Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.auf seiner Weste und der Zettelweisheit seines Gedächtnisses. Um diese obsolete Natur reiht sich die Jugend als ein Muster, als einen Tyrannen, ja sogar, da das kindliche Herz gar rein und edel ist, als einen Gegenstand liebevoller Verehrung! Die Knaben erhalten von der Wissenschaft dürre und blutlose Begriffe; wenn sie Fortschritte machen sollen, müssen sie in eine ganz neue Welt versetzt werden. Daß man das Alterthum als Bildungsmittel so vielfach angegriffen hat, rührt hauptsächlich nur von dem Pedantismus derjenigen her, welche die Kenner und Lehrer desselben sind. Es ist verzeihlich, aber durchaus nicht zu billigen, daß man das Alterthum als Jnhalt mit der allerdings unerträglichen Form verwechselte, in welcher uns dasselbe geboten wird. Jch habe auf der Schule Plato, Demosthenes und Tacitus gelesen; allein nur den letztern verstand ich völlig, den ersteren zum Theil, den mittleren gar nicht. An wem lag die Schuld? Nicht an der Auswahl des Schriftstellers, nicht an meiner Fassungskraft, sondern an dem Unterricht jenes Lehrers, der sie so schlecht zu erklären wußte. Alle Lehrer, durch deren Hand ich ging (und jedermann sollte ohne Rücksicht solche Selbstgeständnisse machen, damit die Verständigung über klassische Erziehungsmethode beschleunigt wird), waren eingefleischte Philologen. Nur der erste von ihnen, der Rektor des Collegs, besaß eine gewisse universelle Bildung, kannte die Dichter der Nation und schrieb in seiner Muttersprache selbst einen Styl, der, wenn auch auf seiner Weste und der Zettelweisheit seines Gedächtnisses. Um diese obsolete Natur reiht sich die Jugend als ein Muster, als einen Tyrannen, ja sogar, da das kindliche Herz gar rein und edel ist, als einen Gegenstand liebevoller Verehrung! Die Knaben erhalten von der Wissenschaft dürre und blutlose Begriffe; wenn sie Fortschritte machen sollen, müssen sie in eine ganz neue Welt versetzt werden. Daß man das Alterthum als Bildungsmittel so vielfach angegriffen hat, rührt hauptsächlich nur von dem Pedantismus derjenigen her, welche die Kenner und Lehrer desselben sind. Es ist verzeihlich, aber durchaus nicht zu billigen, daß man das Alterthum als Jnhalt mit der allerdings unerträglichen Form verwechselte, in welcher uns dasselbe geboten wird. Jch habe auf der Schule Plato, Demosthenes und Tacitus gelesen; allein nur den letztern verstand ich völlig, den ersteren zum Theil, den mittleren gar nicht. An wem lag die Schuld? Nicht an der Auswahl des Schriftstellers, nicht an meiner Fassungskraft, sondern an dem Unterricht jenes Lehrers, der sie so schlecht zu erklären wußte. Alle Lehrer, durch deren Hand ich ging (und jedermann sollte ohne Rücksicht solche Selbstgeständnisse machen, damit die Verständigung über klassische Erziehungsmethode beschleunigt wird), waren eingefleischte Philologen. Nur der erste von ihnen, der Rektor des Collegs, besaß eine gewisse universelle Bildung, kannte die Dichter der Nation und schrieb in seiner Muttersprache selbst einen Styl, der, wenn auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0389" n="361"/> auf seiner Weste und der Zettelweisheit seines Gedächtnisses. Um diese obsolete Natur reiht sich die Jugend als ein Muster, als einen Tyrannen, ja sogar, da das kindliche Herz gar rein und edel ist, als einen Gegenstand liebevoller Verehrung! Die Knaben erhalten von der Wissenschaft dürre und blutlose Begriffe; wenn sie Fortschritte machen sollen, müssen sie in eine ganz neue Welt versetzt werden.</p> <p>Daß man das Alterthum als Bildungsmittel so vielfach angegriffen hat, rührt hauptsächlich nur von dem Pedantismus derjenigen her, welche die Kenner und Lehrer desselben sind. Es ist verzeihlich, aber durchaus nicht zu billigen, daß man das Alterthum als Jnhalt mit der allerdings unerträglichen Form verwechselte, in welcher uns dasselbe geboten wird. Jch habe auf der Schule Plato, Demosthenes und Tacitus gelesen; allein nur den letztern verstand ich völlig, den ersteren zum Theil, den mittleren gar nicht. An wem lag die Schuld? Nicht an der Auswahl des Schriftstellers, nicht an meiner Fassungskraft, sondern an dem Unterricht jenes Lehrers, der sie so schlecht zu erklären wußte. Alle Lehrer, durch deren Hand ich ging (und jedermann sollte ohne Rücksicht solche Selbstgeständnisse machen, damit die Verständigung über klassische Erziehungsmethode beschleunigt wird), waren eingefleischte Philologen. Nur der erste von ihnen, der Rektor des Collegs, besaß eine gewisse universelle Bildung, kannte die Dichter der Nation und schrieb in seiner Muttersprache selbst einen Styl, der, wenn auch </p> </div> </body> </text> </TEI> [361/0389]
auf seiner Weste und der Zettelweisheit seines Gedächtnisses. Um diese obsolete Natur reiht sich die Jugend als ein Muster, als einen Tyrannen, ja sogar, da das kindliche Herz gar rein und edel ist, als einen Gegenstand liebevoller Verehrung! Die Knaben erhalten von der Wissenschaft dürre und blutlose Begriffe; wenn sie Fortschritte machen sollen, müssen sie in eine ganz neue Welt versetzt werden.
Daß man das Alterthum als Bildungsmittel so vielfach angegriffen hat, rührt hauptsächlich nur von dem Pedantismus derjenigen her, welche die Kenner und Lehrer desselben sind. Es ist verzeihlich, aber durchaus nicht zu billigen, daß man das Alterthum als Jnhalt mit der allerdings unerträglichen Form verwechselte, in welcher uns dasselbe geboten wird. Jch habe auf der Schule Plato, Demosthenes und Tacitus gelesen; allein nur den letztern verstand ich völlig, den ersteren zum Theil, den mittleren gar nicht. An wem lag die Schuld? Nicht an der Auswahl des Schriftstellers, nicht an meiner Fassungskraft, sondern an dem Unterricht jenes Lehrers, der sie so schlecht zu erklären wußte. Alle Lehrer, durch deren Hand ich ging (und jedermann sollte ohne Rücksicht solche Selbstgeständnisse machen, damit die Verständigung über klassische Erziehungsmethode beschleunigt wird), waren eingefleischte Philologen. Nur der erste von ihnen, der Rektor des Collegs, besaß eine gewisse universelle Bildung, kannte die Dichter der Nation und schrieb in seiner Muttersprache selbst einen Styl, der, wenn auch
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/389>, abgerufen am 16.02.2025. |