Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.dieses Heilandes Reich war nicht von dieser Welt. Ach, was mühen Sie sich, daß Sie die Wunder dieser Welt, den Schmuck der Erde und den Stolz der Menschen malen, da Alles, was wir besitzen dürften und noch nicht besitzen, Alles, was wir sehen und nicht unser nennen, die Lohe unsres Unmuthes schürt und die Sehnsucht des Herzens in jenes verstockte Gefühl verwandelt, das Sie, mein theurer Herr, mit so glänzenden Farben als philosophischen Stolz malen können, das aber ganz derselbe Grund und Boden ist, auf welchem jener Jndifferentismus der Zeitgenossen wuchert, gegen welchen selbst Sie Jhren Stolz richten. Ach, nur in des Himmels klarer Bläue, nur in dem Blick gen Oben liegt für die Menschheit jener Friede, der Schmerzen löset. Schmerzen heilet? Schmerzen heilt man nicht, Wunden nur; aber die Wunden, die uns geschlagen sind, als der Herr für uns, ein Bild der Menschheit, am Kreuze hing, diese Wunden heilen nicht mehr; nur die Schmerzen können gestillt werden. Heilung ist erst im Anblick des Todes und der Ewigkeit. Sehen Sie, mein theurer Herr, dieses Leid, welches Sie über die Ziellosigkeit der Jetztwelt empfinden, empfindet der Christ noch weit tiefer, als Sie; aber er ist dennoch weniger unglücklich, als mir die Stimmung Jhres Herzens zu seyn scheint, wenn Sie über die Laster und Gebrechen Jhrer Zeitgenossen klagen. Jhr unseliger Jrrthum ist der Glaube an eine neue, aus lauter positiven Tugenden und aus lauter Enthusiasmus geschaffenen Welt. dieses Heilandes Reich war nicht von dieser Welt. Ach, was mühen Sie sich, daß Sie die Wunder dieser Welt, den Schmuck der Erde und den Stolz der Menschen malen, da Alles, was wir besitzen dürften und noch nicht besitzen, Alles, was wir sehen und nicht unser nennen, die Lohe unsres Unmuthes schürt und die Sehnsucht des Herzens in jenes verstockte Gefühl verwandelt, das Sie, mein theurer Herr, mit so glänzenden Farben als philosophischen Stolz malen können, das aber ganz derselbe Grund und Boden ist, auf welchem jener Jndifferentismus der Zeitgenossen wuchert, gegen welchen selbst Sie Jhren Stolz richten. Ach, nur in des Himmels klarer Bläue, nur in dem Blick gen Oben liegt für die Menschheit jener Friede, der Schmerzen löset. Schmerzen heilet? Schmerzen heilt man nicht, Wunden nur; aber die Wunden, die uns geschlagen sind, als der Herr für uns, ein Bild der Menschheit, am Kreuze hing, diese Wunden heilen nicht mehr; nur die Schmerzen können gestillt werden. Heilung ist erst im Anblick des Todes und der Ewigkeit. Sehen Sie, mein theurer Herr, dieses Leid, welches Sie über die Ziellosigkeit der Jetztwelt empfinden, empfindet der Christ noch weit tiefer, als Sie; aber er ist dennoch weniger unglücklich, als mir die Stimmung Jhres Herzens zu seyn scheint, wenn Sie über die Laster und Gebrechen Jhrer Zeitgenossen klagen. Jhr unseliger Jrrthum ist der Glaube an eine neue, aus lauter positiven Tugenden und aus lauter Enthusiasmus geschaffenen Welt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0418" n="390"/> dieses Heilandes Reich war nicht von dieser Welt. Ach, was mühen Sie sich, daß Sie die Wunder dieser Welt, den Schmuck der Erde und den Stolz der Menschen malen, da Alles, was wir besitzen dürften und noch nicht besitzen, Alles, was wir sehen und nicht unser nennen, die Lohe unsres Unmuthes schürt und die Sehnsucht des Herzens in jenes verstockte Gefühl verwandelt, das Sie, mein theurer Herr, mit so glänzenden Farben als philosophischen Stolz malen können, das aber ganz derselbe Grund und Boden ist, auf welchem jener Jndifferentismus der Zeitgenossen wuchert, gegen welchen selbst Sie Jhren Stolz richten. Ach, nur in des Himmels klarer Bläue, nur in dem Blick gen Oben liegt für die Menschheit jener Friede, der Schmerzen löset. Schmerzen <hi rendition="#g">heilet</hi>? Schmerzen heilt man nicht, Wunden nur; aber <hi rendition="#g">die</hi> Wunden, die uns geschlagen sind, als der Herr <hi rendition="#g">für uns</hi>, ein Bild der Menschheit, am Kreuze hing, diese Wunden heilen nicht mehr; nur die Schmerzen können gestillt werden. Heilung ist erst im Anblick des Todes und der Ewigkeit. Sehen Sie, mein theurer Herr, dieses Leid, welches Sie über die Ziellosigkeit der Jetztwelt empfinden, empfindet der Christ noch weit tiefer, als Sie; aber er ist dennoch weniger unglücklich, als mir die Stimmung Jhres Herzens zu seyn scheint, wenn Sie über die Laster und Gebrechen Jhrer Zeitgenossen klagen. Jhr unseliger Jrrthum ist der Glaube an eine neue, aus lauter positiven Tugenden und aus lauter Enthusiasmus geschaffenen Welt. </p> </div> </body> </text> </TEI> [390/0418]
dieses Heilandes Reich war nicht von dieser Welt. Ach, was mühen Sie sich, daß Sie die Wunder dieser Welt, den Schmuck der Erde und den Stolz der Menschen malen, da Alles, was wir besitzen dürften und noch nicht besitzen, Alles, was wir sehen und nicht unser nennen, die Lohe unsres Unmuthes schürt und die Sehnsucht des Herzens in jenes verstockte Gefühl verwandelt, das Sie, mein theurer Herr, mit so glänzenden Farben als philosophischen Stolz malen können, das aber ganz derselbe Grund und Boden ist, auf welchem jener Jndifferentismus der Zeitgenossen wuchert, gegen welchen selbst Sie Jhren Stolz richten. Ach, nur in des Himmels klarer Bläue, nur in dem Blick gen Oben liegt für die Menschheit jener Friede, der Schmerzen löset. Schmerzen heilet? Schmerzen heilt man nicht, Wunden nur; aber die Wunden, die uns geschlagen sind, als der Herr für uns, ein Bild der Menschheit, am Kreuze hing, diese Wunden heilen nicht mehr; nur die Schmerzen können gestillt werden. Heilung ist erst im Anblick des Todes und der Ewigkeit. Sehen Sie, mein theurer Herr, dieses Leid, welches Sie über die Ziellosigkeit der Jetztwelt empfinden, empfindet der Christ noch weit tiefer, als Sie; aber er ist dennoch weniger unglücklich, als mir die Stimmung Jhres Herzens zu seyn scheint, wenn Sie über die Laster und Gebrechen Jhrer Zeitgenossen klagen. Jhr unseliger Jrrthum ist der Glaube an eine neue, aus lauter positiven Tugenden und aus lauter Enthusiasmus geschaffenen Welt.
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/418>, abgerufen am 28.07.2024. |