Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.müsse erzogen werden, um Sklaven der Begebenheiten, Zielpunkte der feindlichen Kugeln, blose Echo's der Parteimeinungen zu werden. Nein, was wir Würdiges und Hohes über die Menschheit glauben, das ist noch immer nicht verschieden von jenem Begriffe der Humanität, welcher das Jdeal der klaren und hochherzigen Denkart des vorigen Jahrhunderts war. Menschen zu bilden, ist noch immer das Losungswort, nur daß die alte Zeit gestattete, sich menschlich zu bewähren im Frieden, die neue Zeit aber verlangt, den Menschen zu entfalten, selbst in dem Sturm unsrer, durch so mannigfache Umstände hervorgerufenen und in steter Nahrung erhaltenen Kämpfe. Möge es daher dem Misch- und Detailcharakter unsrer Zeit nicht unangemessen erscheinen, wenn ich mein Kapitel über die Erziehung statt mit Maximen, lieber mit Porträts beginne. Jch will aus meiner Bekanntschaft mehrere Jndividuen hervorgreifen, welche uns besser als Raisonnement die gegenwärtige Lage unsres Erziehungswesens werden vergegenwärtigen können. Jch beginne mit Master Schlehsack. Schlehsack ist der Sohn eines Webers und lernte das Handwerk seines Vaters. Er selbst pflegte zwar zu sagen, er hätte es lernen müssen; allein sein Vater hatte ganz recht, wenn er sagte, er hätte auch etwas anderes kaum lernen können. Peter Schlehsacks Vater hielt es mit einer Methodistengemeinde. Er besuchte die Abendzirkel derselben und sang dabei einen sehr unreinen, aber doch in Gott freudigen Tenor. Peter Schlehsack, der müsse erzogen werden, um Sklaven der Begebenheiten, Zielpunkte der feindlichen Kugeln, blose Echo’s der Parteimeinungen zu werden. Nein, was wir Würdiges und Hohes über die Menschheit glauben, das ist noch immer nicht verschieden von jenem Begriffe der Humanität, welcher das Jdeal der klaren und hochherzigen Denkart des vorigen Jahrhunderts war. Menschen zu bilden, ist noch immer das Losungswort, nur daß die alte Zeit gestattete, sich menschlich zu bewähren im Frieden, die neue Zeit aber verlangt, den Menschen zu entfalten, selbst in dem Sturm unsrer, durch so mannigfache Umstände hervorgerufenen und in steter Nahrung erhaltenen Kämpfe. Möge es daher dem Misch- und Detailcharakter unsrer Zeit nicht unangemessen erscheinen, wenn ich mein Kapitel über die Erziehung statt mit Maximen, lieber mit Porträts beginne. Jch will aus meiner Bekanntschaft mehrere Jndividuen hervorgreifen, welche uns besser als Raisonnement die gegenwärtige Lage unsres Erziehungswesens werden vergegenwärtigen können. Jch beginne mit Master Schlehsack. Schlehsack ist der Sohn eines Webers und lernte das Handwerk seines Vaters. Er selbst pflegte zwar zu sagen, er hätte es lernen müssen; allein sein Vater hatte ganz recht, wenn er sagte, er hätte auch etwas anderes kaum lernen können. Peter Schlehsacks Vater hielt es mit einer Methodistengemeinde. Er besuchte die Abendzirkel derselben und sang dabei einen sehr unreinen, aber doch in Gott freudigen Tenor. Peter Schlehsack, der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0380" n="352"/> müsse erzogen werden, um Sklaven der Begebenheiten, Zielpunkte der feindlichen Kugeln, blose Echo’s der Parteimeinungen zu werden. Nein, was wir Würdiges und Hohes über die Menschheit glauben, das ist noch immer nicht verschieden von jenem Begriffe der Humanität, welcher das Jdeal der klaren und hochherzigen Denkart des vorigen Jahrhunderts war. <hi rendition="#g">Menschen</hi> zu bilden, ist noch immer das Losungswort, nur daß die alte Zeit gestattete, sich menschlich zu bewähren im <hi rendition="#g">Frieden</hi>, die neue Zeit aber verlangt, den Menschen zu entfalten, selbst in dem Sturm unsrer, durch so mannigfache Umstände hervorgerufenen und in steter Nahrung erhaltenen Kämpfe. Möge es daher dem Misch- und Detailcharakter unsrer Zeit nicht unangemessen erscheinen, wenn ich mein Kapitel über die Erziehung statt mit Maximen, lieber mit Porträts beginne. Jch will aus meiner Bekanntschaft mehrere Jndividuen hervorgreifen, welche uns besser als Raisonnement die gegenwärtige Lage unsres Erziehungswesens werden vergegenwärtigen können. Jch beginne mit Master Schlehsack.</p> <p>Schlehsack ist der Sohn eines Webers und lernte das Handwerk seines Vaters. Er selbst pflegte zwar zu sagen, er hätte es lernen müssen; allein sein Vater hatte ganz recht, wenn er sagte, er hätte auch etwas anderes kaum lernen können. Peter Schlehsacks Vater hielt es mit einer Methodistengemeinde. Er besuchte die Abendzirkel derselben und sang dabei einen sehr unreinen, aber doch in Gott freudigen Tenor. Peter Schlehsack, der </p> </div> </body> </text> </TEI> [352/0380]
müsse erzogen werden, um Sklaven der Begebenheiten, Zielpunkte der feindlichen Kugeln, blose Echo’s der Parteimeinungen zu werden. Nein, was wir Würdiges und Hohes über die Menschheit glauben, das ist noch immer nicht verschieden von jenem Begriffe der Humanität, welcher das Jdeal der klaren und hochherzigen Denkart des vorigen Jahrhunderts war. Menschen zu bilden, ist noch immer das Losungswort, nur daß die alte Zeit gestattete, sich menschlich zu bewähren im Frieden, die neue Zeit aber verlangt, den Menschen zu entfalten, selbst in dem Sturm unsrer, durch so mannigfache Umstände hervorgerufenen und in steter Nahrung erhaltenen Kämpfe. Möge es daher dem Misch- und Detailcharakter unsrer Zeit nicht unangemessen erscheinen, wenn ich mein Kapitel über die Erziehung statt mit Maximen, lieber mit Porträts beginne. Jch will aus meiner Bekanntschaft mehrere Jndividuen hervorgreifen, welche uns besser als Raisonnement die gegenwärtige Lage unsres Erziehungswesens werden vergegenwärtigen können. Jch beginne mit Master Schlehsack.
Schlehsack ist der Sohn eines Webers und lernte das Handwerk seines Vaters. Er selbst pflegte zwar zu sagen, er hätte es lernen müssen; allein sein Vater hatte ganz recht, wenn er sagte, er hätte auch etwas anderes kaum lernen können. Peter Schlehsacks Vater hielt es mit einer Methodistengemeinde. Er besuchte die Abendzirkel derselben und sang dabei einen sehr unreinen, aber doch in Gott freudigen Tenor. Peter Schlehsack, der
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/380>, abgerufen am 28.07.2024. |