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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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einen stämmigen Handwerker heirathet, der ihr in ihrer fortwährenden moralischen Epilepsie die Daumen aufzubrechen versteht.

Es steht nur allzufest, daß die weisesten Maximen über Erziehung nichts vermögen ohne den moralischen Einfluß der Lehrer. Unsre Zeit ist hievon auch so überzeugt, daß sie die Erziehung durchaus nicht mehr dem Zufall einer so glücklichen pädagogischen Persönlichkeit, als man deren habhaft werden könne, überläßt, sondern Zögling und Lehrer in gleiche Fesseln schmiedet durch Theorien, die nichts mehr mit der Erziehung, sondern Alles nur mit dem Unterrichte zu schaffen haben. Aber ich frage: Jst dieß nicht ein Extrem?

Jm Alterthum war der Unterricht die Nebensache. Man lernte bald, was man bedurfte, die encyklischen Wissenschaften, von denen Plutarch spricht. Alles übrige Wissenswerthe erlernte der griechische und römische Jüngling durch Anschauung und frühe Uebung. Es galt bei ihm nur die Nothwendigkeit, ihn zu einem freien Manne zu erziehen; während bei uns der freie Mann auch alle Künste in sich aufnehmen muß, die früher dem Sklaven gehörten. Die Bestimmung und der Erwerb entscheiden bei uns. Bei den Alten verstand sich jene von selbst, dieser fiel den Sklaven anheim und verwandelte sich in Genuß. So hatten die Alten über Erziehung nur moralische Vorstellungen. Man wird in Plutarchs Abhandlung über die Erziehung weder die Andeutung irgend einer pädagogischen Theorie, noch sonst einen praktischen

einen stämmigen Handwerker heirathet, der ihr in ihrer fortwährenden moralischen Epilepsie die Daumen aufzubrechen versteht.

Es steht nur allzufest, daß die weisesten Maximen über Erziehung nichts vermögen ohne den moralischen Einfluß der Lehrer. Unsre Zeit ist hievon auch so überzeugt, daß sie die Erziehung durchaus nicht mehr dem Zufall einer so glücklichen pädagogischen Persönlichkeit, als man deren habhaft werden könne, überläßt, sondern Zögling und Lehrer in gleiche Fesseln schmiedet durch Theorien, die nichts mehr mit der Erziehung, sondern Alles nur mit dem Unterrichte zu schaffen haben. Aber ich frage: Jst dieß nicht ein Extrem?

Jm Alterthum war der Unterricht die Nebensache. Man lernte bald, was man bedurfte, die encyklischen Wissenschaften, von denen Plutarch spricht. Alles übrige Wissenswerthe erlernte der griechische und römische Jüngling durch Anschauung und frühe Uebung. Es galt bei ihm nur die Nothwendigkeit, ihn zu einem freien Manne zu erziehen; während bei uns der freie Mann auch alle Künste in sich aufnehmen muß, die früher dem Sklaven gehörten. Die Bestimmung und der Erwerb entscheiden bei uns. Bei den Alten verstand sich jene von selbst, dieser fiel den Sklaven anheim und verwandelte sich in Genuß. So hatten die Alten über Erziehung nur moralische Vorstellungen. Man wird in Plutarchs Abhandlung über die Erziehung weder die Andeutung irgend einer pädagogischen Theorie, noch sonst einen praktischen

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[377/0405] einen stämmigen Handwerker heirathet, der ihr in ihrer fortwährenden moralischen Epilepsie die Daumen aufzubrechen versteht. Es steht nur allzufest, daß die weisesten Maximen über Erziehung nichts vermögen ohne den moralischen Einfluß der Lehrer. Unsre Zeit ist hievon auch so überzeugt, daß sie die Erziehung durchaus nicht mehr dem Zufall einer so glücklichen pädagogischen Persönlichkeit, als man deren habhaft werden könne, überläßt, sondern Zögling und Lehrer in gleiche Fesseln schmiedet durch Theorien, die nichts mehr mit der Erziehung, sondern Alles nur mit dem Unterrichte zu schaffen haben. Aber ich frage: Jst dieß nicht ein Extrem? Jm Alterthum war der Unterricht die Nebensache. Man lernte bald, was man bedurfte, die encyklischen Wissenschaften, von denen Plutarch spricht. Alles übrige Wissenswerthe erlernte der griechische und römische Jüngling durch Anschauung und frühe Uebung. Es galt bei ihm nur die Nothwendigkeit, ihn zu einem freien Manne zu erziehen; während bei uns der freie Mann auch alle Künste in sich aufnehmen muß, die früher dem Sklaven gehörten. Die Bestimmung und der Erwerb entscheiden bei uns. Bei den Alten verstand sich jene von selbst, dieser fiel den Sklaven anheim und verwandelte sich in Genuß. So hatten die Alten über Erziehung nur moralische Vorstellungen. Man wird in Plutarchs Abhandlung über die Erziehung weder die Andeutung irgend einer pädagogischen Theorie, noch sonst einen praktischen

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/405>, abgerufen am 25.11.2024.