Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.aber, als einer Reliquie der Vergangenheit, nicht umgehen kann. Nicht ein Blutstropfen der neuen Zeit wohnt in ihm, und doch ist er so achtungswerth. Wer würde nicht das stille Glück dieses Mannes theilen mögen, der nur den Sonntag sein nennt, dann schon früh hinauswandert in die wilden Verschlingungen des königl. Parks, einen Band von Tristram Shandy in der Tasche! Wenn er Menschen kommen hört, flieht er; denn der Sonntag ist sein, am Sonntag ist er selbst sein Eigenthum. Dann kann ihn nichts erfreuen, als höchstens ein Waldhorn, das weither durch die Gebüsche schallt. Kurz, Wilson ist hinter seiner Zeit zurückgeblieben. Dem neunzehnten Jahrhundert ist er durch nichts verwandt. Man wird ihn auch nie sehen, daß er beim Poll irgend einem Candidaten für das politische Leben unsrer Zeit seine Stimme gäbe. Leben Sie wohl, Wilson! Jenseits, jenseits, mein Theurer! Dort wird Alles wahr! Ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts dagegen liegt vor mir in der Wiege. Sie steht nicht mehr auf runden Füßen, die getreten werden, das ist schon von Rousseau geerbt; aber das Kind ist in Federn gehüllt, nicht in Pferdshaaren, das ist wieder alte Praxis, Empirie ohne Rousseau, das haben die Aerzte so gewollt; denn ein Kind soll Wärme haben, Alles, was wächst, muß Wärme haben. Das neunzehnte Jahrhundert verbindet den aber, als einer Reliquie der Vergangenheit, nicht umgehen kann. Nicht ein Blutstropfen der neuen Zeit wohnt in ihm, und doch ist er so achtungswerth. Wer würde nicht das stille Glück dieses Mannes theilen mögen, der nur den Sonntag sein nennt, dann schon früh hinauswandert in die wilden Verschlingungen des königl. Parks, einen Band von Tristram Shandy in der Tasche! Wenn er Menschen kommen hört, flieht er; denn der Sonntag ist sein, am Sonntag ist er selbst sein Eigenthum. Dann kann ihn nichts erfreuen, als höchstens ein Waldhorn, das weither durch die Gebüsche schallt. Kurz, Wilson ist hinter seiner Zeit zurückgeblieben. Dem neunzehnten Jahrhundert ist er durch nichts verwandt. Man wird ihn auch nie sehen, daß er beim Poll irgend einem Candidaten für das politische Leben unsrer Zeit seine Stimme gäbe. Leben Sie wohl, Wilson! Jenseits, jenseits, mein Theurer! Dort wird Alles wahr! Ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts dagegen liegt vor mir in der Wiege. Sie steht nicht mehr auf runden Füßen, die getreten werden, das ist schon von Rousseau geerbt; aber das Kind ist in Federn gehüllt, nicht in Pferdshaaren, das ist wieder alte Praxis, Empirie ohne Rousseau, das haben die Aerzte so gewollt; denn ein Kind soll Wärme haben, Alles, was wächst, muß Wärme haben. Das neunzehnte Jahrhundert verbindet den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0039" n="11"/> aber, als einer Reliquie der Vergangenheit, nicht umgehen kann. Nicht ein Blutstropfen der neuen Zeit wohnt in ihm, und doch ist er so achtungswerth. Wer würde nicht das stille Glück dieses Mannes theilen mögen, der nur den Sonntag sein nennt, dann schon früh hinauswandert in die wilden Verschlingungen des königl. Parks, einen Band von Tristram Shandy in der Tasche! Wenn er Menschen kommen hört, flieht er; denn der Sonntag ist sein, am Sonntag ist er selbst sein Eigenthum. Dann kann ihn nichts erfreuen, als höchstens ein Waldhorn, das weither durch die Gebüsche schallt. Kurz, Wilson ist hinter seiner Zeit zurückgeblieben. Dem neunzehnten Jahrhundert ist er durch nichts verwandt. Man wird ihn auch nie sehen, daß er beim Poll irgend einem Candidaten für das politische Leben unsrer Zeit seine Stimme gäbe. Leben Sie wohl, Wilson! Jenseits, jenseits, mein Theurer! Dort wird Alles wahr!</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts dagegen liegt vor mir in der Wiege. Sie steht nicht mehr auf runden Füßen, die getreten werden, das ist schon von Rousseau geerbt; aber das Kind ist in Federn gehüllt, nicht in Pferdshaaren, das ist wieder alte Praxis, Empirie ohne Rousseau, das haben die Aerzte so gewollt; denn ein Kind soll Wärme haben, Alles, was wächst, muß Wärme haben. Das neunzehnte Jahrhundert verbindet den </p> </div> </body> </text> </TEI> [11/0039]
aber, als einer Reliquie der Vergangenheit, nicht umgehen kann. Nicht ein Blutstropfen der neuen Zeit wohnt in ihm, und doch ist er so achtungswerth. Wer würde nicht das stille Glück dieses Mannes theilen mögen, der nur den Sonntag sein nennt, dann schon früh hinauswandert in die wilden Verschlingungen des königl. Parks, einen Band von Tristram Shandy in der Tasche! Wenn er Menschen kommen hört, flieht er; denn der Sonntag ist sein, am Sonntag ist er selbst sein Eigenthum. Dann kann ihn nichts erfreuen, als höchstens ein Waldhorn, das weither durch die Gebüsche schallt. Kurz, Wilson ist hinter seiner Zeit zurückgeblieben. Dem neunzehnten Jahrhundert ist er durch nichts verwandt. Man wird ihn auch nie sehen, daß er beim Poll irgend einem Candidaten für das politische Leben unsrer Zeit seine Stimme gäbe. Leben Sie wohl, Wilson! Jenseits, jenseits, mein Theurer! Dort wird Alles wahr!
Ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts dagegen liegt vor mir in der Wiege. Sie steht nicht mehr auf runden Füßen, die getreten werden, das ist schon von Rousseau geerbt; aber das Kind ist in Federn gehüllt, nicht in Pferdshaaren, das ist wieder alte Praxis, Empirie ohne Rousseau, das haben die Aerzte so gewollt; denn ein Kind soll Wärme haben, Alles, was wächst, muß Wärme haben. Das neunzehnte Jahrhundert verbindet den
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