vernunftgründen besser beikommen würde. Jetzt können Lehre und Vermahnung noch nicht viel fruchten, aber später würde sie schon lernen, was gut ist, oder wenigstens, was sich schickt. Allein dieß Warten tröstet mich nicht; denn vielleicht geht dabei die beste Zeit verloren und das Uebel wurzelt sich nur in dem verstockten Herzen desto tiefer ein! Jch entgegnete der bekümmerten Mutter: Meine Theure, ich glaube, daß unter allen Jhnen angebotenen Heilmitteln die moralischen die unwirksamsten sind. Kindern Moral predigen, kann wohl nützen, um ihnen gewisse allgemeine Wahrheiten über Gut und Böse einzuprägen, die sie später, zu Verstand gekommen, mit geistiger Freiheit durchdenken mögen und innerlich befestigen; allein verlangen, daß Kinder in ihren jungen Jahren nach diesen Predigten ihr Benehmen einrichten, heißt das Unmögliche verlangen. Jch glaube, es gibt nur zwei Mittel gegen die halsstarrige Natur Jhres Kindes. Erstens müssen Sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0432" n="404"/> die unglückliche Mutter zu trösten. Das Kind hatte in der That etwas Keckes und Kaltes. Seine Stimme kam, wie fast immer bei leidenschaftlichen Menschen, tief aus der Brust und hatte einen angenehmen, tiefen Altklang. Jch frug die Mutter, ob sie nicht bei Erziehern von Fach, Geistlichen und solchen privilegirten Kennern der menschlichen Natur sich Raths erholt hätte. Genug, antwortete sie; aber die Mittel helfen nicht; der Eine räth zur Strenge, der Andere zur Milde. Sie vereinigen sich alle darin, daß, wenn Emilie älter sey, man ihr mit Vernunftgründen besser beikommen würde. Jetzt können Lehre und Vermahnung noch nicht viel fruchten, aber später würde sie schon lernen, was gut ist, oder wenigstens, was sich schickt. Allein dieß Warten tröstet mich nicht; denn vielleicht geht dabei die beste Zeit verloren und das Uebel wurzelt sich nur in dem verstockten Herzen desto tiefer ein! Jch entgegnete der bekümmerten Mutter: Meine Theure, ich glaube, daß unter allen Jhnen angebotenen Heilmitteln die moralischen die unwirksamsten sind. Kindern Moral predigen, kann wohl nützen, um ihnen gewisse allgemeine Wahrheiten über Gut und Böse einzuprägen, die sie später, zu Verstand gekommen, mit geistiger Freiheit durchdenken mögen und innerlich befestigen; allein verlangen, daß Kinder in ihren jungen Jahren nach diesen Predigten ihr Benehmen einrichten, heißt das Unmögliche verlangen. Jch glaube, es gibt nur zwei Mittel gegen die halsstarrige Natur Jhres Kindes. Erstens müssen Sie </p> </div> </body> </text> </TEI> [404/0432]
die unglückliche Mutter zu trösten. Das Kind hatte in der That etwas Keckes und Kaltes. Seine Stimme kam, wie fast immer bei leidenschaftlichen Menschen, tief aus der Brust und hatte einen angenehmen, tiefen Altklang. Jch frug die Mutter, ob sie nicht bei Erziehern von Fach, Geistlichen und solchen privilegirten Kennern der menschlichen Natur sich Raths erholt hätte. Genug, antwortete sie; aber die Mittel helfen nicht; der Eine räth zur Strenge, der Andere zur Milde. Sie vereinigen sich alle darin, daß, wenn Emilie älter sey, man ihr mit Vernunftgründen besser beikommen würde. Jetzt können Lehre und Vermahnung noch nicht viel fruchten, aber später würde sie schon lernen, was gut ist, oder wenigstens, was sich schickt. Allein dieß Warten tröstet mich nicht; denn vielleicht geht dabei die beste Zeit verloren und das Uebel wurzelt sich nur in dem verstockten Herzen desto tiefer ein! Jch entgegnete der bekümmerten Mutter: Meine Theure, ich glaube, daß unter allen Jhnen angebotenen Heilmitteln die moralischen die unwirksamsten sind. Kindern Moral predigen, kann wohl nützen, um ihnen gewisse allgemeine Wahrheiten über Gut und Böse einzuprägen, die sie später, zu Verstand gekommen, mit geistiger Freiheit durchdenken mögen und innerlich befestigen; allein verlangen, daß Kinder in ihren jungen Jahren nach diesen Predigten ihr Benehmen einrichten, heißt das Unmögliche verlangen. Jch glaube, es gibt nur zwei Mittel gegen die halsstarrige Natur Jhres Kindes. Erstens müssen Sie
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/432 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/432>, abgerufen am 28.07.2024. |