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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Temperament der Erziehenden. Ueber den Säugling und die junge ohne Fallhut herumlaufende Brut machte sich das achtzehnte Jahrhundert schlaflose Nächte. Gatte und Gattin erzürnten sich über das Erziehungssystem, welches sie befolgen wollten bei einem Kinde, das erst geboren werden mußte. Man sprach damals sehr viel von der Natur; doch war die damalige, darunter gemeinte Natur weit künstlicher, als die jetzige, die nahe an Verwilderung streift. Der Zweck unsrer Zeit ist der Bürger, nicht mehr der Mensch. Dem Bürger schadet das Ammenmährchen nicht, das Federbett nicht, das zu hohe Liegen mit dem Kopfe nicht. Mein Emil, der des neunzehnten Jahrhunderts, wird für den Staat erzogen, für die Partei; mein Emil vegetirt unter dem Schutze der Kindermädchen, die ihn auf der Promenade in's Gras legen, während sie mit einem Constabler sich etwas zu erzählen haben. Emil hat nicht die Bestimmung für die Familie, für das Haus, sondern er muß eine Zahl werden, die mit angeschlagen werden kann. Er wuchert auf, ohne ein andres pädagogisches Moment, als das der Leidenschaftlichkeit. Jetzt kommt Emil dem Vater recht, er will ihn auf den Schoß nehmen, jetzt hat er zu thun, jetzt küßt er ihn, jetzt schlägt er ihn. Er lernt früh, daß alle Wissenschaft und Kunst, alle Civilisation und Ueberfirnissung der Menschheit nichts ist; daß der alte, finstre, zornige und despotische Adam unausrottbar bleibt, und heuchelt, verstellt sich, schreit, lacht, kurz er schickt sich oder schickt sich nicht, und bekömmt

Temperament der Erziehenden. Ueber den Säugling und die junge ohne Fallhut herumlaufende Brut machte sich das achtzehnte Jahrhundert schlaflose Nächte. Gatte und Gattin erzürnten sich über das Erziehungssystem, welches sie befolgen wollten bei einem Kinde, das erst geboren werden mußte. Man sprach damals sehr viel von der Natur; doch war die damalige, darunter gemeinte Natur weit künstlicher, als die jetzige, die nahe an Verwilderung streift. Der Zweck unsrer Zeit ist der Bürger, nicht mehr der Mensch. Dem Bürger schadet das Ammenmährchen nicht, das Federbett nicht, das zu hohe Liegen mit dem Kopfe nicht. Mein Emil, der des neunzehnten Jahrhunderts, wird für den Staat erzogen, für die Partei; mein Emil vegetirt unter dem Schutze der Kindermädchen, die ihn auf der Promenade in’s Gras legen, während sie mit einem Constabler sich etwas zu erzählen haben. Emil hat nicht die Bestimmung für die Familie, für das Haus, sondern er muß eine Zahl werden, die mit angeschlagen werden kann. Er wuchert auf, ohne ein andres pädagogisches Moment, als das der Leidenschaftlichkeit. Jetzt kommt Emil dem Vater recht, er will ihn auf den Schoß nehmen, jetzt hat er zu thun, jetzt küßt er ihn, jetzt schlägt er ihn. Er lernt früh, daß alle Wissenschaft und Kunst, alle Civilisation und Ueberfirnissung der Menschheit nichts ist; daß der alte, finstre, zornige und despotische Adam unausrottbar bleibt, und heuchelt, verstellt sich, schreit, lacht, kurz er schickt sich oder schickt sich nicht, und bekömmt

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[13/0041] Temperament der Erziehenden. Ueber den Säugling und die junge ohne Fallhut herumlaufende Brut machte sich das achtzehnte Jahrhundert schlaflose Nächte. Gatte und Gattin erzürnten sich über das Erziehungssystem, welches sie befolgen wollten bei einem Kinde, das erst geboren werden mußte. Man sprach damals sehr viel von der Natur; doch war die damalige, darunter gemeinte Natur weit künstlicher, als die jetzige, die nahe an Verwilderung streift. Der Zweck unsrer Zeit ist der Bürger, nicht mehr der Mensch. Dem Bürger schadet das Ammenmährchen nicht, das Federbett nicht, das zu hohe Liegen mit dem Kopfe nicht. Mein Emil, der des neunzehnten Jahrhunderts, wird für den Staat erzogen, für die Partei; mein Emil vegetirt unter dem Schutze der Kindermädchen, die ihn auf der Promenade in’s Gras legen, während sie mit einem Constabler sich etwas zu erzählen haben. Emil hat nicht die Bestimmung für die Familie, für das Haus, sondern er muß eine Zahl werden, die mit angeschlagen werden kann. Er wuchert auf, ohne ein andres pädagogisches Moment, als das der Leidenschaftlichkeit. Jetzt kommt Emil dem Vater recht, er will ihn auf den Schoß nehmen, jetzt hat er zu thun, jetzt küßt er ihn, jetzt schlägt er ihn. Er lernt früh, daß alle Wissenschaft und Kunst, alle Civilisation und Ueberfirnissung der Menschheit nichts ist; daß der alte, finstre, zornige und despotische Adam unausrottbar bleibt, und heuchelt, verstellt sich, schreit, lacht, kurz er schickt sich oder schickt sich nicht, und bekömmt

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/41>, abgerufen am 23.11.2024.