Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.riren, vergehen sich noch mehr an den ewigen Wahrheiten dieses Glaubens, als Jene, die durch ihre Leichtfertigkeit eher nützen als schaden. Mein theurer Herr, ich schreibe Jhnen diese anspruchslose Epistel aus einem Befinden, das, zurückgezogen von der Welt, die Ursachen und Folgen der Dinge mit dem Auge der größten Unparteilichkeit verfolgen kann. Jch bin nicht das, was man gewöhnlich einen Kopfhänger nennt, sondern recht im Strome meiner Gedanken, in der freudigen Anschauung einer mich umgebenden reizenden Natur bin ich zu einer Ueberzeugung gelangt, die ich Jhnen von ganzem Herzen einflößen möchte. Jhre Schriften, namentlich das Buch über England, verrathen eine zusammenhängende Weltansicht. Sie sind auf's Tiefste von dem hohen Werth und der Bestimmung der Menschheit ergriffen. Sie denken mit Schwermuth an die Masse von Leiden und Lastern, die in den Schicksalen und Herzen unsrer Zeitgenossen Hand in Hand gehen. Wie recht haben Sie, wenn Sie zuweilen die Menschen entschuldigen und statt ihrer die Sitten, die Vorurtheile, die Jnstitutionen anklagen; wenn Sie die Verbrechen mildern durch die Rückblicke auf die Erziehung derjenigen, die sie begingen; wenn Sie in dem Prinzip des Egoismus die Klippe aller unsrer Wünsche und Bestrebungen wahrnehmen. Ach, Sie sprechen zuweilen auch über die Religion. Sie sind nur geneigt, das Beste von ihr zu sagen, unter der Bedingung jedoch, daß Sie Religion mit der blosen Moral verwechseln dürfen. Jhre riren, vergehen sich noch mehr an den ewigen Wahrheiten dieses Glaubens, als Jene, die durch ihre Leichtfertigkeit eher nützen als schaden. Mein theurer Herr, ich schreibe Jhnen diese anspruchslose Epistel aus einem Befinden, das, zurückgezogen von der Welt, die Ursachen und Folgen der Dinge mit dem Auge der größten Unparteilichkeit verfolgen kann. Jch bin nicht das, was man gewöhnlich einen Kopfhänger nennt, sondern recht im Strome meiner Gedanken, in der freudigen Anschauung einer mich umgebenden reizenden Natur bin ich zu einer Ueberzeugung gelangt, die ich Jhnen von ganzem Herzen einflößen möchte. Jhre Schriften, namentlich das Buch über England, verrathen eine zusammenhängende Weltansicht. Sie sind auf’s Tiefste von dem hohen Werth und der Bestimmung der Menschheit ergriffen. Sie denken mit Schwermuth an die Masse von Leiden und Lastern, die in den Schicksalen und Herzen unsrer Zeitgenossen Hand in Hand gehen. Wie recht haben Sie, wenn Sie zuweilen die Menschen entschuldigen und statt ihrer die Sitten, die Vorurtheile, die Jnstitutionen anklagen; wenn Sie die Verbrechen mildern durch die Rückblicke auf die Erziehung derjenigen, die sie begingen; wenn Sie in dem Prinzip des Egoismus die Klippe aller unsrer Wünsche und Bestrebungen wahrnehmen. Ach, Sie sprechen zuweilen auch über die Religion. Sie sind nur geneigt, das Beste von ihr zu sagen, unter der Bedingung jedoch, daß Sie Religion mit der blosen Moral verwechseln dürfen. Jhre <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0416" n="388"/> riren, vergehen sich noch mehr an den ewigen Wahrheiten dieses Glaubens, als Jene, die durch ihre Leichtfertigkeit eher nützen als schaden. Mein theurer Herr, ich schreibe Jhnen diese anspruchslose Epistel aus einem Befinden, das, zurückgezogen von der Welt, die Ursachen und Folgen der Dinge mit dem Auge der größten Unparteilichkeit verfolgen kann. Jch bin nicht das, was man gewöhnlich einen Kopfhänger nennt, sondern recht im Strome meiner Gedanken, in der freudigen Anschauung einer mich umgebenden reizenden Natur bin ich zu einer Ueberzeugung gelangt, die ich Jhnen von ganzem Herzen einflößen möchte.</p> <p>Jhre Schriften, namentlich das Buch über England, verrathen eine zusammenhängende Weltansicht. Sie sind auf’s Tiefste von dem hohen Werth und der Bestimmung der Menschheit ergriffen. Sie denken mit Schwermuth an die Masse von Leiden und Lastern, die in den Schicksalen und Herzen unsrer Zeitgenossen Hand in Hand gehen. Wie recht haben Sie, wenn Sie zuweilen die Menschen entschuldigen und statt ihrer die Sitten, die Vorurtheile, die Jnstitutionen anklagen; wenn Sie die Verbrechen mildern durch die Rückblicke auf die Erziehung derjenigen, die sie begingen; wenn Sie in dem Prinzip des Egoismus die Klippe aller unsrer Wünsche und Bestrebungen wahrnehmen. Ach, Sie sprechen zuweilen auch über die Religion. Sie sind nur geneigt, das Beste von ihr zu sagen, unter der Bedingung jedoch, daß Sie Religion mit der blosen Moral verwechseln dürfen. Jhre </p> </div> </body> </text> </TEI> [388/0416]
riren, vergehen sich noch mehr an den ewigen Wahrheiten dieses Glaubens, als Jene, die durch ihre Leichtfertigkeit eher nützen als schaden. Mein theurer Herr, ich schreibe Jhnen diese anspruchslose Epistel aus einem Befinden, das, zurückgezogen von der Welt, die Ursachen und Folgen der Dinge mit dem Auge der größten Unparteilichkeit verfolgen kann. Jch bin nicht das, was man gewöhnlich einen Kopfhänger nennt, sondern recht im Strome meiner Gedanken, in der freudigen Anschauung einer mich umgebenden reizenden Natur bin ich zu einer Ueberzeugung gelangt, die ich Jhnen von ganzem Herzen einflößen möchte.
Jhre Schriften, namentlich das Buch über England, verrathen eine zusammenhängende Weltansicht. Sie sind auf’s Tiefste von dem hohen Werth und der Bestimmung der Menschheit ergriffen. Sie denken mit Schwermuth an die Masse von Leiden und Lastern, die in den Schicksalen und Herzen unsrer Zeitgenossen Hand in Hand gehen. Wie recht haben Sie, wenn Sie zuweilen die Menschen entschuldigen und statt ihrer die Sitten, die Vorurtheile, die Jnstitutionen anklagen; wenn Sie die Verbrechen mildern durch die Rückblicke auf die Erziehung derjenigen, die sie begingen; wenn Sie in dem Prinzip des Egoismus die Klippe aller unsrer Wünsche und Bestrebungen wahrnehmen. Ach, Sie sprechen zuweilen auch über die Religion. Sie sind nur geneigt, das Beste von ihr zu sagen, unter der Bedingung jedoch, daß Sie Religion mit der blosen Moral verwechseln dürfen. Jhre
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/416>, abgerufen am 28.06.2024. |