Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Fingerzeig finden. Er beschäftigt sich nur damit, den Eltern die Einpflanzung allgemeiner Humanitätsbegriffe in die Seele ihrer Kinder zur dringenden Pflicht zu machen; Begriffe, die uns für Gemeinplätze gelten, weil wir davon überzeugt sind, daß man damit jetzt keine Hunde mehr vom Ofen lockt. Weise, nüchtern, keusch, fromm seyn, wer machte daraus heut zu Tage den Hauptvorwurf der Unterweisung? Unser Gedächtniß und unser Verstand wird in Anspruch genommen; unsre Seele bleibt uns selbst überlassen. Weil nun diese Veranstaltung ein beklagenswerthes Unglück der neuern Zeit zu seyn scheint, so haben sich die Lehrer zu helfen gesucht. Sie behaupten, daß die Wissenschaften nicht blos den Kopf stärken, sondern auch das menschliche Herz veredeln. Dasjenige, was die Wissenschaften nicht thun werden, fügen sie hinzu, wird die Religion und die Gesittung unsers gesellschaftlichen Zusammenlebens thun. Will man die Wahrheit sagen, so denken sie, daß wir schon die sittliche Weisheit lernen werden, weil sie von der Polizei geboten wird. Unsre moralische Ausbildung ist der Furcht oder der Klugheit überlassen. Wahrlich, wenn wir nicht ganz verwildern bei dem einseitigen Erziehungssystem unsrer Zeit; wenn wir wirklich den größten Theil unsrer Sittlichkeit dem Christenthum verdanken, so besteht die welthistorische Bedeutung desselben vielleicht am meisten in der erziehenden Kraft desselben oder in einer Aushülfe, die es der überbeschäftigten und gedrängten Menschheit leistet. Hat wohl Fingerzeig finden. Er beschäftigt sich nur damit, den Eltern die Einpflanzung allgemeiner Humanitätsbegriffe in die Seele ihrer Kinder zur dringenden Pflicht zu machen; Begriffe, die uns für Gemeinplätze gelten, weil wir davon überzeugt sind, daß man damit jetzt keine Hunde mehr vom Ofen lockt. Weise, nüchtern, keusch, fromm seyn, wer machte daraus heut zu Tage den Hauptvorwurf der Unterweisung? Unser Gedächtniß und unser Verstand wird in Anspruch genommen; unsre Seele bleibt uns selbst überlassen. Weil nun diese Veranstaltung ein beklagenswerthes Unglück der neuern Zeit zu seyn scheint, so haben sich die Lehrer zu helfen gesucht. Sie behaupten, daß die Wissenschaften nicht blos den Kopf stärken, sondern auch das menschliche Herz veredeln. Dasjenige, was die Wissenschaften nicht thun werden, fügen sie hinzu, wird die Religion und die Gesittung unsers gesellschaftlichen Zusammenlebens thun. Will man die Wahrheit sagen, so denken sie, daß wir schon die sittliche Weisheit lernen werden, weil sie von der Polizei geboten wird. Unsre moralische Ausbildung ist der Furcht oder der Klugheit überlassen. Wahrlich, wenn wir nicht ganz verwildern bei dem einseitigen Erziehungssystem unsrer Zeit; wenn wir wirklich den größten Theil unsrer Sittlichkeit dem Christenthum verdanken, so besteht die welthistorische Bedeutung desselben vielleicht am meisten in der erziehenden Kraft desselben oder in einer Aushülfe, die es der überbeschäftigten und gedrängten Menschheit leistet. Hat wohl <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0406" n="378"/> Fingerzeig finden. Er beschäftigt sich nur damit, den Eltern die Einpflanzung allgemeiner Humanitätsbegriffe in die Seele ihrer Kinder zur dringenden Pflicht zu machen; Begriffe, die uns für Gemeinplätze gelten, weil wir davon überzeugt sind, daß man damit jetzt keine Hunde mehr vom Ofen lockt. Weise, nüchtern, keusch, fromm seyn, wer machte daraus heut zu Tage den Hauptvorwurf der Unterweisung? Unser Gedächtniß und unser Verstand wird in Anspruch genommen; unsre Seele bleibt uns selbst überlassen.</p> <p> Weil nun diese Veranstaltung ein beklagenswerthes Unglück der neuern Zeit zu seyn scheint, so haben sich die Lehrer zu helfen gesucht. Sie behaupten, daß die Wissenschaften nicht blos den Kopf stärken, sondern auch das menschliche Herz veredeln. Dasjenige, was die Wissenschaften nicht thun werden, fügen sie hinzu, wird die Religion und die Gesittung unsers gesellschaftlichen Zusammenlebens thun. Will man die Wahrheit sagen, so denken sie, daß wir schon die sittliche Weisheit lernen werden, weil sie von der Polizei geboten wird. Unsre moralische Ausbildung ist der Furcht oder der Klugheit überlassen. Wahrlich, wenn wir nicht ganz verwildern bei dem einseitigen Erziehungssystem unsrer Zeit; wenn wir wirklich den größten Theil unsrer Sittlichkeit dem Christenthum verdanken, so besteht die welthistorische Bedeutung desselben vielleicht am meisten in der erziehenden Kraft desselben oder in einer Aushülfe, die es der überbeschäftigten und gedrängten Menschheit leistet. Hat wohl </p> </div> </body> </text> </TEI> [378/0406]
Fingerzeig finden. Er beschäftigt sich nur damit, den Eltern die Einpflanzung allgemeiner Humanitätsbegriffe in die Seele ihrer Kinder zur dringenden Pflicht zu machen; Begriffe, die uns für Gemeinplätze gelten, weil wir davon überzeugt sind, daß man damit jetzt keine Hunde mehr vom Ofen lockt. Weise, nüchtern, keusch, fromm seyn, wer machte daraus heut zu Tage den Hauptvorwurf der Unterweisung? Unser Gedächtniß und unser Verstand wird in Anspruch genommen; unsre Seele bleibt uns selbst überlassen.
Weil nun diese Veranstaltung ein beklagenswerthes Unglück der neuern Zeit zu seyn scheint, so haben sich die Lehrer zu helfen gesucht. Sie behaupten, daß die Wissenschaften nicht blos den Kopf stärken, sondern auch das menschliche Herz veredeln. Dasjenige, was die Wissenschaften nicht thun werden, fügen sie hinzu, wird die Religion und die Gesittung unsers gesellschaftlichen Zusammenlebens thun. Will man die Wahrheit sagen, so denken sie, daß wir schon die sittliche Weisheit lernen werden, weil sie von der Polizei geboten wird. Unsre moralische Ausbildung ist der Furcht oder der Klugheit überlassen. Wahrlich, wenn wir nicht ganz verwildern bei dem einseitigen Erziehungssystem unsrer Zeit; wenn wir wirklich den größten Theil unsrer Sittlichkeit dem Christenthum verdanken, so besteht die welthistorische Bedeutung desselben vielleicht am meisten in der erziehenden Kraft desselben oder in einer Aushülfe, die es der überbeschäftigten und gedrängten Menschheit leistet. Hat wohl
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/406>, abgerufen am 16.02.2025. |