Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Freiheit, welches die Oesterreicher genießen, ist gerade so groß wie das Maß ihrer Bildung. (?) Was nützt ihnen eine Freiheit, die größer wäre als ihr Verstand, um sie zu begreifen? Es kann mir nicht in den Sinn kommen, Metternich's System in so fern vertheidigen zu wollen, als er es auf eine einmal unwandelbare Annahme zu begründen scheint. Jch finde, daß in Oesterreich allerdings auch die Fortschritte anerkannt sind, allein nur als das Resultat des Auslandes, nicht als die organische Blüthe von Bestrebungen, die aus dem Schooße des österreichischen Volkslebens selbst hervorschossen. Wenn Oesterreich zur Freiheit noch nicht reif ist, warum soll es diese Reife nicht aus sich selber erzeugen? Jch finde, daß außerordentlich gut für die Nation gesorgt ist, daß man ihr nichts entgehen läßt, was an neuen wissenschaftlichen Entdeckungen und industriellen Erfindungen die Tiegelprobe der Erfahrung bestanden hat. Allein man kann den Menschen alles schenken und sie werden sich immer, da sie es sich nicht selbst verschafften, für arm halten. Jch glaube, darin wird die Besorgniß der Metternich'schen Politik liegen, daß sie fürchtet, ist einmal erst die Maschine der eignen Gedanken im Lande in Bewegung gesetzt, haben die Gemüther die süße Gewohnheit des Selbstdenkens gekostet, so würden sie vielleicht der Kraft ihrer geistigen Springfedern zu großes Vertrauen schenken und neben dem Nothwendigen und Erwünschten auch vieles Andere bedenken, was überflüssig scheint und bedenklich. Freiheit, welches die Oesterreicher genießen, ist gerade so groß wie das Maß ihrer Bildung. (?) Was nützt ihnen eine Freiheit, die größer wäre als ihr Verstand, um sie zu begreifen? Es kann mir nicht in den Sinn kommen, Metternich’s System in so fern vertheidigen zu wollen, als er es auf eine einmal unwandelbare Annahme zu begründen scheint. Jch finde, daß in Oesterreich allerdings auch die Fortschritte anerkannt sind, allein nur als das Resultat des Auslandes, nicht als die organische Blüthe von Bestrebungen, die aus dem Schooße des österreichischen Volkslebens selbst hervorschossen. Wenn Oesterreich zur Freiheit noch nicht reif ist, warum soll es diese Reife nicht aus sich selber erzeugen? Jch finde, daß außerordentlich gut für die Nation gesorgt ist, daß man ihr nichts entgehen läßt, was an neuen wissenschaftlichen Entdeckungen und industriellen Erfindungen die Tiegelprobe der Erfahrung bestanden hat. Allein man kann den Menschen alles schenken und sie werden sich immer, da sie es sich nicht selbst verschafften, für arm halten. Jch glaube, darin wird die Besorgniß der Metternich’schen Politik liegen, daß sie fürchtet, ist einmal erst die Maschine der eignen Gedanken im Lande in Bewegung gesetzt, haben die Gemüther die süße Gewohnheit des Selbstdenkens gekostet, so würden sie vielleicht der Kraft ihrer geistigen Springfedern zu großes Vertrauen schenken und neben dem Nothwendigen und Erwünschten auch vieles Andere bedenken, was überflüssig scheint und bedenklich. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0363" n="335"/> Freiheit, welches die Oesterreicher genießen, ist gerade so groß wie das Maß ihrer Bildung. (?) Was nützt ihnen eine Freiheit, die größer wäre als ihr Verstand, um sie zu begreifen? Es kann mir nicht in den Sinn kommen, Metternich’s System in so fern vertheidigen zu wollen, als er es auf eine einmal unwandelbare Annahme zu begründen scheint. Jch finde, daß in Oesterreich allerdings auch die Fortschritte anerkannt sind, allein nur als das Resultat des Auslandes, nicht als die organische Blüthe von Bestrebungen, die aus dem Schooße des österreichischen Volkslebens selbst hervorschossen. Wenn Oesterreich zur Freiheit noch nicht reif ist, warum soll es diese Reife nicht aus sich selber erzeugen? Jch finde, daß außerordentlich gut für die Nation gesorgt ist, daß man ihr nichts entgehen läßt, was an neuen wissenschaftlichen Entdeckungen und industriellen Erfindungen die Tiegelprobe der Erfahrung bestanden hat. Allein man kann den Menschen alles schenken und sie werden sich immer, da sie es sich nicht selbst verschafften, für arm halten. Jch glaube, darin wird die Besorgniß der Metternich’schen Politik liegen, daß sie fürchtet, ist einmal erst die Maschine der eignen Gedanken im Lande in Bewegung gesetzt, haben die Gemüther die süße Gewohnheit des Selbstdenkens gekostet, so würden sie vielleicht der Kraft ihrer geistigen Springfedern zu großes Vertrauen schenken und neben dem Nothwendigen und Erwünschten auch vieles Andere bedenken, was überflüssig scheint und bedenklich.</p> </div> </body> </text> </TEI> [335/0363]
Freiheit, welches die Oesterreicher genießen, ist gerade so groß wie das Maß ihrer Bildung. (?) Was nützt ihnen eine Freiheit, die größer wäre als ihr Verstand, um sie zu begreifen? Es kann mir nicht in den Sinn kommen, Metternich’s System in so fern vertheidigen zu wollen, als er es auf eine einmal unwandelbare Annahme zu begründen scheint. Jch finde, daß in Oesterreich allerdings auch die Fortschritte anerkannt sind, allein nur als das Resultat des Auslandes, nicht als die organische Blüthe von Bestrebungen, die aus dem Schooße des österreichischen Volkslebens selbst hervorschossen. Wenn Oesterreich zur Freiheit noch nicht reif ist, warum soll es diese Reife nicht aus sich selber erzeugen? Jch finde, daß außerordentlich gut für die Nation gesorgt ist, daß man ihr nichts entgehen läßt, was an neuen wissenschaftlichen Entdeckungen und industriellen Erfindungen die Tiegelprobe der Erfahrung bestanden hat. Allein man kann den Menschen alles schenken und sie werden sich immer, da sie es sich nicht selbst verschafften, für arm halten. Jch glaube, darin wird die Besorgniß der Metternich’schen Politik liegen, daß sie fürchtet, ist einmal erst die Maschine der eignen Gedanken im Lande in Bewegung gesetzt, haben die Gemüther die süße Gewohnheit des Selbstdenkens gekostet, so würden sie vielleicht der Kraft ihrer geistigen Springfedern zu großes Vertrauen schenken und neben dem Nothwendigen und Erwünschten auch vieles Andere bedenken, was überflüssig scheint und bedenklich.
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/363>, abgerufen am 28.07.2024. |