Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Parteimänner einer weit nachsichtigeren Beurtheilung als mancher andre Staat, der, freier Verfassungsformen ermangelnd, doch in Kunst und Wissenschaft weit vor Oesterreich voraus ist. Glauben Sie, daß Oesterreich rachsüchtig ist, daß es die Revolution im Auslande mit einer durchaus büreaukratischen Beamtenstrenge bestraft wissen will? Jch könnte Jhnen hier Beispiele einer außerordentlichen Toleranz mittheilen, wenn sie nicht dem Horizonte der Politik, an welchen Sie gewöhnt sind, zu fern lägen und durch ihre Veranlassungen zu kleinlich wären." Jch erwiederte darauf: "Jhre Enthüllungen sind für mich so neu, daß Sie mich schon darum entschuldigen müssen, wenn ich dagegen nach meiner Erfahrung des Alten einige Bedenken äußere. Jch glaube, daß der Staat, welchen Sie eben so beredt vertheidigt haben, es weit mehr vorzieht, die Revolution zu verwirren, ihre Glieder sich unter einander selbst bekämpfen zu lassen und dann der öffentlichen Meinung davon eine Moral vorzuhalten, die wohl noch etwas weiter zurückgeht, als bis zum status quo. Es ist ein sehr verführerisches Wort: "Wir sind im Grunde so liberal wie ihr auch, wir wollen nicht Vernichtung, sondern nur Hinhaltung! Welches ist zuletzt der Sinn dieser Erklärung? Daß wir nach wie vor die bleiben, die wir sind. Es gibt für die Politik, welche Sie da geschildert haben, vielleicht keine größere Genugthuung, als wenn die gekirrten liberalen Parteianführer durch irgend ein öffentliches Zugeständniß an Parteimänner einer weit nachsichtigeren Beurtheilung als mancher andre Staat, der, freier Verfassungsformen ermangelnd, doch in Kunst und Wissenschaft weit vor Oesterreich voraus ist. Glauben Sie, daß Oesterreich rachsüchtig ist, daß es die Revolution im Auslande mit einer durchaus büreaukratischen Beamtenstrenge bestraft wissen will? Jch könnte Jhnen hier Beispiele einer außerordentlichen Toleranz mittheilen, wenn sie nicht dem Horizonte der Politik, an welchen Sie gewöhnt sind, zu fern lägen und durch ihre Veranlassungen zu kleinlich wären.“ Jch erwiederte darauf: "Jhre Enthüllungen sind für mich so neu, daß Sie mich schon darum entschuldigen müssen, wenn ich dagegen nach meiner Erfahrung des Alten einige Bedenken äußere. Jch glaube, daß der Staat, welchen Sie eben so beredt vertheidigt haben, es weit mehr vorzieht, die Revolution zu verwirren, ihre Glieder sich unter einander selbst bekämpfen zu lassen und dann der öffentlichen Meinung davon eine Moral vorzuhalten, die wohl noch etwas weiter zurückgeht, als bis zum status quo. Es ist ein sehr verführerisches Wort: "Wir sind im Grunde so liberal wie ihr auch, wir wollen nicht Vernichtung, sondern nur Hinhaltung! Welches ist zuletzt der Sinn dieser Erklärung? Daß wir nach wie vor die bleiben, die wir sind. Es gibt für die Politik, welche Sie da geschildert haben, vielleicht keine größere Genugthuung, als wenn die gekirrten liberalen Parteianführer durch irgend ein öffentliches Zugeständniß an <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0369" n="341"/> Parteimänner einer weit nachsichtigeren Beurtheilung als mancher andre Staat, der, freier Verfassungsformen ermangelnd, doch in Kunst und Wissenschaft weit vor Oesterreich voraus ist. Glauben Sie, daß Oesterreich rachsüchtig ist, daß es die Revolution im Auslande mit einer durchaus büreaukratischen Beamtenstrenge bestraft wissen will? Jch könnte Jhnen hier Beispiele einer außerordentlichen Toleranz mittheilen, wenn sie nicht dem Horizonte der Politik, an welchen Sie gewöhnt sind, zu fern lägen und durch ihre Veranlassungen zu kleinlich wären.“</p> <p>Jch erwiederte darauf: "Jhre Enthüllungen sind für mich so neu, daß Sie mich schon darum entschuldigen müssen, wenn ich dagegen nach meiner Erfahrung des Alten einige Bedenken äußere. Jch glaube, daß der Staat, welchen Sie eben so beredt vertheidigt haben, es weit mehr vorzieht, die Revolution zu verwirren, ihre Glieder sich unter einander selbst bekämpfen zu lassen und dann der öffentlichen Meinung davon eine Moral vorzuhalten, die wohl noch etwas weiter zurückgeht, als bis zum <hi rendition="#aq">status quo</hi>. Es ist ein sehr verführerisches Wort: "Wir sind im Grunde so liberal wie ihr auch, wir wollen nicht Vernichtung, sondern nur Hinhaltung! Welches ist zuletzt der Sinn dieser Erklärung? Daß wir nach wie vor die bleiben, die wir sind. Es gibt für die Politik, welche Sie da geschildert haben, vielleicht keine größere Genugthuung, als wenn die gekirrten liberalen Parteianführer durch irgend ein öffentliches Zugeständniß an </p> </div> </body> </text> </TEI> [341/0369]
Parteimänner einer weit nachsichtigeren Beurtheilung als mancher andre Staat, der, freier Verfassungsformen ermangelnd, doch in Kunst und Wissenschaft weit vor Oesterreich voraus ist. Glauben Sie, daß Oesterreich rachsüchtig ist, daß es die Revolution im Auslande mit einer durchaus büreaukratischen Beamtenstrenge bestraft wissen will? Jch könnte Jhnen hier Beispiele einer außerordentlichen Toleranz mittheilen, wenn sie nicht dem Horizonte der Politik, an welchen Sie gewöhnt sind, zu fern lägen und durch ihre Veranlassungen zu kleinlich wären.“
Jch erwiederte darauf: "Jhre Enthüllungen sind für mich so neu, daß Sie mich schon darum entschuldigen müssen, wenn ich dagegen nach meiner Erfahrung des Alten einige Bedenken äußere. Jch glaube, daß der Staat, welchen Sie eben so beredt vertheidigt haben, es weit mehr vorzieht, die Revolution zu verwirren, ihre Glieder sich unter einander selbst bekämpfen zu lassen und dann der öffentlichen Meinung davon eine Moral vorzuhalten, die wohl noch etwas weiter zurückgeht, als bis zum status quo. Es ist ein sehr verführerisches Wort: "Wir sind im Grunde so liberal wie ihr auch, wir wollen nicht Vernichtung, sondern nur Hinhaltung! Welches ist zuletzt der Sinn dieser Erklärung? Daß wir nach wie vor die bleiben, die wir sind. Es gibt für die Politik, welche Sie da geschildert haben, vielleicht keine größere Genugthuung, als wenn die gekirrten liberalen Parteianführer durch irgend ein öffentliches Zugeständniß an
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/369>, abgerufen am 28.07.2024. |