Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieß System, übertragen auf die Berührung mit fremden Staaten, muß allerdings von einem großen Mißtrauen gegen alles geleitet werden, was vom Volke stammt; also nicht blos gegen den Parteigeist, der die Einheit mancher Staaten zersplittert, sondern auch gegen diese Staaten selbst, wenn sie auf das Princip der Volkssouverainität gegründet sind, gegen die königliche Prärogative, wenn diese vom Volke eingesetzt ist. Dennoch schließt diese unwandelbare Theorie der österreichischen Politik die Anerkennung der Geschichte und unwiderruflicher Thatsachen nicht aus. Oesterreichs auswärtige Stellung ist negativ, allein sie negirt die Revolution nicht. Das ist der große Unterschied der österreichischen Diplomatie von derjenigen, welche wir von andern autokratischen Staaten befolgt sehen, daß Oesterreich alle Thatsachen, welche sich in Europa geltend zu machen wußten, anerkannte, daß Oesterreich zwar die Fortschritte der Revolution bekämpft, überall wo es kann, aber sich darum nicht abmüht, die Revolution selbst zu bekämpfen, ihr Princip, ihren Ursprung. Was will man machen? Die Revolution ist einmal da, sie hat Terrain in unsern Gemüthern gewonnen, all' unsre Begriffe sind von ihr geschwängert; sie hat durch Napoleon selbst den meisten autokratischen Staaten als Dünger zu einer neuen Umackerung gedient. Man verliert nur Zeit und Mühe, wenn man die Scherben des zertrümmerten Riesenbildes wieder aufsuchen und tief in die Erde vergraben wollte. Was einmal da gewesen ist, das bleibt, die Geschichte

Dieß System, übertragen auf die Berührung mit fremden Staaten, muß allerdings von einem großen Mißtrauen gegen alles geleitet werden, was vom Volke stammt; also nicht blos gegen den Parteigeist, der die Einheit mancher Staaten zersplittert, sondern auch gegen diese Staaten selbst, wenn sie auf das Princip der Volkssouverainität gegründet sind, gegen die königliche Prärogative, wenn diese vom Volke eingesetzt ist. Dennoch schließt diese unwandelbare Theorie der österreichischen Politik die Anerkennung der Geschichte und unwiderruflicher Thatsachen nicht aus. Oesterreichs auswärtige Stellung ist negativ, allein sie negirt die Revolution nicht. Das ist der große Unterschied der österreichischen Diplomatie von derjenigen, welche wir von andern autokratischen Staaten befolgt sehen, daß Oesterreich alle Thatsachen, welche sich in Europa geltend zu machen wußten, anerkannte, daß Oesterreich zwar die Fortschritte der Revolution bekämpft, überall wo es kann, aber sich darum nicht abmüht, die Revolution selbst zu bekämpfen, ihr Princip, ihren Ursprung. Was will man machen? Die Revolution ist einmal da, sie hat Terrain in unsern Gemüthern gewonnen, all’ unsre Begriffe sind von ihr geschwängert; sie hat durch Napoleon selbst den meisten autokratischen Staaten als Dünger zu einer neuen Umackerung gedient. Man verliert nur Zeit und Mühe, wenn man die Scherben des zertrümmerten Riesenbildes wieder aufsuchen und tief in die Erde vergraben wollte. Was einmal da gewesen ist, das bleibt, die Geschichte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0364" n="336"/>
        <p> Dieß System, übertragen auf die Berührung mit fremden Staaten, muß allerdings von einem großen Mißtrauen gegen alles geleitet werden, was vom Volke stammt; also nicht blos gegen den Parteigeist, der die Einheit mancher Staaten zersplittert, sondern auch gegen diese Staaten selbst, wenn sie auf das Princip der Volkssouverainität gegründet sind, gegen die königliche Prärogative, wenn diese vom Volke eingesetzt ist. Dennoch schließt diese unwandelbare Theorie der österreichischen Politik die Anerkennung der Geschichte und unwiderruflicher Thatsachen nicht aus. Oesterreichs auswärtige Stellung ist negativ, allein sie negirt die Revolution nicht. Das ist der große Unterschied der österreichischen Diplomatie von derjenigen, welche wir von andern autokratischen Staaten befolgt sehen, daß Oesterreich alle Thatsachen, welche sich in Europa geltend zu machen wußten, anerkannte, daß Oesterreich zwar die Fortschritte der Revolution bekämpft, überall wo es kann, aber sich darum nicht abmüht, die Revolution selbst zu bekämpfen, ihr Princip, ihren Ursprung. Was will man machen? Die Revolution ist einmal da, sie hat Terrain in unsern Gemüthern gewonnen, all&#x2019; unsre Begriffe sind von ihr geschwängert; sie hat durch Napoleon selbst den meisten autokratischen Staaten als Dünger zu einer neuen Umackerung gedient. Man verliert nur Zeit und Mühe, wenn man die Scherben des zertrümmerten Riesenbildes wieder aufsuchen und tief in die Erde vergraben wollte. Was einmal da gewesen ist, das bleibt, die Geschichte
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0364] Dieß System, übertragen auf die Berührung mit fremden Staaten, muß allerdings von einem großen Mißtrauen gegen alles geleitet werden, was vom Volke stammt; also nicht blos gegen den Parteigeist, der die Einheit mancher Staaten zersplittert, sondern auch gegen diese Staaten selbst, wenn sie auf das Princip der Volkssouverainität gegründet sind, gegen die königliche Prärogative, wenn diese vom Volke eingesetzt ist. Dennoch schließt diese unwandelbare Theorie der österreichischen Politik die Anerkennung der Geschichte und unwiderruflicher Thatsachen nicht aus. Oesterreichs auswärtige Stellung ist negativ, allein sie negirt die Revolution nicht. Das ist der große Unterschied der österreichischen Diplomatie von derjenigen, welche wir von andern autokratischen Staaten befolgt sehen, daß Oesterreich alle Thatsachen, welche sich in Europa geltend zu machen wußten, anerkannte, daß Oesterreich zwar die Fortschritte der Revolution bekämpft, überall wo es kann, aber sich darum nicht abmüht, die Revolution selbst zu bekämpfen, ihr Princip, ihren Ursprung. Was will man machen? Die Revolution ist einmal da, sie hat Terrain in unsern Gemüthern gewonnen, all’ unsre Begriffe sind von ihr geschwängert; sie hat durch Napoleon selbst den meisten autokratischen Staaten als Dünger zu einer neuen Umackerung gedient. Man verliert nur Zeit und Mühe, wenn man die Scherben des zertrümmerten Riesenbildes wieder aufsuchen und tief in die Erde vergraben wollte. Was einmal da gewesen ist, das bleibt, die Geschichte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/364
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/364>, abgerufen am 25.11.2024.